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Lebensmittel im Müll: Neue Initiativen beim Marktführer Spar

Fast vierzig Prozent aller Lebensmittel landen weltweit im Müll. Der Lebensmittelhandel gilt vielfach als Hauptschuldiger. Österreichs Marktführer Spar setzt inzwischen Künstliche Intelligenz ein, die unter anderem anhand von Wetterdaten den Verbrauch voraussieht. Doch die Hauptverursacher der großen Verschwendung sind nicht die Supermärkte.
Julia Ehrensberger  •  4. Juni 2025 Redakteurin    Sterne  158
Zu den Hauptverursachern der Lebensmittelverschwendung gehören private Haushalte. Am meisten Initiativen dagegen setzen die Handelsketten. (Foto: Shutterstock)
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Intelligente Logistik

Ein durchschnittlicher Supermarkt muss täglich etwa ein bis zwei Prozent seiner Waren wegwerfen. Bei Österreichs Marktführer Spar liegt die Verkaufsquote bei rund 99 Prozent. Artikel, die abzulaufen drohen, kommen in den Abverkauf oder erhalten Rabattaufkleber. Lukas Wiesmüller sagt: „Die wichtigste Maßnahme im Kampf gegen die Verschwendung ist die tägliche exakte Bestellung.“ Jeder Markt bestellt über Nacht, die Lieferung erfolgt am nächsten Tag. Künstliche Intelligenz berechnet die Bestellmengen und bezieht dabei Faktoren wie Wetter, Ferien, Aktionen oder Feiertage mit ein.

Wenn etwa ein sonniges Wochenende bevorsteht, meldet Spar frühzeitig den genauen Bedarf an Melonen bei spanischen Landwirten. Die Prognosegenauigkeit liegt bei über 90 Prozent. Dadurch ist sichergestellt, dass in der jeweiligen Filiale genau dann die gebrauchte Menge verfügbar ist. So verhindert das Unternehmen Übermengen in Österreich.

Bleiben genießbare Reste übrig, gibt Spar sie an soziale Einrichtungen weiter. Die müssen die Produkte rechtzeitig abholen, damit das funktionieren kann. In ländlichen Regionen ist das nicht immer möglich, da Sozialmärkte meist nur ein- oder zweimal pro Woche geöffnet haben. In Städten wie Wien ist die Lage besser, dort holen Suppenküchen oder andere Initiativen überschüssige Lebensmittel oft täglich ab.

Was niemand abholt, landet im Biomüll. Ist ein Produkt nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet, nutzt Spar es in der Lebensmittelverarbeitung oder lässt es zu Tierfutter verarbeiten. Erst danach folgen Biogaserzeugung oder Kompostierung als letzte Stationen in der Verwertungskette.

Digital verkaufen statt spenden

Spar kooperiert seit 2021 zudem mit TooGoodToGo. Eine App, mit der Betriebe überschüssige Lebensmittel zu günstigen Preisen anbieten und Nutzer diese vor dem Wegwerfen retten können. In etwa 700 Spar– und Eurospar-Filialen sowie an ausgewählten Interspar-Standorten können Kunden diese „Überraschungssackerln“ abholen. Der genaue Inhalt der Sackerl ist nicht immer bekannt. Im Unterschied zu klassischen Tafelspenden versteht Spar die Zusammenarbeit mit der Plattform als regulären Verkaufskanal. „Das ist keine Sozialorganisation, sondern vergleichbar mit einem Online-Shop“, erklärt Lukas Wiesmüller, Nachhaltigkeitsleiter bei Spar.

Die Menge an Lebensmitteln, die Spar an soziale Einrichtungen spendet, liegt weiterhin deutlich über jener, die über TooGoodToGo läuft. Allerdings ist das Spendenvolumen in den vergangenen Jahren leicht zurückgegangen. Das liegt unter anderem daran, dass Spar neben TooGoodToGo auch eigene Obst- und Gemüsekisten eingeführt hat. Hinzu kommt, dass Tafeln bestimmte Produkte grundsätzlich nicht annehmen, etwa belegte Weckerl oder kleinere Mengen an Brot und Gebäck. Tafeln holen meist nur größere Warenmengen ab.

200 Sozialorganisationen

2022 gingen rund 0,1 Prozent der Waren gingen über die App TooGoodToGo an Kundinnen und Kunden. Weitere 0,4 Prozent gelangten an Sozialmärkte. Etwa ein Prozent der Lebensmittel musste das Unternehmen entsorgen. Entweder weil sie nicht mehr genießbar waren oder Spar sie aus rechtlichen Gründen nicht spenden durfte. Besonders betroffen sind Produkte mit wie Fleisch, Fisch oder Eier, bei denen nach Ablauf keine Weitergabe erlaubt ist.

Insgesamt arbeitet Spar mit rund 200 sozialen Organisationen wie auch Tischlein deck dich oder dem Roten Kreuz zusammen, die auf etwa 700 Filialen verteilt Lebensmittel abholen. Der Neuwert der gespendeten Produkte entspricht rund 24 Millionen Euro.

Wohin mit den Adventskalendern?

Spar verkauft Lebensmittel wie Schwarzbrot vom Vortag, die trotz nahendem Mindesthaltbarkeitsdatum noch qualitativ einwandfrei sind, zu reduzierten Preisen. Obst, Gemüse, Brot, Gebäck, belegte Weckerl und Milchprodukte verderben besonders schnell und müssen deshalb zügig weg. Lagerprodukte wie Reis, Nudeln, Mehl, Getränke oder Gewürze sind kaum betroffen. Bier bleibt beispielsweise bis zu zwölf Monate haltbar. Saisonartikel wie Osterhasen oder Adventskalender, die sich ab einem gewissen Stichtag nicht mehr verkaufen, spendet Spar gemeinsam mit den Herstellern direkt an soziale Organisationen, statt sie zurückzugeben.

Zwei Fahrer pro LKW sichern die lückenlose Kühlkette, selbst Ware aus Sizilien kommt über Nacht in Österreich an. Frische Produkte lagert Spar nicht ein, sondern liefert sie direkt in die Filialen. So entfallen lange Lagerzeiten und das Risiko sinkt, dass Ware verdirbt. Ebenfalls passt Spar sein Sortiment an die Nachfrage der jeweiligen Stadtteile an, um die Abfälle zu reduzieren. Was sich gut verkauft, wird nachbestellt, was sich nicht bewährt, verschwindet aus dem jeweiligen Sortiment.

„Ziel ist eine gute Balance“

In einigen Regionen dürfen Mitarbeiter bei Spar bereits übrig gebliebene Lebensmittel in sogenannten gemischten Sackerln mitnehmen. Das Modell gibt es jedoch noch nicht flächendeckend. Unabhängig davon achten Mitarbeiter darauf, Lebensmittelabfälle so gering wie möglich zu halten. Sie lernen, wie sie Preisreduktionen sinnvoll einsetzen, Regale regelmäßig kontrollieren und Waren richtig lagern und trennen. Dabei müssen sie die Kühlkette beachten, die Hygiene berücksichtigen und stellen sicher, dass sich Produkte rückverfolgen lassen. Nur so lassen sich Lebensmittel auch korrekt spenden.

Künftig möchte Spar seine Mitarbeiter dabei noch gezielter unterstützen. Ein neues System soll zeigen, welches Mindesthaltbarkeitsdatum ein Produkt trägt und ob bereits Ware mit einem kürzeren Mindesthaltbarkeitsdatum noch im Regal ist. Auf diese Weise verkaufen sie Produkte mit kürzerer Haltbarkeit rechtzeitig und vermeiden Verluste. „Ziel ist eine gute Balance. Rechtzeitig reduzieren, damit nichts verdirbt, aber nicht zu früh, um keinen unnötigen Verlust zu machen“, so Lukas Wiesmüller, Leiter im Bereich Nachhaltigkeit bei Spar.

Was Hofer und Billa tun

Auch Hofer setzt sich gegen Lebensmittelverschwendung ein. Alle Filialen spenden regelmäßig überschüssige Lebensmittel an Tafeln und karitative Organisationen. In Kooperation mit dem Unternehmen Unverschwendet werden Überschüsse aus der Lieferkette zu Produkten wie Aufstrichen, Pestos und Konfitüren verarbeitet. Auf diese Weise konnten bereits mehr als 500 Tonnen Lebensmittel gerettet werden. Obst und Gemüse mit optischen Mängeln kommt unter dem Label „Krumme Dinger“ in den Handel. Zusätzlich arbeitet Hofer mit der Plattform TooGoodToGo zusammen und verwertet nicht mehr verkaufsfähige Lebensmittel auch zur Herstellung von Tierfutter.

Im Jahr 2021 spendete die Billa Family Lebensmittel im Wert von 27 Millionen Euro an Organisationen wie Caritas, SOMA und an verschiedene Tafeln. Mit Aufklebern wie „Lebensmittel sind kostbar“ und dem Verkauf von Obst und Gemüse mit kleinen Schönheitsfehlern unter dem Namen „Wunderlinge“ wirbt Billa für mehr Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln. Darüber hinaus kooperiert der Händler mit Initiativen wie TooGoodToGo, Unverschwendet und BRüSLi, um überschüssige Produkte sinnvoll weiterzugeben oder weiterzuverarbeiten. BRüSLI verwandelt überproduziertes, aber noch genießbares Brot in Müsli.

Mythos Vorbild Frankreich?

2020 hat die EU den Einzelhandel verpflichtet, seine Verluste bis 2030 um dreißig Prozent zu reduzieren. Beim Handel liegt Österreich im europäischen Mittelfeld, gemeinsam mit Frankreich. Während der Anteil des Handels an Lebensmittelabfällen in Frankreich vierzehn Prozent beträgt, liegt er hierzulande bei neun Prozent.

Dabei gilt Frankreich als Vorbild: Seit 2016 dürfen Supermärkte dort keine genießbaren Lebensmittel mehr wegwerfen. Sie müssen sie spenden oder weiterverwerten. Bei Vergehen drohen hohe Geldstrafen. Doch ein genauer Blick zeigt Widersprüche. In Frankreich verderben in Supermärkten trotz Verbot rund ein Drittel mehr Lebensmittel als in Österreich. Auf die Gesamtmengen betrachtet zählt Frankreich trotzdem zu den Ländern mit dem geringsten Anteil verschwendeter Lebensmittel in Europa.

16.200 Tonnen entsorgt

In Österreich regelt das Abfallwirtschaftsgesetz, wie mit überschüssigen Lebensmitteln umzugehen ist. Zuerst verwenden, dann wiederverwenden und anschließend verwerten. “Es kann nicht sein, dass in Zeiten der Teuerung, in denen viele Menschen nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen, tausende Tonnen Lebensmittel einfach weggeworfen werden”, so Ex-Umweltministerin Leonore Gewessler, die federführend an der Novelle beteiligt war.

Die im Jahr 2023 verabschiedete Änderung in jenem Gesetz zielt darauf ab, den Umgang mit überschüssigen Lebensmitteln transparenter zu machen. Sie zielen darauf ab, Betriebe stärker in die Pflicht zu nehmen und verwertbare Lebensmittel zu spenden statt zu entsorgen. Im letzten Quartal 2023 reichten 250 Supermärkte mit rund 4.000 Verkaufsstellen erstmals eine Meldung gemäß den Vorgaben des Abfallwirtschaftsgesetzes ein. Sie haben demnach miteinander mehr als 16.200 Tonnen Lebensmittel entsorgt und knapp 4.900 Tonnen gespendet.

Lukas Wiesmüller, Nachhaltigkeitsleiter bei Spar, hält ein gesetzliches Verbot nach französischem Vorbild in Österreich für nicht notwendig. Sebastian Bohrn Mena, Sprecher der Bürgerinitiative oekoreich argumentiert dagegen: „Freiwilligkeit funktioniert nicht, die Regierung muss eingreifen. Italien, Frankreich oder Tschechien zeigen, dass es geht.”

Ungezählte Verluste am Feld

Zum Sektor Landwirtschaft fehlen belastbare Zahlen. Die Statistiken zur Lebensmittelverschwendung erfassen sie nur, wenn Bauern Produkte nach der Ernte direkt entsorgen, etwa über die Biotonne. Das kommt jedoch selten vor. Viel häufiger bleiben nicht vermarktbare Lebensmittel wie zu kleine Kartoffeln oder krumme Karotten direkt am Feld. Die gelten dann nicht als Müll, sondern dienen oft als Kompost oder Dünger für die nächste Saison. Da sie wieder in den natürlichen Kreislauf zurückkehren, scheinen sie in der Statistik nicht auf. Die Mengen können allerdings je nach Sorte und Qualität der Ernte erheblich sein. 

Hauptsünder sind Privathaushalte

In Österreich fallen jährlich rund eine Million Tonnen Lebensmittelabfälle an. Die Folgen: enorme Klimabelastung und Milliardenverluste. Fast vierzig Prozent aller weltweit produzierten Lebensmittel landen nie auf einem Teller. Umgerechnet heißt das: Alles, was die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie vom 1. Jänner bis zum 26. Mai erzeugen, geht in der Wertschöpfungskette verloren. Die Auswirkungen sind dramatisch. Weltweit verursacht Lebensmittelverschwendung etwa zehn Prozent der Treibhausgasemissionen. Das ist nahezu doppelt so viel wie der gesamte jährliche CO₂-Ausstoß aller Autos in der EU und den USA zusammen.

In Österreich stammen rund zwanzig Prozent des CO₂-Fußabdrucks aus der Produktion und dem Konsum von Nahrungsmitteln. Doch weniger als zehn Prozent der Lebensmittelabfälle in Österreich entstehen im Handel. Den größten Anteil produzieren private Haushalte, die Lebensmittel in den Müll werfen. Sie verursachen rund sechzig Prozent der Gesamtmenge. „Lebensmittelverschwendung geht uns alle etwas an. Wir müssen jetzt beginnen, gegen das unnötige Wegwerfen wertvoller Nahrungsressourcen anzukämpfen. Nur so kann die Ernährungswende gelingen“, sagt Dominik Heizmann, Programmmanager für Lebensmittelverschwendung bei WWF Österreich.

Compliance-Hinweis: Die Handelskette Spar Österreich ist Sponsor des Wirtschaftsressorts von campus a. Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Führung der Redaktion in der Spar-Niederlassung in St. Pölten.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes „Die Paris-Lodron-Universität Salzburg macht Journalismus“.
Es ist ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch dm drogerie markt und Salzburg AG.

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