90 Prozent wegen Lebensstil zuckerkrank Diabetes ist jährlich für fast sieben Millionen Todesfälle verantwortlich. Aktuell leben mehr als eine halbe Milliarde Menschen mit der Krankheit. Mehr als 90 Prozent der Erkrankungen fallen auf Typ-2 zurück. Verantwortlich ist ein ungesunder Lebensstil.
Jeder zweite weiß nichts von seiner Zuckerkrankheit. In einkommensschwachen Regionen wird Diabetes nur selten diagnostiziert. Regelmäßige Arztbesuche können sich dort nur wenige leisten. Kommt es doch zu einer Diagnose, ist die Behandlung für viele unbezahlbar. In Afrika kostet Insulin Familien oft das halbe Einkommen.
„Mehr Süßwaren-Läden in Pakistan als Konditoreien in Österreich“
Den größten Anteil an Diabetikern gibt es heute in Pakistan. Fast jeder Dritte ist dort zuckerkrank. In den USA ist es nur jeder Zehnte. Ein Grund für den rasanten Anstieg in dem südasiatischen Land ist die Urbanisierung. Immer mehr Menschen kehren der traditionellen und aktiven Lebensweise den Rücken zu. Gleichzeitig haben immer mehr Zugang zu stark verarbeiteten, zuckerhaltigen und fettreichen Lebensmitteln. Der Verkauf von Süßigkeiten boomt. Baklava und Co werden so gerne genascht wie noch nie zuvor. „In Pakistan gibt es viel mehr Süßwaren-Läden als Konditoreien in Österreich“, sagt der pakistanische Journalist Shams Ul Haq.
Vom einst aktiven Lebensstil heute wenig übrig
Pakistani sind genetisch anfälliger für Diabetes als Europäer. Früher brach die Krankheit aber seltener aus. Die Haupttreiber ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel gab es noch nicht.
Traditionell galt die Ernährung in Pakistan als ausgewogen. Die meisten Lebensmittel waren unverarbeitet. Auf dem täglichen Speiseplan standen Reis, frisches Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. „Zucker war ein Luxusgut. Er kam nur bei Festen und Hochzeiten zum Einsatz“, sagt der Tropenmediziner Marton Szell. Im Alltag wurden zum Süßen Honig und Datteln verwendet. Sie waren die regionalere, weniger verarbeitete und nahrhaftere Alternative. Fastfood und Softdrinks konnte sich nur die städtische Elite leisten. Für den Großteil der Bevölkerung war die Industrienahrung aus dem Westen zu teuer.
Vor der Industrialisierung des Landes waren die meisten Menschen in der Landwirtschaft tätig. Intensive körperliche Anstrengung stand auf der Tagesordnung. Heute ist davon wenig übrig. Bürojobs feiern Hochkonjunktur.
Diabetes-Boom in Nicht-Industrieländern
Die Epidemie breitet sich auch in anderen Entwicklungsländern rasant aus. Heute stammen drei von vier Diabetikern aus Nicht-Industrieländern. Nach Pakistan führen Kuwait, Saudi-Arabien und Qatar die Liste weiter. In den Golfstaaten ist fast jeder Vierte von der Krankheit betroffen. In den kommenden Jahrzehnten soll die Zahl der Zuckerkranken weiterwachsen. Vor allem in Asien und Afrika.
USA nur auf Platz zwölf
Auch Ägypten und Südafrika sind unter den Top zehn vertreten. Die USA liegen als erster Industriestaat auf Platz zwölf. Mit steigender Wirtschaftsleistung übernehmen die Menschen in den Entwicklungsländern die westliche Lebensweise. Szell erkennt einen Zusammenhang zwischen dieser und der Diabetes-Rate: „Mittlerweile ist die Ernährung in diesen Ländern sehr kalorienreich und es gibt viele sitzende Berufe. Die Kombi drückt die Diabeteszahlen in die Höhe.“
Antibiotika als Ursache für Diabetes
Ein weiterer Risikofaktor sind Antibiotika. Sie verändern die Darmflora und fördern Übergewicht, die Hauptursache für Diabetes. Das haben an Mäusen durchgeführte Studien gezeigt. Beim Menschen könnte es sich ähnlich verhalten, sagen Forscher. In großer Zahl kommen Antibiotika traditionell in Nicht-Industrieländern zum Einsatz. Schlechte hygienische Bedingungen lösen bakterielle Infekte aus und machen Antibiotika-Behandlungen notwendig. „Die dadurch veränderte Darmflora könnte zusammen mit der Industrienahrung zu Übergewicht und in der Folge zu Diabetes führen“, so Szell. Übergewicht und Diabetes sind dort neue Phänomene. „Mit Stoffwechselerkrankungen haben die Länder wenig Erfahrung. Die Gesundheitssysteme sind darauf nicht vorbereitet.“
Weniger Diabetiker durch Wohlstand und Bildung
Auch in den Industriestaaten sind ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel ein Problem. Das Bewusstsein dafür ist aber da. Schulen, Arbeitgeber und staatliche Programme helfen einen gesunden Lebensstil zu verfolgen. Die besser ausgebauten Gesundheitssysteme ermöglichen die frühzeitige Behandlung von Fettleibigkeit, Bluthochdruck und hohen Cholesterinwerten. Sie alle sind Risikofaktoren für Diabetes. Der Löwenanteil der Kosten für Vorsorgeuntersuchungen wird übernommen. Gesundheit ist keine Frage des Einkommens.
Von der Wohlstandskrankheit zur globalen Gesundheitskrise
Eine schnell wachsende Wirtschaft kann den Lebensstil einer Gesellschaft und ihren Gesundheitszustand schnell verändern. Das zeigt die Situation in Pakistan. Urbanisierung, Fast Food und Bewegungsmangel lassen die Diabetes-Zahlen explodieren. Das Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen. Die einstige Wohlstandskrankheit ist in den Niedriglohnländern angekommen und breitet sich dort explosionsartig aus. Wir stehen vor einer globalen Gesundheitskrise.
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