
Das Traumziel Japan hat sich dank des schwachen Yen zum Urlaubs-Schnäppchen entwickelt. Mit Folgen für das ganze Land.
Auf den ersten Blick scheint sich für Japan ein lang ersehnter Wunsch zu erfüllen: Der internationale Tourismus boomt. Im September 2023 kamen mehr als zwei Millionen Besucher ins Land. Fast so viele wie vor der Pandemie. Haupttreiber des Aufschwungs ist der schwache Yen, der Reisen nach Japan erstaunlich günstig macht. Essen, Hotels, Transport: Wer mit Euro, US-Dollar oder Pfund zahlt, bekommt viel für sein Geld. Doch während das Land neue Rekorde anpeilt, wächst auch der Unmut.
In einem kleinen Lokal in Yamako hängt ein merkwürdiges Schild an der Tür: In großen Buchstaben steht dort „CLOSED“. Darunter, deutlich kleiner, ein Hinweis auf Japanisch: „Wenn Sie das lesen können, treten Sie bitte ein.“ Es ist ein leiser Protest gegen den Massentourismus. Und zugleich ein Beweis für den enormen Ansturm. Der Wirt will nur noch Einheimische bedienen, nachdem Reisegruppen regelmäßig seine Gaststube überrollten.
Die Zahlen sprechen für sich: 2011 besuchten gerade einmal sechs Millionen Touristen apan, 2019 waren es knapp 32 Millionen. Für 2025 rechnet die Tourismusagentur JTB mit 40 Millionen Gästen. Besonders viele kommen aus Südkorea, China und Taiwan. Die Nähe macht’s möglich. Doch auch westliche Besucher mehren sich.
Für Japans Wirtschaft ist das ein Segen: Schon 2019 trug die Tourismusbranche 7,3 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Heute dürften es noch mehr sein. In Kyoto, Tokio und auf den Skipisten Hokkaidos ist der Boom zu spüren. Ebenso wie dessen Schattenseiten: überfüllte Busse, blockierte Gehwege, Müllprobleme und genervte Einheimische.
Neben der schwachen Landeswährung spielt auch Japans Tourismusstrategie eine Rolle. Nach dem Tsunami von 2011 und angesichts der alternden Bevölkerung suchte die Regierung nach neuen Einnahmequellen. Japan erklärte den Tourismus nationalen Priorität erklärt. Die Nullzinspolitik der Zentralbank macht den Yen billig und das Land attraktiv. Gleichzeitig öffneten sich nach der Pandemie wieder die Grenzen. Japan ist sicher, effizient, exotisch. Und derzeit preiswert. Das zieht Reisende in Massen an.
Die Regierung investierte in Infrastruktur, Marketingkampagnen und neue Flugverbindungen. Schon vor der Pandemie investierte die Wirtschaft massiv in Hotels und Sehenswürdigkeiten, schaffte Arbeitsplätze und stellte ganze Regionen auf internationale Gäste ein. Doch mit dem Erfolg wächst auch die Überforderung. In Kyoto sind selbst Tempelpfade zu Selfie-Spots verkommen. In kleinen Bergdörfern fehlen Toiletten für Besucher, während Wanderwege erodieren. Einige profitieren vom Aufschwung. Viele andere leiden darunter.
Um die Welle zu steuern, setzt die Regierung nun auf „High-Value Tourism“. Klasse statt Masse, heißt das Motto. Wer mehr als eine Million Yen pro Aufenthalt ausgibt (das sind umgerechnet rund 6.000 Euro), gehört zur neuen Zielgruppe. Luxusangebote boomen: Hubschrauberflüge, Yachtservices, feine Ryokans. Auch der Skitourismus erlebt in Hokkaido eine neue Blüte. Mit edlen Resorts, die auf betuchte Gäste aus Australien und Europa zielen. Apps wie „Airc“ ermöglichen Jet-Buchungen mit wenigen Klicks. Geplant sind zudem exklusive Casinos. Die Botschaft: Willkommen ist, wer zahlt. Und sich benimmt.
Trotz aller Herausforderungen bleibt Japan ein Sehnsuchtsziel. Nirgendwo sonst verschmelzen Tradition und Moderne so eindrucksvoll wie hier. In Kyoto zieren Zen-Gärten und Kaiseki-Küche die Stadt, während Tokio mit Neonlichtern und Robotercafés lockt. Die Kirschblüte zieht jedes Frühjahr Millionen an. Bergdörfer oder einsame Küsten. Für viele ist es die Vielfalt, die zählt. Und die faszinierende Andersartigkeit.
Neben der Ästhetik und Kultur punktet Japan mit Sicherheit, Effizienz und Gastfreundschaft. Besonders Frauen reisen gern allein ins Land, weil sie sich dort sicher fühlen. Dank Frauenabteilen in Zügen, sauberer öffentlicher Infrastruktur und gesellschaftlicher Zurückhaltung steht einer alleinigen Reise nichts im Weg. Essen spielt ebenfalls eine zentrale Rolle: Sushi, Ramen, Matcha und Streetfood gelten längst als globale Kulturgüter.
Japans berühmte Gastfreundschaft, Omotenashi, ist ein stilles Phänomen. Keine überschwängliche Herzlichkeit, aber bedingungslose Hilfsbereitschaft. Wer in einer fremden Stadt nach dem Weg fragt, den bringt der Einheimische direkt zur Haltestelle. Kein Trinkgeld wird erwartet, kein Smalltalk erzwungen. Der Service funktioniert: unaufdringlich, respektvoll, zuverlässig. Gerade dieser Stil macht das Reisen in Japan so angenehm.
Die Zielmarke von 40 Millionen Gästen rückt näher. Doch mit ihr wächst der Druck, die Balance zu halten. Der Wirt des kleinen Lokals mit dem findigen Türschild in Yamako ist inzwischen international bekannt geworden. Gut möglich, dass er sich bald einen neuen Trick einfallen lassen muss, um die Touristen fernzuhalten. Oder er besinnt sich doch noch auf Omotenashi: die gute, alte japanische Gastfreundschaft.
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