
Margaret Thatcher, die von 1979 bis 1990 als erste Frau Großbritanniens das Amt der Premierministerin innehatte, arbeitete bis tief in die Nacht und stand früh wieder auf. Kein Wecker bestimmte ihren Tag. In einem Interview erklärte sie einmal: „Sleep is for wimps.“ Schlaf galt ihr als Zeichen von Schwäche. Auch ihre Biografen behaupteten, sie sei mit vier Stunden Schlaf ausgekommen. Enge Mitarbeiter berichteten, sie habe selbst nach langen Nächten um sechs Uhr morgens wieder gearbeitet.
Auch der amerikanische Erfinder Thomas Edison hielt Schlaf für überflüssig. Bei ihm waren es manchmal sogar nur drei Stunden pro Nacht, ergänzt durch kurze Nickerchen tagsüber. Indra Nooyi, ehemalige Vorstandschefin des Getränkekonzerns PepsiCo, zeigte sich ebenfalls als Kurzschläferin und verwies auf ihre disziplinierte Lebensweise. Auch Elisabeth Gürtler, Grand Dame des Wiener Hotels Sacher, erzählt in einem jüngst erschienen Buch über ihre kaum vierstündige Schlafdauer. Aber geht das wirklich oder ist da immer auch ein bisschen Selbstbetrug oder -inszenierung dabei?
Seit US-Präsident Donald Trump mehrfach behauptete, mit vier Stunden Schlaf auszukommen, wirkt die Vier-Stunden-Behauptung zunehmend wie ein Element narzisstischer Selbstverklärung. Trump präsentierte seine kurzen Nächte klar als Beleg für Energie, Tatkraft und Überlegenheit. Wenig Schlaf sollte seine Ausdauer beweisen.
Der Gedanke, mit wenig Schlaf mehr zu leisten, fasziniert weit über die Welt Prominenter hinaus. In einer Gesellschaft, die Selbstoptimierung, Effizienz und ständige Verfügbarkeit schätzt, erscheint geringer Schlafbedarf als Zeichen radikaler Entschlossenheit. Wer nur vier Stunden schläft, wirkt diszipliniert, effizient und fast übermenschlich.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Für fast alle Menschen bleibt das unerreichbar. Doch es gibt Hinweise auf genetische Ausnahmen. Forscher entdeckten bei einer siebzigjährigen Frau eine seltene Veränderung im SIK3-Gen, das an der Regulation zellulärer Prozesse beteiligt ist. Sie berichtete, nur drei Stunden pro Nacht zu schlafen. Messgeräte belegten eine durchschnittliche Schlafdauer von 6,3 Stunden. Auch das ist ungewöhnlich wenig. Gesundheitliche Schäden ließen sich bei ihr nicht feststellen.
Die SIK3-N783Y-Mutation verändert ein Enzym, das den Schlaf direkt beeinflusst. Um ihre Wirkung besser zu verstehen, testeten Wissenschaftler die Mutation an Mäusen. Tiere mit dieser genetischen Variante schliefen etwa dreißig Minuten weniger als andere. Nach Schlafentzug benötigten sie weniger Erholung.
Die Studienergebnisse deuten auf eine veränderte Schlafhomöostase hin, also auf jenen biologischen Mechanismus, der unsere Müdigkeit steuert. Die neue Mutation ergänzt bisher bekannte Varianten wie DEC2, die ebenfalls natürlichen Kurzschlaf begünstigen. Forscher hoffen, daraus künftig neue Therapien gegen Schlafstörungen zu entwickeln.
Wie lange Menschen schlafen, hängt nicht nur von Genen ab. Auch kulturelle Prägungen beeinflussen das Schlafverhalten. In Japan schlafen viele Menschen im Schnitt nur sechseinhalb Stunden. Öffentliches Dösen, das sogenannte Inemuri, gilt dort nicht als Schwäche, sondern als Ausdruck von Fleiß.
In Spanien und Mexiko hat sich die Tradition der Siesta erhalten. Menschen schlafen über den Tag verteilt, essen später zu Abend und gehen später ins Bett. In traditionellen Jäger- und Sammlergesellschaften wie bei den Hadza in Tansania oder den San in Namibia schlafen Menschen oft in mehreren Phasen, meist gemeinsam. Ihre Gesamtschlafzeit ist gering, die Qualität hoch.
Wer keine genetische Mutation besitzt und dennoch dauerhaft nur vier Stunden schläft, riskiert seine Gesundheit. Schon wenige Nächte mit stark verkürztem Schlaf führen zu Konzentrationsmängeln, Gereiztheit und Gedächtnisproblemen. Chronischer Schlafmangel erhöht das Risiko für Herzkrankheiten, Diabetes, Depressionen und Demenz. Auch das Immunsystem leidet. Entzündungen nehmen zu, Zellen altern schneller. Bereits eine Nacht mit nur vier Stunden Schlaf verändert nachweislich die Immunantwort. Die meisten Menschen brauchen sieben bis neun Stunden Schlaf für langfristige Gesundheit.
Einige wenige Menschen dürften allerdings tatsächlich weniger Schlaf benötigen, wie viele es sind, ist ungewiss. Der Immunologe Deepta Bhattacharya von der University of California schläft vier Stunden pro Nacht und bleibt leistungsfähig. Er trägt eine seltene Veränderung im DEC2-Gen, die seine Schlafstruktur beeinflusst. Wissenschaftler konnten bei ihm weder Leistungseinbrüche noch gesundheitliche Probleme feststellen.
Auch Ying-Hui Fu, Neurowissenschaftlerin an der Universität von Kalifornien, entdeckte diese Mutation bei mehreren Familienmitgliedern. Sie forscht seit Jahren zu genetisch bedingtem Kurzschlaf und gilt als Expertin auf diesem Gebiet.
Margaret Thatcher gehörte wahrscheinlich nicht zu diesen genetischen Ausnahmen. Auch wenn sie den Schlaf verachtete und Disziplin betonte, werfen ihre letzten Amtsjahre Fragen auf. Ihre zunehmenden Gedächtnisprobleme könnten eine Spätfolge des Schlafmangels gewesen sein. Vielleicht zahlte sie den Preis für einen Mythos, der für fast alle Menschen unerreichbar bleibt. Und Trump? Alleine seine Flug- und Autoreisen dürften ihm Gelegenheit geben, sein Schlafpensum über das behauptete hinaus zu erhöhen.
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