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Innenpolitik Österreich Fakten

„Schleichende Konzernisierung unseres Gesundheitssystems"

Sechs Volontär*innen von campus a beim Interview mit Thomas Holzgruber, der während seiner langjährigen Tätigkeit bereits 20 Gesundheitsminister gesehen hat. Kaum jemand weiß so viel über die komplexe und teilweise spröde Materie Gesundheitspolitik und kann sie so einfach darstellen. campus a fragte Thomas Holzgruber, den Generalsekretär der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, was jetzt auf Österreichs Krankenversicherte und Patient*innen zukommt.
Lara Hassler  •  3. Februar 2025 Redakteurin      48
Thomas Holzgruber, Generalsekretär der Wiener Kammer für Ärztinnen und Ärzte, im Interview zur Gesundheitspolitik der FPÖ

Die FPÖ will mehr Kassenärzte. Klingt nach einer guten Idee.

Eine gute Idee an sich, aber leider wird es schwierig werden, da einfach das Geld dafür fehlt. Wer es sich leisten kann, geht mit oder ohne Zusatzversicherung zum*r Wahlarzt*ärztin. Diese haben auch die Möglichkeit, sich mehr Zeit für ihre Patient*innen zu nehmen, etwas was viele wollen. Wir sprechen hier mittlerweile von etwa fünfzig Prozent der Bevölkerung. 

Was tun mit jenen, die es sich nicht leisten können? Eine Zwei-Klassen-Medizin akzeptieren?

Für diese fordert die Kammer für Ärztinnen und Ärzte schon länger mehr Kassenärzt*innen. Zusätzlich haben wir moderne Zukunftsprojekte wie Pop-up-Ordinationen entwickelt, wenn eine Stelle temporär nicht besetzt werden kann. Wird nicht mehr Geld in die Kassenmedizin investiert, dann entwickelt sich schleichend eine Zwei-Klassen-Medizin. 

Das reicht?

Nein, noch nicht. Es muss auch das medizinische Leistungsangebot ausgeweitet werden. Rheumatologie und andere Bereiche gibt es im niedergelassenen Bereich derzeit überhaupt nur privat oder werden eben nur im Spital mit Wartezeiten angeboten. Diese sollten auch unbedingt Teil der Kassenleistungen werden.

Dagmar Belakowitsch von der FPÖ wird als nächste Gesundheitsministerin gehandelt. Wäre sie eine gute Wahl?

Ich kann den laufenden Regierungsverhandlungen nicht vorgreifen und wie sich ein*e Politiker*in als Minister*in macht, ist nie vorhersehbar. Es gibt durchaus auch andere Personen, die die FPÖ vorschlagen könnte. Wichtig ist für uns als Kammer, dass die oder der zukünftige Minister die Gesundheit an erste Stelle setzt, die Ärzteschaft als Partner behandelt und unser solidarisches System endlich stärkt. 

Die FPÖ will Asylwerbern nur eine medizinische Elementarversorgung zur Verfügung stellen. Was halten Sie von dieser  Idee?

Die Freiheitlichen wissen wahrscheinlich selbst, dass das in der Praxis kaum umsetzbar sein wird. Im Gesetz ist zudem vorgesehen, dass Ärzte alle Menschen ohne Unterschied der Person zu betreuen haben. Das wollen Ärzt*innen auch. 

Was, wenn die FPÖ das Thema Abtreibung angeht?

Vermutlich werden auch in Zukunft weder FPÖ noch ÖVP das Thema angehen Beide wissen auch, dass sich damit keine Wahlen gewinnen lassen, weil es gesellschaftspolitisch heikel ist. 

Wie geht die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien mit der Wissenschaftsfeindlichkeit der FPÖ um?

Wir werden uns immer für die Wissenschaft und die Wissenschaftlichkeit aussprechen. Wenn die Freiheitlichen gegen das Impfen argumentieren, nehmen wir eine klare Gegenposition ein. Mit Impfungen lassen sich schwere Erkrankungen, Todesfälle und überfüllte Spitäler verhindern. Hier müssen wir Überzeugungsarbeit leisten, aber auch zur Kenntnis nehmen, wenn jemand sich nicht impfen lassen will. 

Für wie wahrscheinlich halten Sie den Austritt Österreichs aus der WHO (Weltgesundheitsorganisation, Anmerkung) unter einer blau-schwarzen Regierung?

Ein Austritt wäre natürlich möglich, ich halte ihn aber für nicht besonders wahrscheinlich. Immerhin ist Wien ein UNO-Standort und das würde dem Ansehen der UNO in Österreich schaden. (Anmerkung: Die WHO ist eine Sonderorganisation der UNO. Sie arbeitet zwar eigenständig, aber in enger Zusammenarbeit mit ihr.)

Die USA sind auch UNO-Standort, trotzdem hat Donald Trump am 20. Jänner 2025 per Exekutivverordnung den Austritt der USA eingeleitet.

In New York gibt es zwar ebenfalls ein UNO-Headquarter, aber es hat für die USA einen anderen Stellenwert als die UNO-City in Wien für Österreich. Deshalb glaube ich nicht, dass Blau-Schwarz das machen würde. Bis jetzt ist kein EU Staat ausgetreten, auch z.B. Ungarn ist weiter Mitglied. Dass die Ärztekammer gegen einen WHO-Austritt Österreichs wäre, muss ich nicht erst betonen. Medizin lebt von der Globalisierung und diese bringt für Patient*innen auf der ganzen Welt Vorteile. 

Was könnte sich mit einem blauen Gesundheitsministerium tatsächlich ändern?

Eine Impfpflicht wird bestimmt nicht kommen. Im Falle einer neuen Pandemie würde eine FPÖ-geführte Regierung wahrscheinlich weniger auf Zwangsmaßnahmen wie Quarantäne setzen. Ansonsten ist das aktuell schwer abschätzbar; aus den Verhandlungen hören wir, dass man Themen aus der Ära Kurz I wieder aufgreifen möchte, wie z.B. die Auflösung der AUVA und Aufteilung auf Pensions- und Krankenversicherung.

Was würde das bedeuten?

Wie vorher erwähnt, kann ich den Regierungsverhandlungen nicht vorgreifen. und es wäre unseriös, dazu jetzt Aussagen zu treffen. Unser Wunsch wäre, dass das Thema Gesundheit stärker in den Mittelpunkt rückt. Andererseits müssen wir auch feststellen, dass der Gestaltungsspielraum des Gesundheitsministers auch beschränkt ist und daher die Veränderungen nicht so schnell sichtbar sind.

Warum eigentlich nicht?

Das Gesundheitswesen ist weniger ideologisch besetzt als andere Politikbereiche. Zudem ist es komplex, weil z.B. auch der Föderalismus eine große Rolle spielt. Es eignet sich weniger gut für plakative ideologische Ansagen als andere Politikbereiche

Welchen Stellenwert hat dann das Ressort Gesundheit bei den Koalitionsverhandlungen?

Einen relativ hohen. Nummer eins ist aber Sicherheit und das  Asylwesen. Dann kommen  Finanzen und Nummer drei sind dann schon Gesundheit und Umwelt. 

Bei den Koalitionsgesprächen war die Ambulanzgebühr Thema, wie schon einst in der Ära Wolfgang Schüssel. Was halten Sie von einer Wiedereinführung?

Die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien hat sich in der Vergangenheit immer gegen Ambulanzgebühren ausgesprochen; wir haben auch in Wien gemeinsam mit der Stadt Wien Erstversorgungsambulanzen organisiert, die den Zustrom zu den Ambulanzen erfolgreich steuern.. Das gängigste Gegenargument ist die Hürde vor einem Arztbesuch, die hier entstehen könnte. Andere wiederum sehen in zehn Euro keine Hürde. 

Ihre Meinung?

Zehn Euro können viel oder gar nichts sein.

Was ist für Sie unverhandelbar?

Es kann keine Nulllohnrunde für Kassenärzt*innen geben. Das geht einfach nicht. Wir belügen uns selbst, wenn wir darüber reden, das Kassensystem zu attraktiveren, aber  nur die Wahlärzt*innen ihr Einkommen an die Inflation anpassen können. Dann wird kein Arzt mehr einen Kassenvertrag nehmen.

Haben Sie praktikable Sparvorschläge für den nächsten Gesundheitsminister oder die nächste Gesundheitsministerin?

Im Gesundheitswesen wird man nicht sparen können; es gibt viele Faktoren, wie z.B. eine steigende Lebenserwartung und den medizinischen Fortschritt, die dazu führen, dass die Kosten stetig steigen werden. Was man tun könnte, wäre Effizienzen im System zu heben, aber da müsste man die föderalen Elemente im Gesundheitssystem, vor allem bei den Spitälern verändern. Daran ist bis jetzt jeder Minister gescheitert. 

Wie gut ist unser Gesundheitssystem auf medizinische Ausnahmesituationen wie Massenunfälle vorbereitet?

Darauf wird man nie total vorbereitet sein. Es gibt immer Luft nach oben, weil es extreme Vorhaltekosten beinhalten würde. 

Entwickeln wir uns im Zuge der vielen Privatisierungen im Gesundheitswesen in die Richtung eines amerikanischen Systems?

Tatsächlich schreitet die Privatisierung auch im medizinischen Bereich rasch voran. Gleichzeitig greifen Unternehmen wie Google oder Amazon immer mehr in das Gesundheitswesen ein. Ja, ich würde sagen, dass wir uns tatsächlich schleichend in Richtung eines Systems der Konzernmedizin nach Vorbild der USA bewegen. Solche Prozesse dauern Jahrzehnte; deshalb sollten wir jetzt schon dringend gegensteuern und die Konzernisierungen bekämpfen, da es für Patient*innen und Ärzt*innen keine gute Entwicklung ist.

Könnten Sie sich vorstellen, Gesundheitsminister zu werden?

Die Frage stellt sich aktuell nicht; aber man kann so eine Funktion nur annehmen, wenn man auch die Chance zur politischen Gestaltung sieht.

Welche Reformen müsste die nächste Regierung angehen?

Hauptproblem ist der Umgang mit dem Föderalismus, die Ambulantisierung der Medizin  und Sicherstellung der solidarischen Finanzierung

Klingt tatsächlich nicht besonders plakativ.

Ja, diese Themen  betreffen aber tatsächlich viele Menschen. Zum Beispiel pendeln viele Burgenländer nach Wien, müssen hier aber länger auf Arzt- oder Operationstermine warten. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger wollte eine Föderalismus-Reform im Gesundheitswesen. Geht nicht, hieß es, oder: Interessant, aber nicht zu schaffen. Irgendwann werden wir es aber tun müssen. Kein Mensch versteht mehr, warum man sich nicht an einen Tisch setzt und  Spitäler in der Ostregion Wien, Niederösterreich und Burgenland nicht gemeinsam planen kann. 

Okay, und was genau hieße nun Föderalismus-Reform?

Österreichweit planen und regional umsetzen. Da ließe sich viel Geld bei gleichzeitigen Vorteilen für alle sparen. Die Österreichische Gesundheitskasse  müsste da logischerweise mitspielen und auch wieder mehr Regionalismus zulassen. 

Wer war für Sie der bisher einflussreichste Gesundheitsminister und warum?

Eine Gesundheitsministerin, deren Einfluss heute noch zu spüren ist, ist Maria Rauch-Kallat (ÖVP). Sie war es, die damit begonnen hat, Sozialversicherung und Länder an einen Tisch zu setzen. Redet mal miteinander und versucht gemeinsam Lösungen für medizinische Probleme oder Versorgungsprobleme zu finden, meinte sie; und alle Minister, die nach ihr kamen von SPÖ, FPÖ und GRÜNE haben diesen Weg fortgesetzt und geschärft Dafür haben wir heute den schönen Namen Landeszielsteuerung. 

Stefan Springer

Das Gespräch führten Robert Gafgo, Lara Hassler, Bernadette Krassay, Max Langer, Anna Patsch und Sophia Tiganas.

 

 

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