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Anpassung siegt: Wie Soziale Medien Individualität verdrängen

Social-Media-Plattformen verkaufen sich immer noch als Räume für Kreativität und Selbstverwirklichung. Doch ihre Algorithmen sind auf Gleichmacherei ausgerichtet. Wer in dem System bestehen will, muss sich fügen.
Robert Gafgo  •  21. Mai 2025 Redakteur    Sterne  386
Was oberflächlich wie ein unbedenklicher Zeitvertreib wirkt, kann auf Dauer tiefgreifende Folgen auf das eigene Verhalten haben. (Foto: Shutterstock)
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Die Individualität stirbt. Jeden Tag und zu jeder Stunde. Nicht mit einem lauten Knall, sondern schleichend. Unbemerkt dressieren soziale Medien ihr Millionenpublikum zur Mittelmäßigkeit. Indem die Algorithmen der Social-Media-Plattformen jene Inhalte mit Reichweite belohnen, die sich dem Massengeschmack anpassen, vermitteln sie ihrem Publikum die Botschaft: Anpassung siegt. Währenddessen sind abweichende Inhalte chronisch benachteiligt und nur selten von Erfolg gekrönt.

Ein Blick auf die Welt der Influencer genügt, um diese Entwicklung zu veranschaulichen. Egal ob bei Fitness, Mode, Reisen oder Selbstoptimierung, das Erscheinungsbild ist genormt. Die Botschaften sind so glattgebügelt und austauschbar wie die Influencer selbst. Kaum jemand tanzt aus der Reihe. Es gilt, den Spielregeln des Algorithmus zu folgen, um nicht an Reichweite einzubüßen. Die einstige Vielfalt und die kreative Selbstverwirklichung, die die Social-Media-Kultur in ihrer Frühphase ausmachten, wichen einer gnadenlosen Kommerzialisierung. Inmitten des kreativen Vakuums zählt nur eines, die algorithmisch optimierte Uniformität.

Der Algorithmus im Kinderzimmer

Besonders tief kann dieser Mechanismus in die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen eingreifen. Tägliche Bildschirmzeiten von bis zu sieben Stunden und darüber sind keine Seltenheit mehr, wie Pädagogen und Erziehungsberechtigte berichten. Ein Großteil davon entfällt auf soziale Medien, insbesondere auf TikTok.

Neben den üblichen Gefahren wie der Radikalisierung oder einem deformierten Selbstbild prägt sie der Social-Media-Konsum auch auf subtilere Weisen: sie verlieren systematisch die Fähigkeit, selbstständig und vor allem kritisch zu denken. Stattdessen gleichen viele ihr Weltbild jener Filterblase an, in die sie ihr personalisierter Algorithmus treibt. Das Spektrum reicht von Rechtsradikalismus bis Salafismus.

Momentan wächst eine neue Generation von Konsumopfern sozialer Medien heran. Wie und ob sie sich in die Gesellschaft eingliedern können, werden die kommenden Jahre zeigen.

Ein reales Trugbild

Also was tun? Zunächst gilt es, die aktuelle Situation klar zu erkennen. Der Kipppunkt, an dem die digitale Präsenz für viele schwerer wiegt als das reale Leben, wurde längst überschritten. Dennoch dringt nur langsam ins gesellschaftliche Bewusstsein, welche Folgen und Gefahren sich daraus ergeben. Was geschieht wirklich, wenn sich ein Großteil des Lebens nicht mehr in der echten Welt ereignet, sondern auf den Plattformen einiger weniger privater Social-Media-Anbieter? Wie verändert der Algorithmus menschliches Verhalten und Denken?

Wer die Mechanismen sozialer Medien durchdringen will, muss auch die Machtstrukturen dahinter verstehen. Die Betreiber entscheiden, welche Inhalte Sichtbarkeit erhalten und welche verschwinden. Ihre Algorithmen beeinflussen politische Meinungsbildung und treiben gesellschaftliche Spaltung voran. Wer Social Media bloß als unterhaltsames Freizeitvergnügen betrachtet, verkennt die Realität und gerät leicht in Abhängigkeit.

Was es braucht, ist nicht weniger als der Mut, für sich selbst zu denken.


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