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Die Stadt als Hindernis: Defensive Architektur und ihre stillen Botschaften

In den Straßen Wiens zeigt sich ein subtiler, aber tiefgreifender Wandel im öffentlichen Raum. Defensive Architektur wurde entworfen, um bestimmte soziale Gruppen, darunter obdachlose Menschen, auszuschließen oder zu verdrängent. Martin, ein ehemaliger Obdachloser, der heute Stadtführungen mit seinem selbständigen Unternehmen Wien Nimmerland anbietet, gewährt Einblicke in seine Wahrnehmung und die Auswirkungen dieser Entwicklungen.
David Kiang  •  23. Januar 2025 Schüler      10
Defensive Architektur verhindert die Nutzung der Infrastruktur durch Randgruppen

Eine Gesellschaft der Ausgrenzung

“Mit großer Besorgnis” betrachten viele ehemalige Obdachlose wie Martin diese zunehmenden Maßnahmen. “Es zeigt sich hier ein deutlicher Trend zu Empathielosigkeit gegenüber Leuten, denen es schlechter geht als dem österreichischen Durchschnittsbürger”, erklärt er. Besonders der Praterstern, den er als “Gesamtkunstwerk an defensiver Architektur – à la menschliche Taubenabwehr” beschreibt, ist für ihn ein Sinnbild dieser Ausgrenzung.

Doch was genau ist defensive Architektur? 

Sie umfasst verschiedene Methoden, um den öffentlichen Raum unauffällig, aber effektiv zu regulieren. Beispiele dafür finden sich überall in Wien: Bänke mit Trennstangen verhindern, dass sich Menschen hinlegen können. Metallspitzen auf Fensterbänken und Blumenbeeten hindern daran, dass diese Flächen als Rastplätze genutzt werden. Selbst Wasseranlagen oder Hochfrequenztöne kommen zum Einsatz, um bestimmte Personengruppen zu vertreiben. Diese Maßnahmen sind oft auf den ersten Blick unscheinbar, doch ihre Botschaft ist klar: Nicht alle sind hier willkommen.

Solche Strategien schaffen nicht nur physische Barrieren, sondern tragen auch zu einer Atmosphäre der Ausgrenzung bei. “Man fühlt sich einfach unerwünscht”, sagt Martin, der aus seiner Zeit auf der Straße berichtet, wie oft er bestimmte Orte meiden musste. Die Gestaltung des öffentlichen Raumes vermittelt somit eine klare soziale Botschaft: Der Zugang wird unauffällig, aber gezielt eingeschränkt – oft zum Nachteil derjenigen, die bereits am Rand der Gesellschaft stehen.

Gegenentwürfe für eine solidarische Stadt

Trotz dieser Entwicklungen gibt es auch Gegenentwürfe, die zeigen, dass öffentliche Räume anders gestaltet werden können. Martin nennt autonome Projekte wie die Pankahyttn im 15. Bezirk als Beispiele für Orte, die trotz bescheidener Mittel Inklusion fördern. Diese alternativen Konzepte stehen jedoch in starkem Kontrast zu vielen städtischen Gestaltungsmaßnahmen, die oft Ordnung und Effizienz priorisieren.

Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten

Auf die Frage, was sich ändern müsste, meint Martin: “Vielleicht sollte man sich zum Ziel setzen, wieder etwas Empathie für Menschen in Notsituationen zu vermitteln.” Er betont, dass die Verantwortung für eine menschenfreundlichere Gestaltung nicht allein bei der Politik liegt. Auch die Wahrnehmung und das Engagement der Allgemeinheit spielen eine Rolle. “Der Durchschnittsbürger kann gegen defensive Architektur wenig unternehmen, denke ich”, sagt er nachdenklich. “Obwohl es wohl schon hilfreich wäre, wenn die Menschen überhaupt mal bemerken, dass sie existiert und sich dann (am besten zahlreich) kritisch dazu äußern würden.”

Defensive Architektur und ihre Folgen

Defensive Architektur mag auf den ersten Blick effizient und ordentlich wirken, doch ihre sozialen Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen. Sie schränkt den Zugang zum öffentlichen Raum ein und verstärkt bestehende Ungleichheiten. Die Gestaltung einer lebenswerten Stadt sollte jedoch nicht nur Ordnung und Kontrolle priorisieren, sondern auch Platz für Menschlichkeit und Solidarität schaffen.

1 Kommentar
Bernadette Krassay

Super Überschrift! Der Artikel ist wirklich interessant, ich wusste garnichts darüber. Ich würde mich freuen, mehr interessante Einblicke von dir in Artikeln zu erfahren!

24 January 2025



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