
Die Pollensaison ist da. Die Augen tränen, die Nasen laufen. In den Öffis ist eine Schnäuz-Symphonie rotäugiger Menschen zu hören. Es ist fast schlimmer als an kalten Wintertagen. Und im Büro benutzt ein Kollege ein Taschentuch schon zum fünften Mal.
Wie hygienisch und wie gesund ist das eigentlich? Vielleicht denkt er an die Umwelt. Vielleicht hatte er auch eine Oma, die sich immer in eine zerknüllte Serviette schnäuzte, die ein Eigenleben in ihrer Handtasche führte. Die Frage bleibt: Wie oft sollten wir bei Abwägung von Umweltschutz und Hygiene dasselbe Papieratschentuch benutzen?
Eines der beliebtesten Argumente, wenn es um das mehrmalige Benutzen desselben Taschentuchs geht, ist der Umweltschutz. Wir sind alle aufgerufen, dazu nach Kräften beizutragen. Plastikstrohhalme sind deswegen seit Jahren tabu. Papiertaschentücher sind da auch ein Thema.
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Das Greenpeace-Factsheet „Hygienepapier“ erklärt, Österreicher verbrauchen innerhalb eines Jahres rund 620 Taschentücher pro Person. Laut dem deutschen Umweltbundesamt belastet die Herstellung von Hygienepapier die Umwelt stark. Taschentücher oder Toilettenpapier benötigen viel Holz, Energie und Wasser. Zudem produziert die Papierindustrie gefährliche Stoffe, die in Gewässern landen können.
Herkömmliche Papiertaschentücher bestehen im Wesentlichen aus Zellulosefasern, also im Grunde aus Holz. Sie sind theoretisch biologisch abbaubar. Die Zersetzungsdauer hängt jedoch stark von den Umgebungsbedingungen ab. Der Zeitraum, bis sie komplett verschwunden sind, schwankt zwischen zwei Wochen und mehreren Jahren.
Die Lotionen oder Duftstoffe, die viele Taschentücher bei Erkälteten und Allergikern beliebt machen, können den Abbauprozess erheblich verlangsamen. Außerdem enthalten Papiertaschentücher Stärke oder Leim zur Fasernbindung, optische Aufheller, Weichmacher und kleine Mengen synthetischer Polymere für eine bessere Reißfestigkeit. Synthetische Polymere sind, kurz gesagt, chemische Verbindungen, die zu Mikroplastik zerfallen können und sich dann in Böden, Gewässern und Organismen anreichern.
Das größere Problem sind die Plastikhüllen. Sie umgeben die Riesenpackungen, in denen sich dann die noch einmal in Plastik verpackten Taschentücher befinden. Die Plastikfolie kann sich jahrzehntelang der Zersetzung in ihre chemischen Bestandteile widersetzen. So belastet sie Deponien und verschmutzt Landschaften, auch noch lange, nachdem die Papierprodukte selbst biologisch abgebaut sind.
Wer denkt, die benutzten Taschentücher gehören am besten in die Toilette, liegt falsch. Weil sie sich nicht so schnell zersetzen wie Toilettenpapier, kann es zu Verstopfungen in den Abwassersystemen kommen.
Die Umwelt würde sich also freuen, wenn alle dasselbe Taschentuch so oft wie möglich benutzen. Doch wie sieht es gesundheitlich aus? Der praktische Arzt und ehemalige ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger hält in diesem Punkt nur wenig vom Umweltschutz. „Ein herkömmliches Papiertaschentuch soll auf jeden Fall nur ein bis zwei Mal benutzt werden“, erklärt er. „Alles andere ist für die Hygiene suboptimal.“ Was genau bedeutet das?
Nach dem ersten Schnäuzen befinden sich bei Erkältungen oder Grippen im Nasensekret Viren wie Influenza- oder Coronaviren, Bakterien wie Streptococcus pneumoniae oder Pilze. Im feuchten Milieu eines benutzten Taschentuchs können sie sich perfekt vermehren.
Zwar können wir uns mit unserem eigenen Sekret nicht erneut anstecken, aber besonders während einer beginnenden Grippe oder Erkältung können benutzte Taschentücher den Krankheitsverlauf verstärken, was zu heftigeren Symptomen führen kann. Wenn wir das Taschentuch berühren, gelangen Keime auch auf unsere Hände und von dort beispielsweise auf Türklinken, wodurch wir andere auch infizieren können.
Selbst wenn das benutzte Papiertaschentuch getrocknet ist, bedeutet das nicht, dass die Viren, Pilze und Bakterien abgestorben sind.
Bei Allergikern fallen diese Risken weg. Ihr Nasensekret enthält vor allem Wasser, Schleimstoffe wie Mucin, abgestoßene Zellen, Entzündungsbotenstoffe wie Histamin und Immunzellen, aber keine Krankheitserreger. Statt unhygienisch mit den entsprechenden gesundheitlichen Nachteilen ist die Mehrfachnutzung bei ihnen also nur unappetitlich, wenn schon nicht für sie selbst, dann zumindest für andere, die ihnen beim Schnäuzen zusehen.
Fazit: Bei Erkältungen und Grippe ist der Umweltschutz abgemeldet, bei Allergen ist er Geschmackssache.
In beiden Fällen gilt es, einen gesundheitlichen Ratschlag zu beachten. Experten etwa des pharmazeutischen Unternehmens Bionorica erklären: Übertrieben starkes Schnäuzen kann Luft in die Grenzschicht zwischen Nasenhaupthöhle und Augenhöhle pressen. In manchen Fällen kann es dann sogar zu schmerzhaften Mittelohrentzündungen kommen.
Sanfteres Schnäuzen verursacht auch eine weniger wunde und irritierte Nase. Aber was, wenn es schon zu spät ist? „Die meisten Ärzte empfehlen in diesem Fall eine Pflegesalbe wie Bepanthen“, so Rasinger.
Es mag veraltet klingen, aber Experten schlagen waschbare Stofftaschentücher, -handtücher und -servietten vor. Am besten geeignet sind die aus 100 Prozent Baumwolle, die im Internet einfach zu finden sind. Unsere Großmütter haben die Stofftaschentücher übrigens nicht nur deshalb gebügelt, weil sie dann angenehmer und eleganter in der Anwendung waren. Sie haben sie dabei auch gleich sterilisiert.
Eine Alternative für diejenigen, die nicht so gerne Wäsche waschen, sind Papiertaschentücher aus 100 Prozent Recyclingpapier. Sie sind zwar weniger reißfest und nicht so schön weiß, belasten die Umwelt aber genau deshalb weniger.
Entweder nervt es die anderen, zu hören, wie jemand sich schnäuzt, oder es kommt die Bitte, sich doch zu schnäuzen, weil das Aufziehen nervt. Rasinger hat als Mediziner eine klare Meinung dazu: „Schnäuzen ist wichtig. Eine laufende Nase ist viel unhygienischer.“ Es gilt also: Auch wenn sich eure Mitmenschen beschweren, putzt euch die Nase mit Vorsorge für eure Gesundheit. Aber denkt dabei auch an die Umwelt.
Der Ausbildungsplatz dieser Autorin in der campus a Akademie für Journalismus ist ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch die ÖBB.
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