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Die Weihnachtswünsche der Menschen, die nichts haben

Ein Blick auf die Weihnachtswünsche von obdachlosen und armutsbetroffenen Menschen zeigt: Viele ihrer Wünsche sind ideell, andere sind für Hilfsbereite einfach zu erfüllen.
Sophia Tiganas  •  21. Dezember 2024 Redakteurin      212
Essen und etwas, das seinen Kindern gut tun würde: Georges bescheidener Wunsch zu Weihnachten.

In der Wiener Gumpendorfer Straße steht vor einer Spar-Filiale Gheorghe. In seiner Linken hält er einen kleinen Stapel Zeitungen, die er an Passanten verkaufen will. Gheorghe ist fast sechzig, stammt ursprünglich aus Rumänien und lebt heute mit seiner Frau, fünf Kindern und zwei Enkelkindern im 15. Bezirk.

Sein ältester Sohn ist der Einzige in der Familie, der einer regulären Arbeit nachgehen kann. Gheorghe selbst ist gesundheitlich eingeschränkt. Es bleibt ihm keine andere Wahl, als bei Wind und Wetter Zeitungen zu verkaufen, um einen Beitrag für seine Familie zu leisten. Zu Weihnachten hat er einen bescheidenen Wunsch: Essen und etwas, das seinen Kindern gut tun würde.

Die Vorweihnachtszeit bewegt zu kleinen Taten der Nächstenliebe. Sobald das Wetter kälter wird und die bunten Lichter die Straßen erhellen, neigen viele dazu, bettelnden oder obdachlosen Menschen Geld zu geben, Essen zu kaufen oder Sachspenden zu bringen. Oft fehlt jedoch ein Dialog auf Augenhöhe mit den von Armut Betroffenen. Was obdachlose und armutsgefährdete Menschen wirklich brauchen, bleibt oft angenommen statt diskutiert. campus a hat mit einigen in Not Geratenen über ihre Weihnachtswünsche gesprochen und ein paar davon verwirklicht.

Was wünschen sich diejenigen, die nichts haben?

Die Wünsche sind oft bescheiden und gerade deshalb bewegend. Häufig geht es um grundlegende Dinge wie Lebensmittel, Medikamente oder warme Kleidung. Andere Wünsche sind schwieriger zu erfüllen, und davon gibt es jede Menge. Sie spiegeln nicht nur die unmittelbaren Bedürfnisse wider, sondern auch den Wunsch nach Stabilität, Gesundheit und einem Gefühl von Normalität.

So wie bei Alexandra, einer 28-jährige Slowakin, die in einer Unterkunft der Caritas schläft und ihre Tage in der Mariahilfer Straße verbringt. Ihr größtes Anliegen ist es, in ihr Heimatland zurückzukehren und Hilfe für ihren einzigen Begleiter, einen kranken Hund, zu bekommen.

Alexandras Hund

Felix, ein gebürtiger Nigerianer, denkt hingegen an langfristige Stabilität. Er verkauft die Straßenzeitung Augustin vor einer Billa-Filiale im vierten Bezirk und sehnt sich nach einem österreichische Aufenthaltstitel, um arbeiten zu können. Für ihn sind finanzielle Hilfen wichtig, doch er sieht sie als kurzfristige Lösung. „Ohne Stabilität wiederholt sich alles immer wieder,“ erklärt er. Zu Weihnachten wünscht er sich nichts Materielles, sondern die Chance, „sich selbst zu verbessern“.

Als wir ein Exemplar der Augustin-Zeitung von ihm abkaufen, bittet er uns stolz, die Zeitschrift auf Seite neun aufzuschlagen. Ein Bild des lächelnden Mannes erwartet uns. “Felix Jeff, aka Mr. Nice Man”, steht im Bildtext. Strahlend sagt er, es müsse wirklich ein Zeichen sein, dass wir ihn heute besuchen, genau an dem Tag, an dem er in der Zeitung abgebildet ist. Nachdem wir ihm ein paar lebensnotwendige Dinge als kleines Weihnachtsgeschenk schenken, lädt er uns spontan ein, seine Kirche zu besuchen, um dort die Weihnachtsmesse mit ihm zu feiern. „Es ist ein besonderer Ort, an dem ich immer Kraft finde“, erklärt er lächelnd.

Der Augustin-Artikel über Felix Jeff

Auch Gheorghes Wünsche sind vor allem immateriell. Essen und andere lebensnotwendige Sachen, klar, das alles braucht er in der kalten Jahreszeit, und wenn ihm jemand eine Zeitung abkauft, ist er dankbar, aber vor allem würde er so gerne wieder zum Familieneinkommen beitragen können. Vielleicht, hofft er, wird “der gute Gott“ oder jemand anderes ihm und den Seinen ein wenig Erleichterung bringen.

Alltägliche Bedürfnisse und realistische Wünsche

Doch wäre da nicht einen Mangel an so Vielem, würden Menschen wie Gheorghe ihre Zeit nicht auf der Straße verbringen. Obwohl Gheorge auf Hilfe aus dem Jenseits hofft, fragt er scheu, ob er sich Geschenke für seine Kinder wünschen darf. Es geht nicht um Spielzeuge oder neue Gadgets, sondern um Lutschtabletten und Hustensaft. “Sie gehen noch zur Schule. Wenn sich ein Kind erkältet, sind alle krank. Dann gibt es nie genug Medikamente für alle.”

Als wir den Rumänen vor der Spar-Filiale in der Gumpendorferstraße am nächsten Tag besuchen, haben wir Weihnachtsgeschenke für ihn und seine Familie dabei. Die Tasche mit Lebensmitteln, Medikamenten und kleinen Aufmerksamkeiten für seine Kinder treibt ihm die Tränen in die Augen.

Auch Mario, ein fünfzigjähriger Rumäne, hat pragmatische Wünsche. Er sitzt auf einer Kiste aus Plastik vor einer Spar-Filiale und hofft, dass Passenten Kleingeld in seinen Pappbecher werfen. Winterschuhe, eine dicke Jogginghose und die Möglichkeit, Weihnachten bei seiner Familie in Rumänien zu verbringen, das sind seine Weihnachtswünsche. Als wir ihm seine Stiefel von Deichmann und Hose von Kult bringen, hält er kurz inne und zieht einen Schokoladenriegel und Lebkuchen, die er von einem anderen Passanten bekommen hat, aus seiner Jackentasche. „Das ist für Sie. Ein kleines Weihnachtsgeschenk von mir“, sagt er mit einem warmen Lächeln.

Auch die Weihnachtsengel-Aktion des sozialen Vereins MUT zeigt, wie wichtig schlichte, aber erfüllbare Wünsche sein können. Michaela Bauer ist Geschäftsführerin der Firma CulumNatura, die heuer zum sechsten Mal in Folge als “Weihnachtsengel” für Kinder in Not dient. Die “Weihnachtsengel” erfüllen die Wünsche von Familien in herausfordernden Lebenssituationen, indem sie ihnen Geschenke besorgen und verpacken. Bauer erzählt von bewegenden Momenten: „Es sind oft rührende Wünsche dabei, wie einfach ein Müsli. Das macht es umso wertvoller, helfen zu können.“

Armutsgefährdete Menschen gibt es nicht nur zu Weihnachten

Der 2005 gegründete Verein MUT setzt sich für Menschen in Österreich ein, die von Armut betroffen sind, und betreibt Projekte in den Bereichen Obdachlosenhilfe, Familienhilfe und Lebensmittelrettung. Obwohl der Verein hinter der Aktion “Weihnachtsengel” steht, betont seine Sprecherin Katharina Zedlacher, dass die Unterstützung von armutsgefährdeten Menschen nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr über wichtig ist. “Es geht darum, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen Respekt zu zeigen”, erklärt sie.

Neben materieller Hilfe setzt der Verein auch auf Bewusstseinsbildung, um Vorurteile gegenüber Armutsgefährdeten abzubauen. Stereotypen wie die Vorstellung, alle obdachlosen Menschen würden Drogen konsumieren, kritisiert Zedlacher scharf. “Suchterkrankungen sind oft erst eine Folge von schwierigen Lebensereignissen”, erklärt sie. Der Verein fordert mehr Verständnis und Empathie für die vielfältigen Ursachen von Armut und Obdachlosigkeit. Armut sei keine Frage des Charakters oder des Lebensstils. “Sie kann unversehens jeden treffen. Es ist wichtig, als Gesellschaft mit Respekt und Empathie auf die Betroffenen zuzugehen.”

Passanten behandeln Menschen wie Gheorghe nicht immer mit Respekt. Er hat sich daran gewöhnt, ignoriert oder sogar beleidigt zu werden. Allerdings erinnert er sich mit Freude an den Menschen, die ihm geholfen haben. “Vor kurzem hat mich ein Mann gefragt, was ich brauche. Dann hat er mich in den Laden mitgenommen und 100 Euro für Lebensmittel für meine Familie ausgegeben. Meine Kinder konnten eine ganze Woche lang Fleisch, Obst und Gemüse essen.”

Vor Armut ist niemand geschützt

Insbesondere während der Weihnachtszeit will der Verein MUT jede Gelegenheit nützen, das Bewusstsein für Themen wie Obdachlosigkeit und Armut zu schärfen. „Der Winter dauert länger als bis Weihnachten. Und erst nach dem Dezember kommen die richtig kalten Monate.”

Diese Begegnungen waren nicht nur für Gheorghe, Felix und Mario besonders, sondern auch für uns. Die Tränen der Dankbarkeit für unsere kleinen Geschenke, das freundliche Angebot, die Kirche zu besuchen, und das Teilen einer kleinen Schokolade zeigen, wie wichtig es ist, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Momente erinnern daran, dass Weihnachten nicht nur eine Zeit des Gebens ist, sondern auch eine Zeit der Verbundenheit.

Der Platz dieser Autorin in der campus a-Meisterklasse für Journalismus wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch die ÖBB.

1 Kommentar
Artjom Eichler

Ich finde diesen Artikel emotional, aufschlussreich und bewegend. Den Mann im ersten Bild kenne ich persönlich!

30 January 2025



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