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Journalismus ist doch eigentlich ganz einfach

Die Grundlagen für guten Journalismus waren schon zur Zeit von Hugo Portisch leicht verständlich. Die richtigen Themen erkennen. Wissen, was die Menschen wirklich interessiert. Die Themen nicht färben oder populistisch aufbereiten, sachlich bleiben und dennoch Dinge in Bewegung bringen. Und: Journalisten dürfen keine politisch Handelnden sein. Warum funktioniert das nicht mehr richtig? Ein Leitartikel von Michael Csoklich
Michael Csoklich  •  08 Dezember 2024 CvD      12

Die Medien stecken in einer Zwickmühle. Existentiell wegen ihrer digitalen Transformation und ihrer damit unsicheren Zukunft. Inhaltlich wegen der Vertrauenskrise, die sie voll erfasst hat. Leser, Seher, Hörer und User glauben zunehmend weniger von dem, was sie an Inhalten konsumieren und eine steigende Zahl verweigert sich Nachrichten überhaupt.

Das belegt der neueste Digital News Report. Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen Zeitung, ortet (in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Kurt Vorhofer Preises 2024) den Grund für den Vertrauensschwund selbstkritisch darin, dass zu viele Journalistinnen und Journalisten schon vor Jahren eine falsche Abzweigung genommen haben. An die Stelle von Informieren und Bilden, zwei Grundpfeilern des Journalismus, sei „erziehen und belehren“ getreten, was „jede Widerrede, jedes Fragezeichen, jedes stille Unbehagen“ diskreditierte. Als Folge, so Patterer, spürten die Menschen, „dass das Veröffentlichte mit dem, was sie wahrnehmen, nicht übereinstimmt. Patterer meint, „wir verwechseln Pädagogik mit Journalismus. Nicht alle. Nicht immer. Aber zu lange. Das kostet Vertrauen und treibt die Entfremdung voran.“

“Zu oft präsentieren Journalisten nur eine Seite der Medaille. Und zwar meist jene, die ihrer persönlichen aber auch politischen Haltung besser entspricht.”

Direkter formuliert: zu oft präsentieren Journalisten nur eine Seite der Medaille. Und zwar meist jene, die ihrer persönlichen aber auch politischen Haltung besser entspricht. Sie veröffentlichen also Halbwahrheiten. Nichts Falsches also, aber die Gegenargumente fehlen. Das Problem: Halbwahrheiten verhindern, dass sich Konsumenten selbst ein ausgewogenes Bild zu einem Thema machen und in Folge ihre eigene Meinung bilden können. Das erzeugt das angesprochene Unbehagen.

Diesem Phänomen, dieser Fehlentwicklung wird zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Stattdessen liegt der Fokus auf den Fake News. Natürlich sind diese ein gefährliches Übel, die aufmerksame Medien-Community entlarvt sie aber in der Regel rasch. Halbwahrheiten hingegen, angetrieben von Gesinnungs- und Haltungsjournalismus, gehen oft unter der Hand unbemerkt durch – und befeuern dieses Unbehagen weiter.

Halbwahrheiten können eine Folge von Gesinnungsjournalismus sein, sie können aber auch das Resultat von zu wenig Fachwissen sein und eine Folge eines Schwarz-Weiß-Denkens, das auch die Medien erfasst hat. Ausgehend von den Social Media Algorithmen, denen sich auch Journalisten oft nicht entziehen können oder wollen.

 Verständliche Sehnsucht nach einfachen Antworten

In einer immer komplexer und komplizierter werdenden Welt scheint die Sehnsucht nach einfachen Antworten verständlich. Statt des erhofften Schwarz und Weiß stellen sich die Welt und ihre Probleme aber in immer mehr Facetten, Schattierungen und Grautönen dar. Es sind die Medien, also die Journalisten, die diese vielen Facetten und zunehmenden Grautöne sehen und erkennen, und für ihre Kundschaft übersetzen und einordnen müssen.

 Das Problem lässt sich mit einem Schnürboden im Theater veranschaulichen. Wenn, sagen wir vor 20 Jahren, die Politik ein Problem lösen wollte, dann wusste sie, zieht sie an einer Schnur, werden sich auf der anderen Seite ein, zwei, vielleicht drei Schnüre bewegen. Die Sache war also recht kalkulierbar und überschaubar. Zieht sie heute an einer Schnur, bewegen sich auf der anderen Seite zwanzig und mehr Schnüre, viele davon überraschend und unerwartet. Das zeigt, dass es einfache Lösungen für komplexe Probleme nicht gibt. Deshalb hat Schwarz-Weiß-Denken in dieser komplexen Welt nichts verloren.

 Die neuen Fragen bleiben aus

Viele Schattierungen bedeuten für Journalisten neue Herausforderungen und Abschied von alten Denkschemata. Und neue Fragen. Die aber bleiben meist aus. Immer und immer wieder stellen viele von ihnen dieselben alten Fragen. Ein paar gerade aktuelle Beispiele: Mit wem werden Sie koalieren? Wo werden Sie sparen? Treten Sie zurück? Wann werden die Züge wieder fahren? Sind Sie für diese oder jene Steuer? Können Sie mit der oder dem? Albert Einstein wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun, dabei aber andere Ergebnisse zu erwarten.“

 “Wer andere, neue Antworten erwartet, muss seine Fragen überdenken und die Muster in den Köpfen überlisten.”

Die immer gleichen Journalisten-Fragen bedingen also die immer gleichen Antworten. Von Politikern bis zu CEOs, selten hören sie eine Frage zum ersten Mal, ihre Antwort ist daher Routine und erwartbar. Denn immer gleiche Fragen bewirken, dass im Kopf der Befragten eine Routine abläuft. Treten Sie zurück? Ah, Frage 24! Bitte Antwort 24 abspulen. Und zwar ohne viel nachzudenken oder zu variieren. Wer andere, neue Antworten erwartet, muss also seine Fragen überdenken und die Muster in den Köpfen überlisten.

Die mangelnde Kultur der Vorbereitung und Recherche

Das führt zum Thema Vorbereitung und Recherche. Beides ist unabdingbar. Ja, in einer komplexeren Welt bedeutet das mehr (Denk)Aufwand. Es bedeutet auch, nicht alles glauben zu dürfen, was man selbst denkt. Recherche hat vor einem Gespräch stattzufinden, Recherchefragen sind in der Vorbereitung zu stellen. Googeln macht die Sache einfacher, googeln ist aber nicht recherchieren, sondern liefert Grundlagen für die Recherche.

 Eine gute Recherche macht das persönliche Gespräch mit Informanten unerlässlich. Das bedingt Kontakte, der goldene Nährboden für Journalismus. Verlässliche Quellen sind das Um und Auf. Social Media Quellen als solche zu betrachten, kann in einem Minenfeld enden. Homeoffice kann eine feine Sache sein, ist aber kein Dauerzustand. Der Diskurs, die Auseinandersetzung, die Unterstützung, der Widerspruch, die Ermunterung in einer Redaktion mit und durch die Kollegen sind befruchtend und unersetzbar.

“Medien und deren Akteure sind heute vielfach zu Zensoren geworden, die unter dem Druck der Geschwindigkeit und von Social media alles und jedes unmittelbar bewerten und kommentieren (müssen).”

Gute Journalisten knüpfen Kontakte, suchen Gespräche und den Diskurs, freuen sich über Widerspruch, weiten ihren Horizont und festigen ihre Wissensbasis. Gute Journalisten wissen, dass sie nicht alles (besser) wissen.

Faktum ist, dass das heute keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Gabor Steingart, Chef des Online News Portals „The Pioneer“ geht mit seiner Zunft hart ins Gericht. „Viele Journalistinnen und Journalisten sind nicht fair, sondern aktivistisch“, er ortet „Anmaßung statt Demut“, „Erregung statt Aufklärung und Erkenntnisgewinn“, Probleme würden „zugespitzt statt gelöst“, das Nichtverstehen ökonomischer Zusammenhänge habe epidemische Ausmaße angenommen. Steingart plädiert für „praktizierte Meinungsfreiheit und eine Liebe zu den Fakten. Die muss größer sein als die Liebe zur eigenen politischen Grundüberzeugung. Und größer als die Liebe zum Applaus der eigenen Filterblase.“

Medien und deren Akteure sind heute vielfach zu Zensoren geworden, die unter dem Druck der Geschwindigkeit und von Social media alles und jedes unmittelbar bewerten und kommentieren (müssen). Gut oder schlecht, falsch oder richtig. Daumen rauf und Daumen runter. Darüber hinaus gibt es noch „Reisende“ in Sachen Diskussionsrunden, wo dieselbe Vorgangsweise fast tribunalartig stattfindet. Die Daumen kennen keine Schattierungen wie oben beschrieben. Sie verstärken den Schwarz-Weiss Effekt.

 Das hat Auswirkungen auf die Politik und deren Handeln. Für Grundsatzdiskussionen ist kein Raum mehr. Vorschläge der Politik münden in Mutlosigkeit und enden in Populismus. Wenn egal wird, was die Politik tut und wie sie es tut, ist der Weg des geringsten Widerstands eine fast logische Folge. Warum auch noch die andere Wange hinhalten? Der Medienexperte David Altheide schreibt 2002 (!) in seinem Buch „Creating Fear“: „Die Zuversicht kämpft auch deshalb auf verlorenem Posten, weil die Angst groß darin ist, jedes Einzelereignis zur Aufladung der Angstvorräte zu benutzen.“

Maß nehmen an Hugo Portisch

Wo wird das enden? Vielleicht sollten Journalisten an Hubert Patterer Maß nehmen: „Die sozialen Netzwerke sind kein guter Ort für unser Publizieren. Sie fördern zweifelhafte Eigenschaften, die Eitelkeit, das Zählen von Gefolgschaft, follower, ein verräterisches Wort, sie fördern das, wovon wir uns abgrenzen sollten: das ungefilterte, schwellenlose, reflexhafte Sprechen, die knallige Emotion, die Polemik, das Abwertende, die Punze, die wir anderen draufknallen, wenn jemand ungut wird, die Diskreditierung und Gnadenlosigkeit; vor allem fördern sie den Konformismus, die Selbstähnlichkeit, den Gleichklang. Wir sollten raus aus der schrillen Überzeichnung und rein in die Zwischentöne und Zwischenräume, dort, wo wir uns der Wahrheit am ehesten annähern können. Für den Schriftsteller Alois Brandstetters war Maßhalten die höchste geistige Disziplin. Wir verstoßen gegen sie in Permanenz.“

Die Grundlagen für guten Journalismus waren schon zur Zeit von Hugo Portisch leicht verständlich. Die richtigen Themen erkennen. Wissen, was die Menschen wirklich interessiert. Die Themen nicht färben oder populistisch aufbereiten, sachlich bleiben und dennoch Dinge in Bewegung bringen. Und: Journalisten dürfen keine politisch Handelnden sein. Grundsätze, die in Zeiten von KI ganz besondere Bedeutung erfahren.

Guter Journalismus ist doch eigentlich ganz einfach, oder?

 

1 Kommentar
Ali Adhami

nice!

10 December 2024



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