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Bücherverbote: Wachsender Druck auf Autoren auch in Österreich

Es ist kein Phänomen von Diktaturen und Autokratien. Auch in den USA und in Europa gibt es Bücherzensur. In den USA geht sie von konservativen, in Europa von linken Kräften aus. Ein Besuch im Museum der verbotenen Bücher in Tallinn.
Emma Sehic  •  8. Juli 2025 Volontärin    Sterne  112
Unerwünschte Bücher: Oft geht es nich um vollständige Verbote, sondern um sprachliche Überarbeitungen, Ausgrenzung bestimmter Autoren oder moralische Markierungen. (Foto: Freddy Kearney auf Unsplash)
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„Maus“ von Art Spiegelman ist ein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Werk über den Holocaust. Darin sind Opfer des Holocaustes als Mäuse und Nazis als Katzen dargestellt. Seit der Veröffentlichkeit gilt es als Klassiker des modernen Graphic Novels und als Meilenstein der Erinnerungskultur. Heute steht das Buch im Banned Book Museum in Tallinn, gemeinsam mit anderen Werken, die irgendwo auf der Welt verboten sind.

Das Museum zeigt, was viele für längst überwunden hielten: Bücherverbote. Bücherverbote sind kein Relikt autoritärer Systeme vergangener Jahrhunderte, sondern gegenwärtige Realität. Vor allem amerikanische Werke kommen neuerdings dazu. 

Wo Tabus gesammelt werden

Die Sammlung des Museums umfasst mehr als vierhundert Werke aus mehr als hundert Ländern. Zwischen den Seiten prallen Ideologien aufeinander. Manche richten sich gegen Regierungen, manche haben unerwünschte Autoren geschrieben und manchen vertreten kontroverse gesellschaftliche Normen. 

Das Museum versteht sich als politisch neutral. Es zeigt die Bücher in ihrem historischen Kontext und gibt keine Bewertungen darüber ab, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist. Besucher müssen ihr eigenes Urteil bilden.

Die Idee für das Museum hatte Direktor Joseph Dunnigan in China, als Reaktion auf die alltägliche Konfrontation mit Zensur und Propaganda. „Zensur und Verbot von Büchern gibt es nicht nur in Russland, China oder anderen autokratischen Ländern passiert. Das passiert überall auf der Welt“, erzählt Dunnigan in seinen Vorträgen.

An den Wänden hängen Zitate wie das von Oscar Wilde: „I may not agree with you, but I will defend to the death your right to make an ass of yourself.“ (Ich stimme dir nicht zu, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, dich zum Narren zu machen.)

Kritik nicht erlaubt: Bücher als Feindbilder

In Ländern wie China, Russland oder der Türkei geht Zensur meist direkt vom Staat aus. Der türkische Präsident Erdoğan verbot in den vergangenen Jahren zahlreiche Bücher. Viele davon befassen sich mit gesellschaftlichen Themen wie Feminismus oder enthalten Kritik an der Regierung. Besonders häufig trifft es Kinder- und Jugendbücher. Manche gelten als „obszön“ oder „sexuell unangemessen“, etwa das Aufklärungsbuch „Woher die kleinen Kinder kommen“ des Ravensburger Verlages.

In Russland zeigt sich seit dem Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 eine zunehmende Repression gegen Literatur. So hat Moskau den international bekannten Schriftsteller Dmitry Glukhovsky als „ausländischen Agent“ eingestuft. Buchhandlungen dürfen seinen neuen Roman führen, müssen ihn aber mit diesem Hinweis versehen und durchsichtig verpacken. So berichtet es Glukhovsky selbst in einem Interview mit der taz. Auch das Buch „Maus“ befindet sich im Russland-Bereich des Museums. Der Kremls verbot es, weil es nicht zu seiner Begründung des Ukrainekrieges mit einer aktuellen Bedrohung durch ukrainische Nazis passte.

Zensur ist in vielen dieser Länder verfassungsrechtlich verboten du deshalb mit moralischen oder sicherheitspolitischen Begründungen legitimiert. Oppositionelle Stimmen, queere Themen, feministische Perspektiven oder schlicht kritisches Denken sind unerwünscht und verschwinden. Doch auch der Westen hat seine Probleme mit der Freiheit des Wortes.

Wenn Pädagogik zur Politik wird

Das Schlagwort „Book Bans“ ist in den USA nur zu bekannt. Gemeint ist damit selten ein landesweites Verbot. Vielmehr verschwinden Bücher aus Schul- und Gemeindebibliotheken, wenn Eltern oder organisierte Interessengruppen das wollen.

Laut einer Untersuchung der American Library Association basieren nur sechzehn Prozent dieser Fälle auf Beschwerden einzelner Eltern. In zweiundsiebzig Prozent stehen gezielte Kampagnen bestimmter Organisationen dahinter. Die stammen überwiegend aus dem konservativen Spektrum.

Die meisten Book Bans betreffen republikanisch regierte Bundesstaaten. Viele der dahinterstehenden Gruppen sind eng mit der republikanischen Partei verbunden. Besonders Bücher, die Themen wie Gender, LGBTQ+, sexuelle Identität oder Diversität behandeln, gelten als ungeeignet für junge Leser.

Selbst vielfach ausgezeichnete Werke wie Looking for Alaska von John Green oder The Perks of Being a Wallflower von Stephen Chbosky sind betroffen. Die Vorwürfe lauten Verherrlichung von Alkohol, vulgäre Sprache oder moralisch fragwürdige Inhalte.

Der Diskurs verläuft dabei immer weniger pädagogisch, sondern zunehmend politisch. Was gelesen werden darf, ist zu einer weltanschaulichen Frage geworden.

Zwischen Anpassung und Ausgrenzung

Während in den USA vor allem konservative Gruppen für Book Bans verantwortlich sind, lässt sich in Teilen Europas eine andere Dynamik beobachten. Hier stammt der Impuls zur Einschränkung oder Anpassung von Literatur häufig aus dem linken Lager.

Dabei geht es meist nicht um vollständige Verbote, sondern um sprachliche Überarbeitungen, Ausgrenzung bestimmter Autoren oder moralische Markierungen. Verlage passen Klassiker der Kinderliteratur wie Pippi Langstrumpf oder Jim Knopf in Neuauflagen sprachlich an. Sie ersetzen kolonialistische oder rassistische Begriffe, glätten Rollenbilder und gestalten die Sprache inklusiver.

Ein prominentes Beispiel lieferte der Verlag Puffin Books, der Werke von Roald Dahl in neuen Ausgaben überarbeiten ließ. Begriffe wie „fat“ oder „ugly“ ließ er entfernen, wenn sie als Beleidigungen dienten. Kritiker sahen darin einen Eingriff in die literarische Integrität und warnten vor einer schleichenden Säuberung von Originaltexten.

Auch Bücherboykotte sind eine stille Form des Protests. Nach umstrittenen Aussagen von J. K. Rowling zum Thema Transgender verzichteten viele Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum auf Sonderplatzierungen oder Lesungen. Nicht als staatlicher Akt, sondern aufgrund gesellschaftlichen Druckes.

Entwicklungen in Österreich

Auch in Österreich lässt sich zunehmender Druck auf Autoren beobachten. Gerhard Ruiss von der Interessensgemeinschaft Österreichischer Autorinnen und Autoren spricht von einer wachsende Zurückhaltung beim Schreiben über gesellschaftspolitische Themen. Viele sind bemüht, sich bereits vorab rechtlich oder rhetorisch abzusichern, aus Angst vor juristischen Folgen oder öffentlicher „Shitstorms“.

Besorgniserregend ist laut Ruiss, dass heute mehrere Dinge zusammenkommen: alte Formen staatlicher Kontrolle, der Druck durch Empörung im Internet und die wachsende Verbreitung von Falschinformationen, auch durch künstliche Intelligenz. Die Bereitschaft zur Anpassung stelle die größte Gefahr für die literarische Freiheit dar.

Zensur als Spiegel der Gesellschaft

Was bedeutet das nun für ein Buch wie „Maus“ von Art Spiegelman? Ist es zulässig, dass eine Schule in Tennessee entscheidet, diese Literatur nicht mehr zu unterrichten? Rechtlich gesehen ist das im Rahmen der lokalen Schulpolitik möglich. Doch es wirft grundsätzliche Fragen auf: Wer entscheidet eigentlich, ob ein Buch zensiert, verändert oder schlichtweg angepasst werden darf? Jede Form der Zensur, ob staatlich, ideologisch oder aus moralischer Sorge, erzählt mehr über eine Gesellschaft, als ihr vielleicht lieb ist. Sie zeigt, was sie schützen will, aber auch, wovor sie Angst hat.

Oft sind es nicht die Inhalte selbst, sondern das Misstrauen von Menschen gegenüber anderen Menschen, was zu Bücherverboten führt. Das ist eine der Botschaften des Museums in Tallinn. Eine Gruppe denkt, die andere könne mit gefährlichen Ideen nicht kritisch oder verantwortungsvoll umgehen und nimmt ihr die Möglichkeit dazu. Im Westen genau wie in Diktaturen. Zwei Lager trauen einander nicht zu, selbst zu denken.

Gefährliche Gedanken unsichtbar zu machen, ist allerdings als Strategie problematisch. Besser wäre es, sie als Gesellschaft gemeinsam zu behandeln. Genau das versucht das Museum in Tallinn. In seinem Vortrag erzählt Direktor Dunnigan auch von Besuchern aus Hong Kong, Iran oder Russland. „Zu sehen, wie sie sich verbinden, wie sie spüren, dass jemand ihre Geschichte erzählt, das ist etwas ganz Besonderes.“

Auf der Website des Museums findet sich eine laufend aktualisierte „Wanted Books-Liste. Wer eins der aufgeführten Werke besitzt, kann es spenden und damit helfen, dass es die Welt nicht vergisst sondern versteht.


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