
In den Slums von Maseru, der Hauptstadt Lesothos, und im Norden des Landes sind viele junge Menschen arm, perspektivlos und drogenabhängig. Eine Dosis Crystal Meth kostet in den Townships umgerechnet zwischen fünfzig Cent und 2,50 Euro. Der niedrige Preis hängt mit Lesothos Nähe zu Südafrika zusammen, einem der Hauptproduzenten von Crystal Meth. Über Arbeitsmigranten und kriminelle Netzwerke gelangt die Droge über die Grenze.
Einen eigenen Schuss Meth können sich bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von umgerechnet 1.250 Euro nur die wenigsten leisten. Getrieben von der Sucht, teilen Jugendliche sich stattdessen eine Dosis und die Kosten dafür. Einer spritzt sich die Droge, die anderen nehmen ihm Blut ab und injizieren es sich in ihre Venen. So bekommen auch sie etwas von dem Rausch ab, wenn auch in abgeschwächter Form.
Die Wirkung ist beim „Bluetoothing“ ungewiss, das seinen Namen von der kabellosen Übertragung von Daten via Bluetooth hat. „Bei der Menge an Drogen, die geteilt werden kann, ist von maximal einem Hundertstel der Dosis auszugehen. Relevante berauschende Effekte entstehen dabei nicht“, sagt etwa Georg Wietzorrek, Facharzt für Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Universität Innsbruck.
Auch Antonia Müller, Leiterin der Universitätsklinik für Transfusionsmedizin und Zelltherapie an der Universität Wien, geht beim „Bluetoothing“ von keiner ausreichenden Drogenmenge für einen Rausch aus: „Die Konzentration der Substanzen dürfte nach Verdünnung durch das Gesamtblut zu gering für einen Effekt sein.“ Weil die Aufklärung über Drogen in dem Land schlecht ist, hält sich in der Gesellschaft der Mythos, die Wirkung von Substanzen lasse sich über das Blut übertragen. Das Teilen des Blutes hat auch eine symbolische Bedeutung. Menschen, die sich keine eigenen Drogen leisten können, erhalten über „Bluetoothing“ Zugehörigkeit zur Gruppe.
Das Komplikationsrisiko ist auch ohne berauschende Wirkung hoch. „Eine Bluttransfusion kann ohne Verträglichkeitsprüfung immer lebensbedrohlich sein“, sagt Regina Walter-Philipp, Ärztliche Leiterin der Suchthilfe Wien. Ist die Blutmenge bei einer Transfusion gering, kann es bei inkompatiblen Blutgruppen zu einer allergischen Reaktion kommen. „Eine Unverträglichkeit des fremden Bluts äußert sich durch ein Schwindelgefühl oder Schweißausbrüche. Es ist gut möglich, dass Betroffene diese Reaktion als Rauschzustand wahrnehmen“, sagt Müller.
Auch das Risiko, sich mit einer Infektionskrankheit anzustecken, ist beim „Bluetoothing“ hoch. Lesotho ist das Land mit der höchsten HIV-Rate weltweit. Jeder vierte Erwachsene leidet an der Immunkrankheit. 14 Prozent aller Todesfälle sind auf sie zurückzuführen. Praktiken wie „Bluetoothing“ beschleunigen die Ausbreitung von HIV und erhöhen die ohnehin schon hohe Sterblichkeitsrate im Land. Auch die Übertragung von Hepatitis B und C ist bei Blutkontakt am wahrscheinlichsten. Eine Infektion kann ohne Behandlung tödlich enden.
„Bluetoothing“ stellt eine zusätzliche Belastung für das Gesundheitssystem des Landes dar. Die medizinische Infrastruktur ist schwach. „Es fehlt an allem: Medikamente, Gesundheitseinrichtungen und Personal. In ländlichen Regionen ist die Versorgung noch schlechter als in der Stadt“, sagt Wietzorrek, der sich mit molekularer und zellulärer Pharmakologie beschäftigt. Auf einen Arzt kommen im Schnitt 10.000 Einwohner. In zahlreichen Kliniken sind daher keine Ärzte, sondern nur Pflegekräfte mit begrenztem Wissen über Infektionskrankheiten beschäftigt. Dazu kommt: Drogenabhängige sind oft von der Gesellschaft ausgeschlossen und haben dementsprechend kaum Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem.
Viele Menschen kommen in Lesotho schon als Minderjährige in Kontakt mit Drogen. Das zeigt ein dieses Jahr veröffentlichter Bericht der NGO „Heal Our Land“, demzufolge 68 Prozent der Schüler im Norden des Landes zumindest einmal in ihrem Leben eine illegale Substanz konsumiert haben. Die Politik hat das Drogenproblem des Landes lange Zeit totgeschwiegen. Im Jahr 2023 machte die NGO „Mokhosi oa Mangoana“ zum ersten Mal öffentlich auf die Praxis des „Bluetoothing“ aufmerksam.
Nachdem ihr drogenabhängiger Sohn sie mit zwanzig Messerstichen schwer verletzt hatte, gründete Mamphana Molotsi zusammen mit Pontšo Tumisi die Organisation, deren Name übersetzt so viel wie „Der Schrei der Mutter“ bedeutet. Auch Tumisi ist Mutter eines drogenabhängigen Kindes.
Eltern wissen oft nicht über den Drogenmissbrauch ihrer Kinder Bescheid. „Eltern kaufen ihren Kindern Dinge wie Meth-Pfeifen, im Glauben, es handle sich um Schulsachen. Sie wissen nichts über über schädliche Substanzen “, sagt Tumisi. Um Eltern und Kinder für das Thema zu sensibilisieren, leistet die Organisation Präventionsarbeit, etwa mit Vorträgen an Schulen oder Info-Ständen in der Nähe von Sporteinrichtungen. Um Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B und C sowie Blutvergiftungen vorzubeugen, setzen sich die Mütter auch für einen besseren Zugang zu sauberen Nadeln ein.
Heute ist die NGO eine bedeutende Stimme im nationalen Diskurs über Drogenprävention. „Mokhosi oa Mangoana“ fordert von der Politik strengere Gesetze gegen Drogenhandel und den Ausbau von Rehabilitationszentren. Ärzte sprechen sich für den Ausbau der Aufklärungsarbeit an Schulen und die Teilnahme des Landes an internationalen Anti-Drogen-Programmen, wie das Integrierte Programm zur Verringerung der Drogennachfrage der UNO, aus. Das lesothische Gesundheitsministerium kündigte an, politische Maßnahmen zur Drogenprävention umsetzen zu wollen. Konkrete Programme und das Budget dafür lassen auf sich warten. „Es fehlt an politischem Willen, die Ideen umzusetzen“, sagt Tumisi.
Neben Lesotho kommt „Bluetoothing“ auch in anderen Ländern im südlichen Afrika vor. Dokumentiert ist die Praxis etwa in Südafrika, Sambia, Namibia und Mosambik. Dabei handelt es sich jedoch keinesfalls um ein afrikanisches „Kulturphänomen“, sondern ein Symptom von Armut, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit in vernachlässigten Regionen. Die Ärzte schließen eine Ausbreitung in andere Gegenden Afrikas, nach Europa, Österreich und Wien aus.
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