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Hauptsache billig: Tierwohl beim Einkauf zweitrangig

Bio und Regional, das zählt für Österreichs Konsumenten beim Einkaufen. Beim Tierwohl neigen sie eher zu Lippenbekenntnissen. „Ist mir sehr wichtig“, sagen sie bei Umfragen, doch im Supermarkt entscheiden sie sich dann doch lieber für billigere Produkte aus traditioneller Haltung. Warum eigentlich?
Lara Hassler  •  3. April 2025 Redakteurin    Sterne  118
Bio und Regional, das zählt für Österreichs Konsumenten beim Einkaufen. Beim Tierwohl neigen sie eher zu Libbenbekenntnissen. „Ist mir sehr wichtig“, sagen sie bei Umfragen, doch im Supermarkt entscheiden sie sich dann lieber für billigere Produkte. (Foto: shutterstock)
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Jeder kennt die Bilder von kahlen, auf engstem Raum zusammengepressten Hühnern, Schweinen, die auf Vollspalten-Böden ohne Bewegungsfreiheit vor sich hinvegetieren und Kühen mit offenen Eutern vom vielen Melken. Konsumenten wissen, wie die Tiere leben. Während sie ihre Haustiere liebevoll umsorgen, nehmen sie beim Einkauf das Leid der Nutztiere in Kauf. Alles herzlose Egoisten?  

Tierwohl-Produkte nicht beliebt

Umfragen dazu, ob den Österreichern Tierwohl wichtig ist, fallen immer positiv aus. Die Konsumenten kaufen diese Produkte jedoch kaum. „Wir haben in Österreich das größte Tierwohl-Angebot, aber es findet keine Mega-Resonanz“, sagt Spar-Vorstand Markus Kaser. 

Tierwohl-Siegel stehen etwa für mehr Platz in den Schweineställen, eine verpflichtende Betäubung bei der Ferkel-Kastration und Spielzeug für die Tiere. Die Konsumenten interessieren sich jedoch kaum dafür. „Im Supermarkt werden nur drei Prozent des Schweinefleisches in Bio-Qualität, bei der die Tiere auf Stroh gelebt haben, gekauft“, sagt Landwirtschaftsminister Totschnig. Die Kunden von Spar oder Billa legen lieber die günstigen Eigenmarken S-Budget und clever in den Einkaufswagen. Diskonter bieten Tierwohl-Produkte erst gar nicht oder nur begrenzt an. 

Laut einer Studie von Greenpeace und der Tierombudsstelle Wien stammen mehr als 90 Prozent des Schweinefleischs in Österreichs Supermärkten aus Massentierhaltung. 2,2 Millionen Schweine, fast siebzig Prozent, leben noch in Ställen mit Vollspaltenboden. Den Rindern geht es nicht besser. Nicht einmal die Hälfte der Tiere kann aus dem Stall heraus ins Freie. Bei den Legehühnern führen immer noch fast die Hälfte ein schweres Leben auf Sitzstangen und in Legenestern. Gibt es dafür mehrere Etagen, sind sogar 18 Hennen pro Quadratmeter Stallgrundfläche erlaubt.   

Tierwohl ist teuer

Für ein besseres Leben der Tiere müssten die Landwirte Zeit und Geld investieren. Ein Umbau eines Schweinestalls mit Vollspaltenboden kann bis zu 100.000 Euro kosten. Die Entsorgung von Kot und Urin wäre anschließend zeitaufwändiger. In Hühnerställen wären weniger Tiere pro Quadratmeter erlaubt. 

Bauern müssten für ein Ei oder eine Hühnerbrust also mehr Geld verlangen, um auf den gleichen Umsatz zu kommen. Gleiches gilt für die Milchproduktion. Werden die Kühe seltener gemolken, haben Bauern weniger Milch zu verkaufen. Ein Liter Milch müsste also mehr kosten, damit sie keinen Verlust machen. Die Kunden wollen für Fleisch, Eier und Milch aber nicht mehr bezahlen. Manche können es auch nicht.

„Konsumenten blenden Tierleid aus“

Auch Wohlhabende sparen lieber, als Tierleid zu vermeiden. „Grund für dieses unreflektierte Kaufverhalten ist die fehlende Nähe zum Tier“, erklärt die Verhaltenspsychologin Daniela Renn gegenüber campus a. „Wer zu den Nutztieren keinen Bezug hat, denkt über die Bedingungen, in denen sie leben, nicht nach.“ Erst wenn Menschen Bezug zu den Tieren entwickeln, würden sie anfangen, die Erzeugnisse daraus wertzuschätzen, so Renn. 

Unklarer Kennzeichnung

Hinzu kommt: Der Lebensmitteleinkauf basiert auf Gewohnheiten. Er ist etwas, das gemacht werden muss. Die wenigsten nehmen sich intensiv Zeit dafür. Während des Einkaufs will sich kaum jemand mit Gütesiegeln auseinandersetzen. Die Kennzeichnungen sind selten selbsterklärend. Wer wissen möchte, wofür sie stehen, kommt um eine intensive Recherche im Internet nicht herum. 

Anstatt sich die Zeit dafür zu nehmen, vertrauen Kunden lieber auf das Image Österreichs als Bio-Land mit strengen Qualitätsstandards. Dafür muss ein Produkt mit keinem Siegel versehen sein. „Die Menschen gehen davon aus, dass es den Tieren in der österreichischen Landwirtschaft gut geht, weil es ihnen die Werbung mit ihren glücklichen Tieren auf der Weide lange so suggeriert hat“, sagt die Tierwohl-Expertin Isabella Auberger von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. 

Regionalität wichtiger als Tierwohl

Den hohen Stellenwert von tierischen Erzeugnissen aus Österreich bei Kaufentscheidungen kann auch Kaser bestätigen: „Den Umfrage-Teilnehmern ist ein Stück Fleisch, von dem sie wissen, dass es in Österreich produziert ist, lieber, als ein Tierwohl-gelabeltes Produkt aus Dänemark.“ Verhaltenspsychologin Renn erklärt sich das so: „Dinge, die uns nahe sind, priorisieren wir.“ Sie meint damit jene Bilder, die Österreicher im Kopf haben, wenn sie an österreichische Tierhaltung denken. Werbespots mit glücklichen Kühen, die auf einer Alm grünes Gras fressen. Hühner, die Freilauf haben, wann immer sie wollen und das rosarote Schweinderl, das ein lieber Freund vom Bauern ist. Ein Blick in die Ställe verändert dieses idealistische Bild. 

Medial aufgepoppte Skandale um falsch deklarierte Produkte oder Massentierhaltung trotz Gütesiegel haben das Vertrauen der Konsumenten geschwächt. Daher gibt es unweigerlich Skeptiker, die glauben, Gütesiegel halten ohnedies nicht, was sie versprechen. Labels verstehen sie als Marketing-Strategie, die höhere Preise unter gleichen Bedingungen für die Tiere rechtfertigen soll.  

Niedrige Standards bei AMA-Gütesiegel

Eine gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung gibt es in Österreich bisher nur bei Eiern. Für die übrigen tierischen Produkte gibt es das AMA-Gütesiegel. Bei der Tierhaltung sind die AMA-Standards aber niedrig. Die Kriterien für das Siegel sind nur minimal strenger als das gesetzlich vorgeschriebene Minimum. Hinter tierischen Produkten mit AMA-Gütesiegel steckt meist konventionelle Stallhaltung. Es gibt keinen verpflichtenden Auslauf ins Freie und keine Bio-Anforderungen. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten kritisiert die niedrigen Standards. Die Organisation möchte mehr Bauern davon überzeugen, ihren Betrieb auf tierfreundlichere Bedingungen umzustellen. Dabei verweist sie auf staatliche Fördermöglichkeiten. 

Tierschutzorganisationen fordern Veränderung

Um den Forderungen nach mehr Tierwohl bei der Haltung von Nutztieren gerecht zu werden, hält Verhaltenspsychologin Daniela Renn die Bildungspolitik dazu an, Angebote zu schaffen, um Mensch und Nutztier miteinander vertraut zu machen. „Sinnvoll wären Bauernhof-Besuche im Kindergarten und in der Volksschule. Die Kinder treten mit den Bauernhof-Tieren direkt in Kontakt und können so ein Mitgefühl entwickeln“, sagt sie. Mit guter Aufklärungsarbeit könnte den Menschen das Wohlergehen der Nutztiere schon bald ebenso am Herzen liegen wie das von Hund und Katze.

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