Nach dem Zweiten Weltkrieg feierte sich Österreich als „erstes Opfer“ des Hitlerregimes und ignorierte die eigene Rolle in einer der blutigsten Epochen der Menschheitsgeschichte. Nationalsozialisten, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden, ehemalige NS-Sympathisanten in der Politik und die schnelle Verurteilung der schlimmsten NS-Täter – all das wurde verdrängt. Der Prozess der Entnazifizierung wurde rein bürokratisch abgewickelt. Die Gesellschaft stellte sich lieber als Opfer dar, statt sich mit den eigenen Verbrechen auseinanderzusetzen. Erst 1986, im Zuge der Waldheim-Affäre, kam es zu einer breiteren Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Der Mythos vom Opfer Österreichs wurde dadurch endgültig gebrochen.
Doch die Verdrängung von damals lebt weiter. Was einst als Unfähigkeit zur ehrlichen Auseinandersetzung begann, prägt heute die politische Kultur Österreichs. Skandale werden ignoriert oder mit Zynismus abgetan. Ein kurzer Moment der Empörung weicht schnell dem Alltag, als wäre nichts geschehen. Der Ibiza-Skandal oder die Verbindungen hochrangiger FPÖ-Politiker zu rechtsextremen Gruppierungen sind nur zwei Beispiele. Korruption, Falschaussagen und Amtsmissbrauch werden oft relativiert. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, liefern die Verantwortlichen dieselben Ausreden: „Falschdarstellung“ oder „verzerrte Berichterstattung“.
Die Bevölkerung trägt dabei eine Mitverantwortung. Sie schimpft zwar, wählt aber weiter dieselben Parteien. Veränderung gilt als anstrengend, Verantwortung als unangenehm. Das eigentliche Problem ist nicht nur das Fehlverhalten der politischen Akteure, sondern die Akzeptanz durch die Wählerschaft.
Im Jahr 2025 hat die Verdrängung eine neue Dimension erreicht: Sie ist systematisch. Der Skandal von gestern ist vergessen, der von heute wird ignoriert. Das kollektive Gedächtnis erinnert sich oft nur an Nebensächliches, während das Wesentliche ausgeblendet wird. Dieser Mechanismus mag bequem wirken, führt aber dazu, dass Fehler akzeptabel erscheinen.
Österreich muss endlich den Mut aufbringen, sich der eigenen Verantwortung zu stellen. Verdrängung und Ignoranz schaffen einen scheinheiligen Frieden, der langfristig in den Abgrund führt. Die Vergangenheit und die Gegenwart erfordern eine ehrliche Auseinandersetzung, um eine bessere Zukunft zu ermöglichen.