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„Ein kleines Zimmer mit einem Bett und einem Waschbecken“

Karl-Heinz Grassers Anwalt Manfred Ainedter über die Haftbedingungen seines Mandanten, die Wiederherstellung von dessen Ehre und Gerechtigkeit in Österreich.
Sophia Tiganas  •  7. April 2025 Redakteurin    Sterne  372
Manfred Ainedter: „Grasser verschwindet jetzt nicht jahrzehntelang in einem tiefen Loch. Er wird eine Zeit tatsächlich stationär verbringen müssen, wie es aussieht, aber keine Ewigkeit. Auch das wird vorübergehen.“ (Foto: Rene Prohaska, picturedesk)
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16 Jahre BUWOG-Prozess, wie hat das Ihre Beziehung zur österreichischen Justiz verändert?

Ainedter. Es hat mir gezeigt, dass eben doch viele Dinge nicht funktionieren. Neben der langen Dauer hatten wir im Laufe des Verfahrens etliche Rechtsbrüche wie Telefonüberwachungen oder eine Hausdurchsuchung vor den Augen der Öffentlichkeit. Da sind Fehler passiert, im Übereifer der Ermittler, sage ich mal. Gerade in so einem Fall wäre aber besondere Achtsamkeit gefragt gewesen. 

Die Justiz hat viele Ermittlungsstränge gleichzeitig verfolgt.

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Ainedter. Das war der Kardinalfehler. Sie hat ja praktisch jede Privatisierung während Grassers Zeit als Minister untersucht. Sie fand nichts, kein Fehlverhalten und schon gar keine Bestechung.

Jetzt wollen Sie sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden. Mit welchem Argument? 

Ainedter. Da geht es um die überlange Verfahrensdauer und um den Anschein der Befangenheit der vorsitzenden Richterin Marion Hohenecker.

Welche Chancen sehen Sie in Straßburg?

Ainedter. Der Kollege Böhmdorfer (Anmerkung: Dieter Böhmdorfer, früherer FPÖ-Justizminister) ist seit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs damit befasst. Die Befangenheit ist genauso offensichtlich wie die viel zu lange Verfahrensdauer. Die Tweets des Ehemannes der Richterin, die voller Hass und Verachtung für Grasser waren, sind ja bekannt. Die Richterin ist mit ihrem Ausbildungsrichter verheiratet. Da sollen zwei Richter, beide Strafrichter noch dazu, beim Frühstück sitzen und sich darüber unterhalten, wer den Garten macht oder das Haus putzt? Es ist völlig absurd und lebensfremd anzunehmen, dass die nicht über die Fälle, die sie bewegen, sprechen. Und dann entscheidet die Richterin selbst, dass sie nicht befangen ist? Jeder vernünftig denkende Mensch kann sich da nur wundern.

Und wie lange dauert es bis zu einer Entscheidung in Straßburg?

Ainedter. Zwei oder drei Jahre. Mit etwas Glück geht es auch schneller.

Grasser wird also ins Gefängnis müssen.

Ainedter. So sieht es aus. Es kann sein, dass er die Haft schon verbüßt hat, wenn Straßburg entscheidet. Solche Fälle gibt es. Dann geht es um eine Entschädigung. Immerhin wären seine Ehre und seine Reputation wieder hergestellt.

Was macht das mit Ihnen, wenn Grasser ins Gefängnis geht?

Ainedter. Ich vertrete Grasser schon seit 2002. In so vielen Jahren entwickelt sich natürlich eine über das Berufliche hinausgehende Beziehung. Er verschwindet jetzt aber nicht jahrzehntelang in einem tiefen Loch. Er wird eine Zeit tatsächlich stationär verbringen müssen, wie es aussieht, aber keine Ewigkeit. Auch das wird vorübergehen und nichts an unserer Beziehung ändern.

Wie haben Sie Grasser damals als Klienten gewonnen? 

Ainedter. Es liefen immer wieder Verfahren gegen ihn, nach Anzeigen politischer Gegner. Es ging dann um Geheimnisverrat oder Bestechung. Alle Verfahren wurden eingestellt. Als dann 2009 die Buwog-Geschichte aufkam, war es nur logisch, dass er mich damit beauftragte. 

Haben Sie je mit einer derart langen Verfahrensdauer gerechnet?

Ainedter. Ich habe weder damit noch mit diesem Ausgang gerechnet, zu keinem Zeitpunkt. Wir haben alle bis zuletzt mit einem Freispruch gerechnet. Schließlich gibt es nach wie vor keine Beweise, es gibt Indizien, aber Indizien gibt es oft. Gewöhnlich reichen sie nicht aus für eine Verurteilung.

Was können Sie für Grasser tun, wenn er im Gefängnis ist?

Ainedter. Dann könnte es um Haftbedingungen oder etwa um eine bedingte Entlassung gehen. Gut möglich also, dass ich da weiterhin etwas zu tun habe. Wir werden sehen. Das hängt auch davon ab, wo er hinkommt und ob dann vielleicht ein lokaler Anwalt tätig wird. Das steht alles noch in den Sternen.

Was meinen Sie, wird Grasser die Haft gut aushalten?

Ainedter. Als starke Persönlichkeit kommt er damit zurecht. Vor allem belastet ihn, wie sehr sein Umfeld davon betroffen ist. Seine beiden pflegebedürftigen Eltern, seine Kinder natürlich und seine Frau. 

Wie kann man sich die Zelle vorstellen, in der er untergebracht sein wird?

Ainedter. Was soll ich sagen. Das ist ein kleiner Raum mit einem Bett und einem Waschbecken, im besten Fall in einer modernen Haftanstalt. Es gibt ja immer mehr verbesserte Haftanstalten, die viel Freiraum ermöglichen, in denen etwa untertags die Türen offen bleiben. Bei Leuten wie Grasser ist das ja auch gewöhnlich kein Problem. 

Er wird es also aushalten? 

Ainedter. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. 

Wird Grasser als Ex-Finanzminister nicht zwangsläufig privilegiert sein? 

Ainedter. Es gibt immer wieder Politiker und Wirtschaftstreibende, die das Haftübel verspüren mussten. Ich glaube nicht, dass er Vorteile haben, aber er sollte auch keine Nachteile haben. Das ist eher die Gefahr bei derart bekannten Persönlichkeiten. Andere, die neidisch oder eifersüchtig sind, drangsalieren sie. 

Gibt es in Österreich eine Zweiklassenjustiz?

Ainedter. Diese Behauptung gibt es immer wieder, aber sie stimmt nicht. Wer sich einen guten Anwalt leisten kann, hat bessere Chancen, aber das ist auch in der Medizin mit den Ärzten so. Qualität kostet eben. 

Wer auf staatlich bezahlte Verfahrenshelfer angewiesen ist, bildet wirklich keine zweite Klasse?

Ainedter. Ich stelle immer wieder fest, dass sich Verfahrenshelfer sogar ganz besonders bemühen. 

Die Kronenzeitung hat in den Raum gestellt, der Fall Grasser sei Ihre größte Niederlage gewesen.

Ainedter. Damit muss man als Anwalt leben können. Der oberste Gerichtshof hat nicht über Schuld oder Unschuld entschieden, das hat der Vorsitzende bei der Urteilsverkündung extra betont. Er hat nur darüber befunden, ob die von uns vorgebrachten Verfahrensmängel vorlagen oder nicht. Es ist unbefriedigend, wenn die Justiz gerade in aufsehenerregenden Fällen in erster Instanz inquisitorisch die Wahrheit sucht und es in zweiter Instanz wurscht ist, ob der Mensch schuldig oder unschuldig ist, da geht es nur mehr um Fehler im Verfahren. Und das ist eigentlich unbefriedigend. 

Wie hat sich das österreichische Justizsystem in Österreich in den vergangenen Jahren verändert?

Ainedter. An sich ist die Entwicklung nicht so schlecht gelaufen. Viele haben kritisiert, dass es die Untersuchungsrichter nicht mehr gibt, weil es sie ja bis 2008 gab und jetzt nur noch Staatsanwaltschaft und Polizei übrig sind. Das finden manche einseitig und vermissen sozusagen das Gleich- oder Gegengewicht eines Richters. Ich bin aber der Meinung, dass Haft- und Rechtsschutzrichter ein ausreichendes Gegengewicht zu den Ermittlungsbehörden darstellen. Die Entwicklung finde ich also als solche nicht ganz schlecht. Allerdings dauern manchen Verfahren viel zu lange. Die überlange Verfahrensdauer ohne Möglichkeit einer Verjährung ist ein Problem, insbesondere bei großen Wirtschaftsverfahren.

Sie haben selbst ein langes Verfahren hinter sich. Hat sich in Ihrem Arbeitsalltag etwas verändert?

Ainedter. Eigentlich nicht. Es müsste aber eine Höchstdauer für Verfahren geben. Mir hat einmal ein erfahrener Staatsanwalt vor vielen Jahren gesagt, alles, was man innerhalb von zwei Jahren nicht ermitteln kann, lässt sich auch in weiterer Folge nicht ermitteln. Das ist nicht ganz falsch. Das hat sich ja auch im Fall BUWOG letztlich gezeigt. Was nach 7 Jahren angeklagt wurde, lag schon nach zwei Jahren vor.

Das Bildungs-, Gesundheits-, Wirtschafts- und Pensionssystem stehen alle auf der Justiz als Fundament. Sehen Sie hier ein Problem? 

Ainedter. Die Justiz als solche funktioniert wie gesagt gut, abgesehen von Einzelfällen.

In anderen demokratischen Staaten weltweit, zum Beispiel in Frankreich und in den Vereinigten Staaten, kommt die Justiz unter Druck. Was passiert da?

Ainedter. Immer dort, wo es um politische Prozesse geht, wie zuletzt in Frankreich mit Le Pen, besteht die Gefahr, dass die Verfolgungsbehörden politisch motiviert sind. Das ist nicht auszuschließen, ohne dass man deswegen von Politjustiz sprechen kann oder muss.

In den USA scheint sich das zuzuspitzen. 

Ainedter. Dort sind die hohen Justizämter beziehungsweise Richterposten politisch besetzt. Das ist schlecht, das muss man deutlich sagen. Elon Musk läuft herum und zahlt Geld für die Wahl der von ihm gewünschten Kandidaten. Das ist natürlich komplett falsch, allerdings hat es auch nichts genutzt. Aus seiner Sicht hat trotzdem die falsche Kandidatin gewonnen. 

Glück gehabt? 

Ainedter. Ich denke, ein gewisses Vertrauen in die rechtssuchende Bevölkerung ist gerechtfertigt. Aber natürlich ist jede finanzielle Einmischung in die Richterbestellung absurd.

Wozu führt der weltweite Druck auf das Justizsystem? 

Ainedter. So entstehen Diktaturen. Das haben wir in Ungarn gesehen, über Russland brauchen wir gar nicht zu reden. Da ist die Justiz praktisch ausgeschaltet. Auch in der Türkei, wie die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters und einzigen ernstzunehmende Gegner Erdogans zeigt. Auch Anwälte müssen mit Verhaftung rechnen.

Haben wir in Österreich Handlungsbedarf, um solche Szenarien zu verhindern? 

Ainedter. Keinen großen. Ich glaube, das bestehende System ist in Ordnung und sollte auch beibehalten werden. 

Gibt es also noch Gerechtigkeit in Österreich? 

Ainedter. Ja, die gibt es.

Und was halten Sie von der neuen österreichischen Justizministerin?

Ainedter. Ich kenne sie nicht und kann zu ihr nichts sagen. Ich habe nur mitbekommen, dass sie Vize-Präsidentin beim Verwaltungsgerichtshof war und eine Feministin zu sein scheint. Sie ist auf meiner Landkarte ein weißer Fleck.


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