Posts aus bestehenden Archivaufnahmen, ein politisches Best-of der Sager Jörg Haiders in Videoform. Seit Dezember 2023 verbreitet auf YouTube, Instagram, Facebook, TikTok, X und Threads. Besondere auf TikTok sind die Zugriffszahlen hoch. Wer oder was steckt dahinter?
Zunächst fällt auf, dass ausschließlich Material aus Haiders Ära bei der FPÖ auftaucht. Dabei war der Rechtspopulist zum Zeitpunkt seines Unfalltodes längst aus der Partei ausgetreten und Obmann des BZÖ. Ein näherer Blick auf die jeweiligen Profile offenbart den Grund dafür. Auf der Seite haiderjoerg.at, die hinter den Profilen steht, ist die FPÖ als inhaltlich verantwortlich genannt. Bloß welches Interesse haben Herbert Kickl und seine Parteikollegen an einer digitalen Wiederbelebung Haiders?
Auf Anfrage teilt die freiheitliche Pressestelle mit, die Entscheidung für die Haider-Posts sei wegen der prägenden Wirkung des ersten österreichischen Rechtspopulisten auf die Politlandschaft gefallen. „Hätte die Politik damals einige seiner Forderungen umgesetzt, wäre Österreich viel erspart geblieben“, heißt es. „Viele davon sind ebenso wie viele seiner Aussagen noch heute aktuell und viele seiner Warnungen haben sich bewahrheitet.“ Die FPÖ hofft also, mit Hilfe von Archivmaterial von Haiders Legendenstatus politisch zu profitieren, indem sie damit ihren eigenen Botschaften Nachdruck verleiht. Angesichts der Zugriffszahlen scheint das zu funktionieren.
Andre Wolf von Mimikama, einem Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch, beschreibt die politische Taktik hinter der Reaktivierung Haiders. „Die FPÖ holt Haider aus seiner historischen Einbettung und stellt ihn auf ein Podest. Dort ist er unangreifbar, schon weil er nicht mehr existiert. Genau deshalb kann er sich auch nicht gegen seine politische Instrumentalisierung wehren.“
Laut Stefan Petzner, der Jörg Haider einst als seinen „Lebensmenschen“ bezeichnete, würde sich Haider auch gar nicht wehren wollen. „Wenn Slogans in einem schnelllebigen Bereich wie der Politik die Jahre überdauern, dann ist das schön. Haider würde das gefallen.“ Urheberrechtliche Probleme für die FPÖ sieht Medienprofi Petzner nicht. Haider war eine Person des öffentlichen Lebens. Ihn betreffende Veröffentlichungen seien deshalb zulässig, solange sie nicht die Grenze zu persönlichen Lebensbereichen überschreiten.
Die gewählten Inhalte decken sich mit aktuellen Themen der FPÖ. So etwa ist Haider in einem am 8. November hochgeladenen YouTube-Video mit dem Titel „Das Wort des Volkes zählt!“ in einem alten ORF-Interview zu sehen. Er habe als demokratischer Politiker im Unterschied zu Alexander Van der Bellen keine Angst vor der eigenen Bevölkerung, erklärt er dort. Van der Bellen, der jüngst als Bundespräsident entgegen der Usancen ÖVP-Chef Karl Nehammer statt Wahlsieger Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt hat, war damals noch Obmann der Grünen. Wolf: „Im neuen Kontext tritt Haider als glorifizierter Prophet und Märtyrer auf, der den aktuellen Themen der FPÖ historische Legitimation verleiht.“
Kontroverse Inhalte, sei es nun Haiders Rolle bei der Affäre um die Bank Hypo Alpe Adria, die Umstände seines Todes oder die Differenzen zwischen BZÖ und FPÖ fehlen in den Videos. Haiders positiv wahrnehmbare Seiten und populistische Botschaften stehen im Vordergrund. „Seine Wirkung beruht auf Gefühlen statt auf Fakten“, sagt Wolf. „Wahrscheinlich geht es darum, gezielt junge Menschen zu erreichen.“ Zum Beispiel mit zeitlosen Sagern wie „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist.“
Viele der jungen Menschen wüssten nichts über Haider und dessen Schattenseiten, so Wolf weiter. Dementsprechend seien sie für die vermittelten rechtspopulistischen Inhalte und für die Darstellung Haiders als Macher und Aufräumer empfänglich. Die FPÖ sei in den sozialen Medien jedenfalls allen anderen Parteien weit voraus. Das sei besorgniserregend, aber auch bewundernswert.
Faktum bleibt auch: Trotz aller neuen Kommunikationskanäle sind viele politische Botschaften in den vergangenen zwanzig bis dreißig Jahren gleich geblieben. Zumindest die der Rechtspopulisten. Deren potentielle Reichweite erhöhte sich hingegen beträchtlich.
„Es ist jedenfalls gut, dass heute Herbert Kickl und nicht Jörg Haider an der Spitze der FPÖ steht“, meint der streitbare Sozialdemokrat Rudolf Fußi. „Wäre es Haider, läge die FPÖ wahrscheinlich bei 60 Prozent.“