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Machen Präsenzveranstaltungen an der Uni überhaupt noch Sinn?

Die digitale Lehre hat die Hochschullandschaft verändert. Sie ermöglicht neue Freiheiten. Wenn schon Sparen angesagt ist, warum sie nicht einfach streichen? Die Frage ist, was das mit den Studierenden machen würde.
Anna-Katharina Patsch  •  17. Juni 2025 Redakteurin    Sterne  184
Online-Lehre allein reicht nicht aus. Der digitale Campus ersetzt keine Bildungsräume. (Foto: APA Picturedesk)
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Die Kamera bleibt aus. Das Mikro stumm. 120 Studierende sitzen in 120 Zimmern, verbunden durch einen zumeist funktionierendem Teams-Link. Es ist Frühjahr 2020. Der Campus existiert nur noch als digitales Konstrukt. Aus Gesprächen werden Chats. Aus Vorlesungen werden Bildschirmmonologe. Der große Hörsaal schrumpft zum kleinen Laptopfenster. Studierende vereinsamen fernab von sozialer Interaktion und die einstige Motivation die Welt zu verändern ist längst verraucht. Trotzdem stellt sich die Frage bis heute: Braucht es den physischen Ort Universität eigentlich noch?

Online Uni die Alleskönnerin? 

Moderne Online-Tools wie ZoomSkypeTeams oder Moodle bieten scheinbar alles, zeitversetztes Lernen, ortsunabhängige Teilnahme, geringere Kosten. Das Homeoffice wird zur Solo-Uni. Und auf den ersten Blick wirkt es effizient, keine Mieten für teure WGs in Großstädten, keine langen Fahrten zur Fakultät, keine vollen Mensen.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Online-Lehre bietet Flexibilität. Lehrveranstaltungen lassen sich aufzeichnen. Studierende mit Nebenjobs oder Betreuungspflichten profitieren von der zeitlichen Entlastung. Viele Lehrende nutzen digitale Tools für interaktive Formate, Diskussionen oder Quiz-Elemente. Das CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) dokumentierte bereits 2022, dass sich auch 82 Prozent der Studierenden in Zukunft digitale Lernangebote wünschen.

Digitale Distanz statt Lernatmosphäre 

Doch all diese Vorteile stellen keine Antwort auf die entscheidende Frage dar: Reicht Technik, um Bildung zu vermitteln?

Wer sich an die digitalen Semester erinnert, denkt nicht nur an Bequemlichkeit. Sondern auch an Leere. An Tage, an denen Meeting-Links schier kein Ende nahmen. An eine Lernatmosphäre, die sich nie wirklich einstellen wollte. Trotz Checklisten, Zeitplänen und virtuellen Pausenräumen. Der Verlust an sozialem Raum wiegt schwer.

Ohne Anschluss, ohne Chance? 

Gerade am Anfang eines Studiums entscheidet die soziale Einbindung über Erfolg oder Abbruch. Wer niemanden kennt, stellt weniger Fragen. Wer sich nicht gesehen fühlt, zieht sich zurück. Kurze Gespräche, spontane Gruppenarbeiten oder Nachfragen nach der Vorlesung gehören zum Fundament universitärer Bildung. Sie lassen sich nicht digital simulieren.

Hinzu kommt die oft unausgesprochene Voraussetzung: Ein Zuhause, das Lernen überhaupt ermöglicht. WG-Zimmer ohne Tür, instabiles WLAN, familiärer Lärmpegel oder fehlende Ruhe stören den Lernprozess massiv. Digitale Gleichheit existiert nur auf dem Papier. Die Realität sieht anders aus.

Allein vor dem Bildschirm 

Die Schattenseite bleibt besonders für Studienanfänger spürbar. Gerade in Fächern mit großen Anfängerzahlen wie BWL oder Informatik verschwinden Einzelne schnell im digitalen Raum. Ohne Anbindung an Kommilitonen, ohne persönliche Begegnung mit Lehrenden, ohne Teilhabe an der Universitätskultur.

Eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung zeigt, dass rund 60 Prozent der Studierenden während der Online-Semester an Konzentrations- und Motivationsproblemen litten. Selbstorganisation funktioniert nicht bei allen gleich. Unterschiedliche Lerntypen brauchen unterschiedliche Lernumgebungen. Wer schnell abgelenkt ist, verliert sich zwischen Browser-Tabs und Push-Nachrichten. Wer in präsenter Umgebung arbeitet, bleibt konzentrierter, strukturierter, verbundener.

Zwischen Monolog und Monitor  

Auch aus Sicht der Lehrenden bleiben Fragen offen. Wer reagiert, wenn die Kamera schwarz bleibt? Wer nimmt Feedback wahr, wenn kein Blickkontakt besteht? Die didaktische Qualität leidet, wenn Lehrveranstaltungen zu Monologen verkommen. Niemand verlangt nach der Rückkehr zur Kreidetafel. Aber reine Online-Lehre wirkt oft steril und entkoppelt vom akademischen Alltag.

Hybride Lehre als Chance, nicht als Kompromiss  

Dennoch sprechen die digitalen Potenziale nicht gegen eine Integration. Im Gegenteil. Ein zukunftsfähiges Modell erkennt die Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen an. Der Hybride-Modus, also die Kombination aus Online- und Präsenzformaten, bietet eine sinnvolle Alternative. Theoretischer Input kann digital erfolgen. Diskurs, Reflexion und Gruppenarbeit hingegen profitieren vom direkten Austausch.

Ergänzend dazu hilft eine partielle Aufhebung der Anwesenheitspflicht. Wer familiär oder beruflich gebunden ist, darf nicht vom Studium ausgeschlossen sein. Aufzeichnungen oder asynchrone Inhalte stellen Inklusion sicher, ohne den Campuscharakter aufzugeben. Der Ort Universität bleibt offen, aber nicht verpflichtend.

Zwischen Menschen entsteht Bildung 

Die Digitalisierung der Lehre darf nicht mit ihrer Entmenschlichung einhergehen. Bildung braucht Beziehung, braucht Raum. Auch im Jahr 2025. Die moderne Hochschule erkennt an, dass Lernen nicht nur im Kopf geschieht, sondern auch im Kontakt. Zwischen Lehrenden und Studierenden. Zwischen Kommilitonen. Zwischen Menschen.

Ein stabiler Internetanschluss ersetzt kein Gespräch im Hörsaal. Kein Feedbackblick im Seminar. Kein freundlicher Hinweis in der Sprechstunde. All das schafft ein Klima, in dem Lernen nicht nur funktioniert, sondern lebendig wird.

Am Ende stellt sich nicht die Frage, ob Online-Lehre besser ist als Präsenz, sondern was verloren geht, wenn Bildung keinen Raum mehr hat. Der Campus ist kein Anachronismus. Er ist ein Angebot. Und das sollte niemand vorschnell digital ersetzen.


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