
Wearables, oder tragbare Technologien, sind elektronische Geräte, die direkt am Körper anliegen und kontinuierlich Daten erfassen. Etwa zur Bewegung, zum Schlaf oder zur Herzfrequenz. Sie sind meist in Form von Uhren, Armbändern, Brillen oder sogar Ringen verfügbar. Sie sind mit Sensoren ausgestattet, die Vitalparameter oder Umweltreize messen.
Die Geräte versprechen mehr Kontrolle, bessere Gesundheit, mehr Effizienz. Doch was passiert, wenn Menschen den digitalen Messwerten mehr vertrauen als dem eigenen Empfinden? Verlieren wir das intuitive Körpergefühl? Psychologen und Mediziner warnen: Wer sich übermäßig auf digitale Feedbacks verlässt, verliert mit der Zeit den Bezug zum eigenen Körper. Die Folge: Unsicherheit, Überforderung, Unzufriedenheit.
Was einst als Nischenprodukt für Technikfans oder Leistungssportler galt, hat sich in wenigen Jahren zum Massenmarkt entwickelt. Heute gehören Smartwatches, Fitness-Tracker, Whoop-Bänder oder Zyklus-Tracker wie Eisprung-Ringe zur Standardausstattung vieler gesundheitsbewusster Menschen. Im Alltag dienen sie als multifunktionale Begleiter.
Smartwatches zeigen neben der Uhrzeit auch Puls, Schrittzahl, Kalorienverbrauch, Schlafdaten und eingehende Nachrichten an.
Fitness-Armbänder und spezialisierte Tracker wie das Whoop-Band messen rund um die Uhr die Belastung des Körpers, analysieren Erholung und Schlaf und empfehlen Training oder Ruhe.
Zyklus-Tracker wie Oura-Ringe dokumentieren Körpertemperatur, Hormonveränderungen oder den Schlaf der Frau, um fruchtbare Phasen oder den Zyklusverlauf zu erkennen.
Laut Statista tragen in Österreich mehr als 800.000 Menschen Wearables und die Tendenz steigt weiterhin. Viele Menschen richten ihren Alltag nach den Zahlen auf dem Handgelenk aus. Die vermeintlich objektiven Werte, etwa zur Schlafdauer, zur Herzfrequenz oder zum Stresslevel, bestimmen, wie „gesund“ der Träger sich fühlt. Nicht selten entsteht dabei ein Widerspruch: „Ich dachte, ich hätte gut geschlafen, aber die Schlafdaten meiner Uhr sagen etwas anderes. Plötzlich fühle ich mich weniger ausgeruht.“, berichtet eine Teilnehmerin der Schlafstudie NORAH. Der eigene Eindruck tritt in den Hintergrund, das Gerät übernimmt die Deutungshoheit.
Psychologen und Mediziner beobachten einen besorgniserregenden Trend: Wer sich übermäßig auf digitale Feedbacks verlässt, verliert die Fähigkeit, auf den eigenen Körper zu hören. Es entwickelt sich eine Abhängigkeit der Geräte. Gerade für den Selbstheilungsprozess sei dieses innere Gespür aber essenziell, erklärt der Mediziner Prof. Dr. Tobias Esch. Die Fähigkeit, den eigenen Körper differenziert wahrzunehmen, sei eine Grundvoraussetzung für körperliche Selbstfürsorge. Technik kann dabei helfen, aber sie sollte nicht zum Ersatz werden. Besonders in der Rehabilitation oder Schmerztherapie spielt Körperwahrnehmung eine zentrale Rolle, etwa in somatischen Therapien oder der psychosomatischen Medizin.
Zweifellos liefern viele Wearables eine geraume Menge an Daten. Doch wie aussagekräftig sie sind, hängt vom Gerät, dem Algorithmus und dem Kontext ab. Während die Schrittzählung meist recht zuverlässig ist, gelten Werte wie Schlafphasen, Stresslevel oder Sauerstoffsättigung als fehleranfällig und schwer interpretierbar. Fachleute warnen deshalb: Wer die Zahlen ohne medizinisches Wissen bewertet, kann sie schnell fehl- und überinterpretieren.
Ein Beispiel: Eine ungewöhnliche Herzfrequenz am Morgen kann auf Stress, einen Infekt oder eine harmlose Schwankung hindeuten. Nicht zwangsläufig auf ein ernstes Problem. Trotzdem berichten Hausärzte zunehmend von Patienten, die verunsichert in die Praxis kommen, weil das Trackinggerät einen „schlechten Wert“ angezeigt habe. Sie sehen einen Anstieg an Arztbesuchen wegen Wearable-Daten, die eigentlich keinen Krankheitswert haben. Für das ohnehin belastete Gesundheitssystem ist das eine Herausforderung.
Dem Trend geht eine milliardenschwere Industrie voran. Von günstigen Fitness-Armbändern bis zu High-End-Geräten wie Apple Watch Ultra oder „Whoop 4.0“ reicht das Angebot. Tech-Konzerne werben mit Versprechen von Selbstkontrolle, Effizienz und individueller Optimierung und sprechen damit gezielt ein Bedürfnis an, das sie selbst mitkreiert haben. Die Angst, etwas zu übersehen, nicht genug für die eigene Gesundheit zu tun, sich nicht ständig zu verbessern.
Der Mensch wird zum Datensatz, der ständig optimiert werden will. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für Versicherungen, Arbeitgeber und Plattformen. Was als Motivationsstütze anfing, resultiert heute in einem Messdaten-Dschungel aus Zahlen. Vergleiche gehen über Oberflächlichkeiten auf Social Media hinaus. Ruhepuls, wöchentliche Laufkilometer und -geschwindigkeit anderer User lassen sich auf digitalen Plattformen einsehen. Rasch entsteht das Gefühl, nicht fit genug, schnell genug, fleißig genug zu sein.
Was als gesunder Lebensstil beginnt, kann pathologisch werden. Besonders gefährdet sind Menschen mit perfektionistischem Anspruch oder einer psychischen Vorbelastung. Studien zeigen: Die ständige Kontrolle über Bewegung, Ernährung und Körperwerte kann zwanghafte Verhaltensweisen verstärken, etwa im Kontext von Essstörungen oder Sportsucht. Auch neuere Krankheitsbilder wie die sogenannte „Orthosomnia“, also dem Phänomen, bei dem sich Menschen überdurchschnittlich auf ihre Schlafdaten fokussieren, zeigen, wie sensibel die Psyche auf permanente Selbstbeobachtung reagiert. Wearables fördern ein ständiges Monitoring, das kaum Raum für Pausen lässt, denn jeder Schritt zählt, jeder Puls wird registriert. Der Grat zwischen Motivation und Zwang ist schmal.
Die Grenze zwischen digitalem Coaching und digitaler Dominanz verschwimmt. Was ursprünglich als Hilfe gedacht war, kann zur Belastung werde. Das Gerät wird zur externen Instanz, die über Wohlbefinden, Leistung und Selbstwert entscheidet. Das Gadget wird zum Spiegel des eigenen Selbstwerts und zum stillen Antreiber, immer noch besser zu performen.
Trotz aller Technik bleibt eine zentrale Ressource unersetzlich: das eigene Körpergefühl. Viele Fachleute raten zu einem bewussten Umgang mit digitalen Helfern. Wer regelmäßig reflektiert, ob das Tracking gerade wirklich nützlich ist, oder eher belastet, kann besser entscheiden, wann Pausen nötig sind. Methoden wie Achtsamkeit, Yoga oder Spaziergänge können helfen, den Kontakt zum eigenen Empfinden zu stärken jenseits der Daten.
Sportler dürfen wieder erlenen, den Spaß am Sport ohne Zahlen und Messungen zurückzugewinnen. Intuitives Laufen, ohne sich an die vorgegebene Kilometerzahl oder Herzfrequenz zu halten. Beim Radfahren die Aussicht genießen statt das Display voller Messdaten. Und beim Yoga den Körper das tun lassen, was ihm guttut, statt einem digitalen Plan zu folgen.
Wearables sind praktische Werkzeuge, aber keine Orakel. Wer sich selbst zu vertrauen lernt, wird auch ohne Pulsdaten wissen, wann es Zeit ist, sich auszuruhen, durchzuatmen oder in Bewegung zu kommen. In einer Welt voller Zahlen und digitaler Selbstoptimierung bleibt vielleicht genau das entscheidend: das Vertrauen in den eigenen Körper und das Wissen, mehr zu sein als ein Messwert.
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