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Anti-Baby Trend auf TikTok könnte Geburtenrate senken

In den sozialen Medien boomen Beiträge über verstörende Schwangerschaftserlebnisse. Kinder kriegen? Nur nicht! Das ist die Botschaft. Was ist da los? Und vor allem: Was ist dran an den Schreckensszenarien?
Kiki Camilla Manig  •  24. April 2025 Redakteurin    Sterne  58
Der aktuelle Anti-Baby Trend auf TikTok könnte Geburtenrate senken (Foto: Shutterstock)
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Hinter dem TikTok-Account @girlwiththelist1 steckt eine junge, rothaarige Content-Creatorin, die mit ihrem bissigen Humor und ihrer scharfen Kritik am traditionellen Frauenbild viral ging. Seit 2021 begründet sie unter dem Spitznamen „Zoomie“ auf TikTok und Instagram, warum sie keine Kinder möchte. Damit ist sie nicht die einzige Userin, die ihrem Unwillen, Kinder zu bekommen, Luft macht. Ein viraler Trend der Schwangerschaftsverweigerung greift um sich.

Zoomie ist mittlerweile weit über die Plattformen hinaus bekannt und Sinnbild der Childfree-by-Choice-Bewegung. Mütter teilen ihre Schwangerschaftskomplikationen unter dem Hashtag #girlwiththelist. Zoomie nimmt sie in ihre Anti-Baby-Liste auf und teilt sie mit ihren 1,1 Millionen Followern. Inzwischen hat sie dazu bereits Bücher (The Childfree List That Was So Long It Became A Book und Reasons to not have kids) veröffentlicht. Was ist dran an der neuen Schwangerschaftspanik?

Dr. Alex Farr, stellvertretender Leiter der Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin der Universitätsklinik Wien entwarnt. „Es gibt keinen Grund, Angst vor Schwangerschaften zu schüren.“ Je kranker eine Frau in eine Schwangerschaft gehe, desto größer sei das Risiko für Komplikationen, gesteht er zu. „Doch die allerwenigsten Krankheiten entstehen durch Schwangerschaften.“

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Ärzte statt Algorithmen 

Die Anti-Baby-Influencerinnen sehen das anders. Komplikationen wie Diabetes, Wirbelbrüche, Neurofibromatose (fleischige Wucherungen am Körper), Haarausfall und dauerhaft geschwollene Körperpartien wie etwa Nase oder Füße, stehen auf ihren Schreckenslisten. Allein Zoomie hat mehr als 84 Seiten an angstmachenden Einzelfällen dokumentiert. 

Hinzu kommt die Logik der Sozialen Medien, die unter den richtigen Bedingungen auch aus seltenen Einzelfällen Bedrohungen machen können. Denn die Plattformen priorisieren emotionale, extreme Inhalte. Wer einmal nach Schwangerschaftsrisiken sucht, sieht bald nur noch Schreckensmeldungen. Seltene Komplikationen wirken plötzlich häufig, Ausnahmen wie der Standard. Doch ist Kinderkriegen wirklich so harmlos?

„Es gibt Probleme, die sich tatsächlich nur während der Schwangerschaft entwickeln“, sagt Farr. „Schwangerschaftsdiabetes zum Beispiel, doch die Krankheit ist selten und verschwindet in der Regel nach der Geburt wieder. Wirbeleinbrüche sind sehr untypisch. Rückenschmerzen können schwangerschaftsbedingt auftreten, sind aber ungefährlich. Neurofibromatose mit Schwangerschaften in Verbindung zu bringen ist einfach falsch. Sie ist genetisch bedingt und durch viele Faktoren auslösbar. Haarausfall ist ebenfalls nicht durch die Schwangerschaft allein zu begründen, er ist immer ein Zeichen für eine hormonelle Umstellung oder einen Mangel an Spurenelementen, der sich leicht beheben lässt. Bei den Schwellungen in der Nase und den Füßen handelt es sich um Ödeme, die sich gewöhnlich nach der Schwangerschaft wieder zügig normalisieren.“ Bei übergewichtigen oder gesundheitlich anders vorbelasteten Frauen sei das Risiko für solche Komplikationen größer.

Kein Grund zur Sorge

Schwangerschaft ist für jeden Körper eine individuelle Erfahrung. Während sie für viele unkompliziert verläuft, gibt es auch Fälle, in denen der Körper dieser Belastung nicht standhalten kann. Geburten sind längst nicht mehr so lebensgefährlich wie einst, doch laut einer WHO-Studie starben im Jahr 2023 weltweit etwa 260.000 Frauen vor, während oder kurz nach der Geburt ihres Kindes. 

„Sterbefälle während der Geburt sind in Mittel-Europa und den Industrieländern äußerst selten“, sagt dazu Farr. „Sie sind eher ein Phänomen weniger entwickelter Länder. In Österreich sind am ehesten schwer vorerkrankte Frauen betroffen.“

Die häufigste Ursache für solche Sterbefälle sind Blutungen. Die sind in Österreich jedoch selten, da die Krankenhäuser über die nötigen Mittel und Medikamente verfügen, um sie in den Griff zu bekommen.

In Österreich ist die häufigste Komplikation die Thrombose. Danach folgen Bluthochdruckerkrankungen und Infektionen. Doch auch dies sollten laut Farr keine Frau ihren Kinderwunsch aufgeben lassen. Wer gesund in eine Schwangerschaft starte, können jedenfalls mit einem guten Verlauf rechnen. 

Gute Vorbereitung, etwa durch eine ausgewogene und vitaminreiche Ernährung, ist empfehlenswert. Ebenso wie eine Vorsorgeuntersuchung und eine positive Grundeinstellung. Zudem empfiehlt sich die Lektüre der Bücher, die Gynäkologen und viele Hebammen zum Thema geschrieben haben. 

Babyflaute

Studien belegen trotzdem, dass die Angst vor Schwangerschaft, Wehen und Geburt verbreitet ist. Diese sogenannte Tokophobie, der meist jede medizinische Grundlage fehlt, verbreitet sich nun über die Sozialen Medien besonders gut. Ob hier auch ein Zusammenhang mit der rückläufigen Geburtenrate besteht, ist fraglich. Ausschlaggebend sind hier die Familienplanung und die Karriereplanung von Frauen. Das Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt in Österreich lag im Jahr 2023 bei 31,5 Jahren, nach 27,3 Jahren im Jahr 1992. Dazu kommen häufigere partnerschaftliche Instabilität und wirtschaftliche Unsicherheiten. Die Kriegszeiten spielen ebenfalls eine Rolle. „Es ist bekannt, dass da die Geburten zurückgehen“, sagt Farr.

Reproduktionsmediziner Johannes Huber sitzt im Arztkittel am Schreibtisch.Reproduktionsmediziner Johannes Huber: „Die Köpfe von Neugeborenen werden größer, was den Trend zu Kaiserschnitten erklärt. Insgesamt waren Geburten aber noch nie so sicher wie jetzt.“ (Foto: Lukas Beck)

Jeder Körper ist anders

Der Anti-Baby-Trend in den Sozialen Medien ist ein neues Phänomen, nicht aber die Tokophobie. „Geburten hatten immer schon Trauma-Potential“, sagt der Reproduktionsmediziner Johannes Huber, „und es wächst.

Zum Beispiel deshalb, weil die Köpfe der Babys immer größer werden, was Geburten beschwerlicher macht und ein Grund für den Trend zum Kaiserschnitt ist.“ 

Die Evolution hat vorgesorgt, damit Mütter nach dem ersten Kind nicht schon genug haben. Die Erinnerung der meisten Mütter an die Strapazen der Geburt schwindet bald wieder. Dafür sorgt ein komplexes Zusammenspiel von Hormonen. Besonders Oxytocin, auch als „Kuschelhormon“ bekannt, spielt dabei eine Rolle. Es fördert die Bindung zum Kind, wirkt schmerzlindernd und vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Nähe. Endorphine tragen zusätzlich zu einem euphorischen Zustand bei, der den Geburtsschmerz im Nachhinein abschwächen kann. Zusammen mit Östrogen und Progesteron, deren Spiegel sich nach der Geburt neu einpendeln, entsteht so ein hormonelles Umfeld, das unangenehme Erinnerungen mildert und die positiven Aspekte von Geburt und Mutterschaft in den Vordergrund rückt. Andernfalls wäre die Menschheit vielleicht tatsächlich schon ausgestorben. Die Experten sind sich allerdings einig, dass Kindergebären noch nie so sicher war wie jetzt.


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