Wie geht es dir innerlich mit der ganzen Berichterstattung über dich als Privatperson, insbesondere mit derjenigen, die deinen Wahlkampf dominiert hat?
Schilling. Ich habe schon im Wahlkampf oft einen Satz gesagt: Ich bin nicht aus Teflon. Das klingt so banal, aber es stimmt. Natürlich macht das was mit einem. Alles andere wäre völlig unmenschlich. Aber in Momenten, in denen es besonders schwierig war, habe ich mich daran erinnert, wie ich bei diesem ersten weltweiten Klimastreik dabei war und wie ich zum ersten Mal gespürt habe, wie viele Menschen dafür brennen. Es war dann schon frustrierend, dass ich als Klimaaktivistin angetreten bin und kaum über die Klimakrise und über die Probleme, die Menschen betreffen, reden konnte. Dass das in den Hintergrund gerückt ist, war schwer für mich. Innerhalb der Familie war das Ganze auch schwierig.
Inwiefern?
Schilling. Wie sich wohl jeder vorstellen kann, verträgt eine Mama das extrem schwer. Einmal stand in einem Gasthaus, in dem meine Mama gerne Kaffee trinkt, ein Fernsehteam und fragte den Wirt, wie meine Mama so ist. Da wurden Grenzen überschritten. Das hat ja nichts mehr mit meinem politischen Mandat zu tun oder mit meinem Leben. Wir tragen das jetzt als Familie noch weiter. Umso wichtiger ist es, hier und jetzt zu beweisen, dass ich die Richtige für den Job bin.
Was sagst du zu den anonymen Vorwürfen, du hättest die Klimabewegung nur als Sprungbrett für deine politische Karriere benutzt?
Schilling. Ich habe mich über meinen Eintritt in die Politik mit Menschen, mit denen ich lang zusammengearbeitet habe, beraten. Ich habe diesen Schritt gemacht, weil ich finde, dass wir progressive Ideen dort vertreten müssen, wo Entscheidungen fallen. Ich verstehe die Kritik am Parlamentarismus, wirklich. Es geht um die Frage, wo verändern wir Gesellschaft? Ich verstehe, dass Menschen Kritik an dem Weg haben, den ich gegangen bin. Ich finde es völlig legitim, dass ihn manche nicht gut finden. Ich habe ihn auch immer wieder kritisiert und hinterfragt. Aber es ist der Beste, den ich im Moment sehe.
Im Wahlkampf haben sich beinahe 50 Menschen aus deinem Umfeld gegen dich geäußert. Wie hat das dein Grundvertrauen beeinflusst?
Schilling. Ich hinterfrage jetzt meine persönlichen Beziehungen stärker. Das hat es auf jeden Fall mit mir gemacht. Ich bin ein offener, lebenslustiger Mensch. Ich möchte mir das gern behalten, aber ich merke, dass es mir manchmal schwerfällt.
Das mit dem Vertrauen ist so eine Sache. Ich habe gelernt, dass ich da sehr vorsichtig sein muss.
Es gibt aber auch ganz tolle Menschen, die mich weiter begleiten, die geblieben sind. Ich habe auch viele neue Freundinnen und Freunde dazu gewonnen, die einen ähnlichen Weg wie ich gehen, zum Beispiel innerhalb der Partei. Vielleicht ist das einfach eine Transformation.
Musstest du dir in Brüssel selbst eine Wohnung suchen oder hast du so eine Art Dienstwohnung bekommen?
Schilling. Die Hälfte unserer Fraktion im Parlament ist neu gewählt. Das heißt, viele sind gegangen und ich konnte eine Wohnung übernehmen. Das war praktisch, aber du musst dich trotzdem um einen Wasservertrag, einen Energievertrag und all diese Dinge kümmern, das alles in einem anderen Land.
Wie hast du den Umzug gemeistert?
Schilling. Ich wollte zum Beispiel mein Bett selbst die Stiegen hinauftragen. Schließlich bin ich ja eine strong independent woman. Aber dann sind die Möbelstücke größer und schwerer als du selbst und du denkst dir: Mist, was mache ich jetzt? Neben diesen ganzen parlamentarischen Herausforderungen stand ich also auch vor vielen ganz normalen, die jeder Mensch hat, der in ein anderes Land zieht. That happens too.
Ja, tell me about it. Wo ist deine Wohnung? Wie zufrieden bist du damit?
Schilling. Es war die einzige, die ich mir angeschaut habe. Weil wenn du beruflich so einen Riesenschritt machst, denkst du dir, okay, wie soll ich das jetzt auch noch checken?
Die ersten zwei Wochen sitzt du verzweifelt vor drei Milliarden Papieren, da willst du dann nicht noch lang Wohnung suchen.
Sie ist immerhin in Gehweite vom Parlament, was gut ist, weil das ist auch so eine Sache: Ich vermisse extrem die Wiener Öffis. Deshalb kenne ich noch ganz wenig von Brüssel. Wenn ich nicht im Parlament bin, bin ich daheim bei meinen Katzen.
Die Katzen hast du aus Wien mitgenommen?
Schilling. Ich habe sie mit dem Nachtzug übersiedelt. Es war ein ziemlicher Kraftakt, muss ich sagen. Zwei Katzen, 15 Stunden lang im Zug. Sie haben es mir lange übelgenommen, aber ich bin froh, dass sie da sind.
In eine andere Stadt zu ziehen und so einen Job anzutreten, mehr oder weniger alleine, ohne Familie, ohne Freunde, ohne das, was du gerade in so einer Zeit bräuchtest, das ist manchmal schon nicht ganz einfach. Dann am Abend heimzukommen und die Katzen zu kuscheln hilft sehr.
Wie schaut dein Team und dein soziales Umfeld aus?
Schilling. Das Team habe ich zusammengestückelt. Zwei Leute, mit denen ich in der Klimabewegung zusammengearbeitet habe und zwei, die davor in verschiedenen Institutionen gearbeitet haben. Ich bin sehr glücklich damit. Abgesehen davon ist es schon ein bisschen schräg. Das Durchschnittsalter im EU-Parlament liegt sicher über 50. Du hast es ständig mit urargen Leuten zu tun, die zum Beispiel Ministerin waren und die unfassbar viel politische Erfahrung haben, aber halt auch ganz andere Lebensrealitäten. Politisch werde ich viel lernen und es ist total cool, dass ich Unterstützung kriege. Persönlich vermisse ich mein privates Umfeld, das ich daheim gelassen habe. Ich vermisse es auch, mal mit gleichaltrigen Freundinnen und Freunden einen unbeschwerten Abend zu haben, der sich um ihre Studien dreht oder um ihre Freizeitaktivität oder whatever und nicht um EU-Policies. Gleichzeitig weiß ich, es ist so ein Privileg, hier zu sein.
Nice, okay. Wie schaut es mit deinen eigenen Freizeitaktivitäten aus, wenn sich mal welche ausgehen?
Schilling. Ich gehe mit einem Kollegen, mit dem ich mittlerweile ganz gut befreundet bin, boxen. Also ich habe mein Leben lang Sport gemacht, ohne das geht es nicht. Ohne das ging es auch nicht während des Wahlkampfs. Das Boxen tut mir eigentlich ganz gut, auch wenn ich danach immer einen ordentlichen Muskelkater habe.
Wie schaut es mit deinen Beziehungen aus? Pflegst du noch die Kontakte, die in Wien nah an deinem Herzen waren?
Schilling. Ich versuche es, aber es ist manchmal ganz schön schwierig, weil die Lebensrealitäten auseinanderdriften. Bei meinem letzten Besuch in Wien waren wir dann auch einfach mal zu dritt ein Bier trinken. Es war total lustig, als eine Freundin, die beim Arbeiter-Samariter-Bund arbeitet, über die Speibsackerl dort geredet hat, in denen du auch wirklich reinspeiben kannst. Da gab es einfach Themen, die weit weg sind von der Dimension und der Ernsthaftigkeit globaler Weltpolitik. Dieses Bisschen Leichtigkeit versuche ich mir zu bewahren.
Wie hast du eigentlich den Wechsel vom Aktivismus in die Politik empfunden?
Schilling. Manchmal fühle ich mich noch immer wie eine Aktivistin und möchte es auch bleiben. Das ist so ein bisschen ein Kern, den ich abkapseln kann von allem, das frustrierend ist. Das ist die kleine Flamme, die da brennt und der Grund ist, warum ich weitermache.
Das heißt, es nervt dich an der Politik auch manches?
Shilling. Mich nervt, dass es zu viel um die Bedürfnisse bestimmter Politiker geht und zu wenig um die Politik. Politik findet ja zum Glück nicht nur in Parlamenten statt. Deshalb treffen wir Grüne uns laufend mit Aktivistinnen und Aktivisten und Menschen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren. Das ist mir wichtig. Denn all das ist verdammt nochmal einfach auch Politik.
Erzähle mal ein bisschen von deinem Arbeitsalltag bitte.
Schilling. Wir haben fast jeden Tag eine Morgenbesprechung mit dem Team. Heute war sie um 9.30 Uhr. Davor habe ich schon einige Unterlagen vorbereitet. Nach unserem Interview haben wir ein Sicherheitsbriefing für die Klimakonferenz, weil in Aserbaidschan die Menschenrechtssituation so schwierig ist. Dann haben wir ein Treffen mit der Weltbank, weil ich in der Delegation für Afghanistan bin und für Frauenrechte kämpfe. Dazu kommen zwei Hearings der neuen EU-Kommissarinnen, die jeweils vier Stunden dauern. Der Tag endet um 21.30 Uhr und danach haben wir noch eine Team-Besprechung darüber, was wir morgen machen. An manchen Tagen geht es auch kürzer. Ein- oder zweimal die Woche gibt es Group-Meeting meiner Fraktion, den Grünen. Da sind so drei bis vier Stunden geblockt, wo wir diskutieren, was ansteht und was kommt und wir besprechen, wie wir damit umgehen könnten.
Es gibt Tage, da bin ich total zufrieden, weil wir viel geschafft haben.
Gestern war so ein guter Tag. Ich bin nach Hause gegangen und war richtig zufrieden.
Was genau hat dich so zufrieden gemacht?
Schilling. Es haben einfach Sachen funktioniert und du merkst, dass deine Arbeit, in die du so viel Leidenschaft steckst, tatsächlich etwas verändert in der Gesellschaft. Wir hatten gestern ein Pressebriefing mit internationalen Medien und Zhala Bayramova, einer Aktivistin aus Aserbaidschan, deren Vater in Haft sitzt. Wenn du merkst, ihre Stimme wird plötzlich gehört, weil wir ihr diese Plattform geben können, und wie das eine Lebensrealität verändern kann. Das gibt dir total viel.
Wie laufen die weniger guten Tage?
Schilling. Die fangen dann mit Änderungsanträgen der extrem Rechten an, die den Klimaschutz verhindern wollen. Im Ausschuss leugnen sie dann die Klimakrise oder geben rassistische, sexistische und widerliche Dinge von sich.
Also es ist ein emotionaler Rollercoaster in diesem Parlament, aber es ist auch total spannend.
Woran arbeitest du gerade, was dir total wichtig ist?
Schilling. Ich arbeite im Umwelt- und Verkehrsausschuss, vor allem zu Parlamentspositionen zur Klimakonferenz, und zur Klimafinanzierung. Es geht um die Natur. Wie transformieren wir das Energiesystem? Wie transformieren wir die Mobilität?
Ich habe während des Wahlkampfs auch viel über den Europatarif geredet, also über günstiges Reisen. Mein Hauptgedanke besteht darin, Klimaschutz und die soziale Frage zu verbinden. Denn Klimaschutz darf niemals eine Frage von Leistbarkeit sein. Dann bin ich auch in Länderdelegationen, zum Beispiel in der zu Moldau, wo wir an der Erweiterungsfrage und dem Einfluss von Russland arbeiten. Querschnittsmaterien wie Antifaschismus und Feminismus gibt es eh immer. Im rechtesten EU-Parlament aller Zeiten gibt es keine andere Möglichkeit, als stark gegen rechts aufzustehen und menschenverachtende Politik zurückzuweisen.
Was hast du dir für die nächsten 5 Jahre vorgenommen?
Schilling. Es geht mir um Nahbarkeit. Oft fehlt das Verständnis dafür, warum Politikerinnen und Politiker etwas machen und wer diese Politikerinnen und Politiker überhaupt sind. Am Ende bin ich ein Mensch, der sich entschieden hat, in die Politik zu gehen, weil mir diese Möglichkeit gegeben wurde und weil ich das Gefühl habe, es ist gerade jetzt wichtig, für bestimmte Themen zu kämpfen. Ich bin eine 23 Jahre alte motivierte Frau, die Bock hat, etwas in dieser Welt zu verändern, mit Fehlern und Stärken und mit allem, was dazugehört. Bisher ist viel über meine Person geredet worden. In den nächsten fünf Jahren möchte ich über Inhalte reden. Es ist mein ganz fester Vorsatz, mit meinem Herz und dem, was ich bin, zu beweisen, dass ich genauso für den Klimaschutz kämpfe wie früher als Aktivistin – nur jetzt mit ein bisschen mehr Zeit dafür.