Wien | Gesundheit | Meinung | Chronik | Kultur | Umwelt | Wirtschaft | Politik | Panorama
KulturÖsterreichFakten

Fleischesser gegen Veganer: Der Konflikt wird härter

Lange galten sie als nette Spinner, doch nun erheben viele von ihnen ihre missionarische Stimme: Influencerinnen wie die „Militante Veganerin“ polarisieren, weil sie verdrängte Schuldgefühle ansprechen, meinen Forschende. Die Gräben verlaufen inzwischen mitten durch die Familien.
Clara Amry  •  27. Juni 2025 Volontärin    Sterne  12
Schon allein die Präsenz von Veganern und veganen Angeboten in Supermärkten und Restaurants provoziert Fleischesser. Sie fühlen sich Studien zufolge in Sachen Moral und Willenskraft unter Druck gesetzt. (Foto: Shutterstock)
X / Twitter Facebook WhatsApp LinkedIn Kopieren

Würde Jesus Tiere schlachten? Nicht-Veganer sind Tier-Versklaver! Derlei postet die österreichische Influencerin Raffaela Raab, besser bekannt als „Die Militante Veganerin“, auf ihren Kanälen und bekommt dafür viele Likes. 546.000 Follower hat sie auf TikTok, 75.800 auf Instagram. Doch die Fleischesser schlagen zurück. Veganer sind eine Sekte, wie die Zeugen Jehovas, ich würde sie alle umbringen, sagte der italienische Haubenkoch Giancarlo Vissani während einer Talkshow. Gelächter der Moderatoren und Applaus aus dem Publikum waren die Folge.

Lange Zeit belächelten die Fleischesser die Veganer als nerdige Minderheit und letztere hielten sich mit ihrem missionarischen Eifer zurück, um nicht unnötig anzuecken. Doch in diesem Miteinander verändert sich gerade etwas. Der Ton wird rauer, die Stimmung zwischen beiden Gruppen schlechter. Laut Sabine Viktoria Schneider, Salzburger Mediatorin und psychologische Begleiterin, lässt sich dieser Konflikt nur „durch eine gesunde Aufklärungsarbeit und durch ein Leben und Leben lassen auf beiden Seiten” deeskalieren. Doch genau das Gegenteil scheint derzeit der Fall zu sein. Besonders der Post Nicht-Veganer verdienen keine Freiheit! der „Militanten Veganerin“ provozierte. Vegan macht krank in der Birne. Die ersten Anzeichen sind Realitätsverlust und Komm mal zu mir und wiederhole das lauteten zwei der Kommentare.

Einer der Gründe für den sich verschärfenden Konflikt ist in den Restaurants und Supermärkten zu finden. Veganismus ist kein Minderheitenthema mehr. Längst spielt er überall, wo es um Essen geht, eine Rolle. In den Läden sind die Regale gut gefüllt mit veganen Optionen und in den Restaurants steht mindestens ein veganes Gericht auf fast jeder Speisekarte. 

Der soziale Druck auf Fleischesser, umzudenken, steigt damit und nicht alle gehen entspannt damit um.

Bei einer ZDF-Heute-Umfrage aus dem Jahr 2024 fühlten sich 42 Prozent von 2.020 Befragten durch andere Ernährungsstile angegriffen, vor allem Fleischesser durch Veganismus.

Kein Wunder, schließlich nutzt nicht nur die „Militante Veganerin“ den Rückenwind für die rein pflanzliche Ernährung, um sie mit Kampfansagen zur Religion zu erheben.

Die Diskussion spaltet mittlerweile Familien. Marina Breitinger, 45, (Name geändert) postet das Mittagessen anlässlich des 70. Geburtstags ihrer Mutter in der WhatsApp-Gruppe der gebildeten Mittelstands-Familie. Saltimbocca alla Romana mit Kalbfleisch, Parmaschinken und Salbei. Ihr Bruder Paul kommentiert trocken: Die industrielle Tierhaltung ist das größte nicht an Menschen begangenen Verbrechen aller Zeiten. Sie schafft unerträgliches Leid, zerstört das Klima und schadet wie nichts anderes der Gesundheit.

Veganismus, eben noch ein willkommenes Weltrettungskonzept, verliert dabei an Sympathie. In der zitierten ZDF-Heute Umfrage betrachteten ihn bereits 56 Prozent der Befragten kritisch. Ein Klima, das auch dem Wechsel vom Schnitzel zum Tofu als neuem Ernährungsstandard im Wege steht. Denn Fleischesser wollen sich weder stigmatisieren noch in die ideologisch falsche Ecke drängen lassen.

Der Druck, zu verzichten

Laut einer 2024 von Forschern der Universität von Vaasa (Finnland) veröffentlichten Studie halten viele Fleischesser Veganer und Vegetarier zwar für umweltfreundlich, gesundheitsbewusst und bewundernswert. Gleichzeitig empfinden sie ihnen gegenüber Angst, Neid, Verachtung und Wut. Hinter vielen Angriffen steckt die Abwehrhaltung gegenüber der Vorstellung, selbst auf Fleisch verzichten zu müssen, so die Interpretation der Ergebnisse.

In dieser Gemengelage sammeln Influencer wie die Militante Veganerin ihre Follower, polarisieren bewusst und ziehen Kritik auf sich. Sie folgt ihrem selbstgewählten Auftrag nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch auf den Straßen ihrer Heimatstadt Wien und fordert Fremde auf, vegan zu werden. Regelmäßig entstehen emotionale und lautstarke Diskussionen mit radikalen Aussagen wie der Gleichsetzung der Fleischindustrie mit dem Holocaust und der Sklaverei.

Ein Tonfall, der Regine Bendl, Giuseppe Delmestri und Petr Kudelka von der Wirtschaftsuniversität Wien zu denken gibt. Schließlich würde Veganismus auf Werten wie Altruismus und Empathie beruhen, merken sie in einer Publikation mit dem Titel Vegaphobie: Ein Hindernis auf dem Weg zur Nachhaltigkeit an.

Schnitzel, Schuldgefühle und sensible Seelen

Das Wecken verdrängter Schuldgefühle ist auch für den Ernährungspsychologen Matt Ruby, Professor an der australischen La Trobe Universität, Hauptgrund für die neue Hitzigkeit. Zwar hätten sich die allermeisten Konsumenten angewöhnt, die Frage nach dem Tierschutz einfach wegzulassen, zerstöre aber jemand diese sorgfältig kultivierte Unwissenheit mit erschreckenden Fakten, steige nicht die Abneigung gegen das Fleischessen sondern die gegen die Überbringer der schlechten Botschaft, die Veganer. Schon allein in Supermärkten und Restaurants prominent angebotenen Pflanzen-basierten Optionen sowie die „bloße Präsenz” der Veganer würden viele Fleischesser als implizite Beschuldigung empfinden, meinen auch die Wiener Forscher Bendl, Delmestri und Kudelka.

Nicole Civita, Spezialistin für nachhaltige Ernährungssysteme an der Universität von Colorado Boulder, geht ins Detail: „Manche Fleischesser fühlen sich indirekt verurteilt, wenn andere auf tierische Produkte verzichten, weil sie moralische Werte und Willenskraft der Veganer reflektieren.“ Auch hier hakt die „Militante Veganerin“ ein. „Wer für Tierrechte ist, muss vegan sein“, schrieb sie auf ein Plakat. 

Männer stärker betroffen

Neben ethischen Fragen spielen bei der neuen Kluft zwischen Fleischessern und Veganern auch Geschlechterklischees eine Rolle. Traditionell und dementsprechend auch in der Werbung gilt Fleisch als Symbol für Männlichkeit und Stärke, betont Ernährungspsychologe Matt Ruby. Fleisch aufzugeben, bedeute für viele Männer eine indirekte Bedrohung traditioneller Werte und der männlichen Identität. Das ist umso schlimmer, wenn die entsprechenden Aufforderungen, wie im Fall der „Militanten Veganerin“, von einer Frau kommen. 

Kein Wunder, dass die Kommentare zu ihren Videos immer kritischer werden. Ob sie einen hysterischen Schreikrampf bekommt, wenn man ihr ein frisch geschlachtetes und blutiges Stück Steak um die Ohren schlägt??, heißt es in einem, und ein anderer lautet: Die gehört in die Klapse und angezeigt!!!!


campus a-Preis für Nachwuchsjournalismus

Werde Teil der campus a-Redaktion!

Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.

Empfehlungen für dich

Kommentar
0/1000 Zeichen
Advertisement