
Die Meldungen russischer Geheimdienstoperationen gegen Verbündete der Ukraine häufen sich in ganz Europa. Eine Studie der niederländischen Universität Leiden registrierte seit 2022 einen drastischen Anstieg bei deren Anzahl und Intensität. Mit 44 Störaktionen markierte 2024 den bisherigen Höhepunkt.
Fälle wie der Großbrand des Warschauer Einkaufszentrums Marywilska 44 oder sich selbst entzündende Pakete in den Frachtflugzeugen und Verteilerzentren des Paketdienstleisters DHL deuten wiederholt auf Sabotage hin. Die Spur führt oftmals nach Russland. Der deutsche Verfassungsschutz warnt vor sogenannten „Wegwerf-Agenten“. Geheimdienste werben hierbei Zivilisten ohne nachrichtendienstliche Vorerfahrung über Messengerdienste wie Telegram an, um sie für Anschläge einzusetzen.
Was ist hybride Kriegsführung?
Der Einsatz vielfältiger Methoden von Sabotage, Cyberangriffen und Wahlbeeinflussung bis hin zu Terrorismus soll die liberalen Demokratien Europas destabilisieren und die öffentliche Meinung manipulieren. Die erhöhte Terrorismusaktivität im Vorfeld der vergangenen deutschen Bundestagswahl deutet gleichermaßen auf eine russische Einflussnahme hin.
Wichtig bei dieser als „hybriden Krieg“ bezeichneten Mischform der Konfliktführung ist, die wahren Urheber zu verschleiern. So erschwert sich in der Grauzone zwischen Krieg und Frieden eine Abwehr umso mehr. Die dabei entstehende Unberechenbarkeit der Angriffe treibt gesellschaftlich destabilisierende Tendenzen zusätzlich voran.
Eine der größten Bedrohungen der hybriden Kriegsführung ist die Verbreitung von Desinformation in konventionellen und digitalen Medien. Der österreichische IT-Unternehmer Martin Held ist dabei eine der Schlüsselfiguren Russlands. Siehe hierzu auch das campus a Interview mit Held.
Er stellt Umgehungssysteme zur Verfügung, die den Empfang des von der EU verbotenen Propagandakanals RT (vormals Russia Today) ermöglichen. So kann RT ungehindert seine Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien fortsetzen. RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan bezeichnete in Interviews Information wiederholt als eine Waffe und die Tätigkeit von RT als eine Art der Kriegsführung.
Dulden die EU und ihre Partner diese Aktionen ohne Gegenwehr? Setzt Europa auch auf hybride Kriegsführung?
Die Universität Leiden zählten 44 russische Störaktionen in Europa für das Jahr 2024. Von der Zählung ausgenommen waren Cyberangriffe. (Foto: Bart Schurrman, ‘Russian operations against Europe since the 2022 invasion of Ukraine’, (The Hague: Leiden University, 2025))
Offensive, Defensive und der Kopf der Hydra
Die aktuellen Zahlen vermitteln in der hybriden Kriegsführung ein einseitiges Verhältnis zwischen Russland und Europa. Ist Russland ausnahmsweise selbst Ziel von Angriffen, steckt meistens die Ukraine dahinter. „Bereits die Gesetzgebung erschwert für Westeuropa die hybride und angriffsfähige Kriegsführung“, so der Militäranalytiker Gerald Karner. Russische Methoden sind den Geheimdiensten Europas vertraut, doch mangelt es an Erfahrung, Ausrüstung und Personal.
Die Dringlichkeit der Bedrohungslage ist auf EU-Ebene mittlerweile angekommen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete 2024 am World Economic Forum Desinformation als eine der größten Gefahren für die Wirtschaft. Dennoch herrscht in der Defensive Verbesserungsbedarf.
„So oft wir den sprichwörtlichen Kopf der Hydra abschlagen, etwa durch das Abschalten manipulativer Server, die Flut an Desinformation nimmt dennoch zu“, beklagt Markus Schwinghammer von der auf Desinformation spezialisierten Unternehmensberatung DisinfoConsulting.
Um den Desinformationskampagnen von Staaten wie Russland, China und dem Iran den Nährboden zu entziehen, gilt es, so Schwinghammer, das Misstrauen gegen den Staat gesamtgesellschaftlich zu beseitigen. „Viele Länder haben dabei Aufholbedarf. Es braucht Aufklärungskampagnen, mehr Transparenz und eine aktive Einladung zur gesellschaftlichen Teilnahme, damit Menschen ihre Demokratie als schützenswert wahrnehmen“, sagt er. Zudem sehen noch zu viele Staaten Desinformation nur als ein weiteres Werkzeug der hybriden Kriegsführung an, anstatt sie als ein eigenständiges Problem zu adressieren.
Bestehende Maßnahmen und Behörden
Seit der russischen Krim-Annexion 2014 steigerte sich der Druck hybrider Bedrohungen und Desinformation auf Europa sukzessiv. In Reaktion darauf verstärkte die EU ihre zwischenstaatliche Zusammenarbeit.
Der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) will etwa mit Maßnahmen wie der „FIMI-Toolbox“ EU-Staaten und ihren Partnern ermöglichen, auf Informationsmanipulation koordiniert zu reagieren. Die Kompetenzen reichen von Analysen und Workshops bis zu diplomatischen Schritten und Sanktionen.
„FIMI“ steht im EU-Jargon für „Foreign Information Manipulation and Interference“. Zu Deutsch sind damit jene manipulativen Verhaltensweisen gemeint, mit denen ausländische Akteure in klassischen und digitalen Medien versuchen, die gesellschaftliche Ordnung zu untergraben.
Ein weiterer Baustein der europäischen Verteidigung ist das Europäische Kompetenzzentrum für die Bekämpfung Hybrider Bedrohungen, kurz: Hybrid CoE. 2016 von EU und NATO in Helsinki gegründet, zählt es inzwischen 36 Mitgliedsstaaten. Ob Planungsspiele, Infrastrukturverteidigung, Beratung oder Forschung – das Hybrid CoE rühmt sich mit einem breiten Spektrum an Defensivmaßnahmen.
Trotzdem nicht ausreichend
„Dennoch hat das alles bei Weitem nicht die Durchschlagskraft, wie wir sie von großen nationalen Nachrichtendiensten kennen. Institutionell liegt die Hauptverantwortung immer noch bei den einzelnen Nationalstaaten“, kritisiert Sicherheitsexperte Karner. Zwar seien die ersten Ansätze eines dringend notwendigen Europäischen Nachrichtendienstes erkennbar. Doch die Welle an russischen Sabotageakten, die Europa in den vergangenen Jahren überzog, stellt die Effektivität bisheriger Gegenmaßnahmen in Frage.
„Ich frage mich, ob die Kapazitäten von Einrichtungen wie dem Hybrid CoE ausreichen. Die russische Beeinflussung der polnischen und rumänischen Präsidentschaftswahlen sowie der Einsatz von Desinformation und Propaganda bei der Wahl des prorussischen Präsidenten in Georgien zeichnen ein gegenteiliges Bild“, so Karners Analyse.
Rhetorik, wie sie in Kickls FPÖ zu finden ist, suggeriert seiner Einschätzung nach die Einflussnahme verdeckter Akteure auch hierzulande. „Die EU bietet durch ihre Vetorechte Kleinstaaten wie Österreich den größtmöglichen Einfluss auf die internationale Politik. Diesen Einfluss zu zerstören, wäre Dummheit.“
Ob die Destabilisierung der EU aus ehrlicher Überzeugung oder wegen guter Bezahlung geschieht, kann er nicht sagen. Gewiss ist nur, dass viele der Aussagen dem Narrativ russischer Propaganda stark ähneln. Das Motiv des dekadenten Westens oder der EU als ein von Brüssel gesteuerter Zentralstaat, der die Freiheit des Einzelnen beschränkt, erzeugt in der Bevölkerung genau jene Form der negativen Stimmung, die Russland dienlich ist.
Erbe des Dritten Mannes
Österreich gilt als schwarzes Schaf innerhalb der europäischen Nachrichtendienste, was eine internationale Zusammenarbeit zusätzlich erschwert. Fälle wie die BVT-Affäre 2016 oder die Verbindungen des Ex-Wirecard-Managers Jan Marsalek und des ehemaligen Verfassungsschützers Egisto Ott zu russischen Geheimdiensten sorgten für Misstrauen. Im Berner Club, dem informellen Zusammenschluss europäischer Geheimdienste, existieren immer noch Vorbehalte, Informationen uneingeschränkt mit den österreichischen Kollegen zu teilen.
Österreichs Selbstverständnis von Neutralität bietet zudem ein geeignetes Biotop für nachrichtendienstliche Operationen. Stand März 2024 befanden sich insgesamt 258 russische Diplomaten und technisch-administrative Mitarbeiter in Österreich. Trotz Russlands Supermachtstatus scheint die Zahl des Personals für ein Land von der Größe Österreichs unverhältnismäßig hoch.
Russlands Vertretung den Internationalen Organisationen in Wien Donaustadt beinhaltet neben einer Schule einen Komplex mehrerer Wohn- und Dienstgebäude. Vor einigen Monaten waren noch wesentlich mehr Radarschüsseln auf dem Dach, berichtet ein Anwohner. (Foto: Robert Gafgo)
China zeigt gleichermaßen Präsenz. „Die Ständige Vertretung der Volksrepublik China bei den internationalen Organisationen in Wien ist einen Blick wert. Das Gebäude an der Adresse Hohe Warte 3 ist nachrichtendienstlich überaus luxuriös ausgebaut“, sagt Karner. Die heimische Gesetzgebung begünstigt das hohe Maß geheimdienstlicher Aktivität. Wirklich strafbar sind nur die Taten, die sich gegen Österreich richten, aber nicht gegen die Partner der Europäischen Union.
Einst als Waisenhaus geführt, ist die Villa an der Hohen Warte 3 heute im Besitz Chinas. (Foto: Robert Gafgo)
Die Radarschüssel im Garten der chinesischen Vertretung deutet auf mehr als nur eine diplomatische Mission in Österreich hin. (Foto: Robert Gafgo)
Neben einem Bewusstsein für die Bedrohung im eigenen Land mangelt es in Österreich vor allem an innerstaatlichen Verteidigungstrukturen. Wie in vielen Staaten der EU müssen erst nationale Kapazitäten bestehen, bevor an eine effektive und länderübergreifende Zusammenarbeit gedacht werden kann. Dafür braucht es Strukturen und fähiges Personal, dessen Ausbildung wiederum Zeit benötigt.
Karners Diagnose: „Wir sind der Friedensdividende nach Ende des Kalten Krieges anheimgefallen und haben unsere Verteidigung vernachlässigt. Wenn wir weiterhin in Freiheit und Demokratie leben wollen, müssen wir etwas dafür tun.“
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