
Yogis, die im Dschungel Balis meditieren. Der Duft von Räucherstäbchen liegt in der Luft, während sie barfuß Sonnengrüße praktizieren. Tibetische Klangschalen senden Vibrationen durch die Stille. So oder ähnlich lässt sich ein Yoga Retreat beschreiben. Einst als exotisches Nischenphänomen bekannt, hat sich die Sehnsucht nach spiritueller Auszeit aber längst bis nach Österreich ausgeweitet.
Mehr denn je suchen Menschen nach einem Zufluchtsort fernab der Hektik und Unsicherheit der modernen Welt. Wirtschaftliche Instabilität, der Krieg in der Ukraine und die tiefgreifenden Nachwirkungen der Corona-Pandemie haben das Bedürfnis nach Entschleunigung verstärkt. Beobachten lässt sich dieser Trend auch im Salzburger Gasteinertal. Der Yoga Frühling feierte 2024 sein zehnjähriges Jubiläum und die Veranstalter erwarten heuer wieder ein Besucherplus. Doch was erklärt den Boom der Yoga-Retreats und welche Rolle spielen dabei gesellschaftliche Krisen?
Die multiplen Krisen der vergangenen Jahre haben das individuelle und kollektive Wohlbefinden tiefgreifend beeinflusst. Das Gefühl, morgens mit der Erwartung aufzuwachen, die nächste schlechte Nachricht auf dem Smartphone zu lesen, kennen vor allem junge Menschen gut. Studien zeigen, wie „Doomscrolling“, also das stundenlange Lesen negativer Neuigkeiten auf dem Handy, zu Existenzängsten und Verzweiflung führen kann. Die Forschung belegt zudem, wie Nachrichten über Kriege oder Naturkatastrophen, Stressreaktionen und sogar sogenannte „stellvertretende“ Traumata, also seelische Belastungen ohne eigene Betroffenheit, auslösen können.
Die Welt scheint unaufhaltsam von einer Krise in die nächste zu taumeln, und mit der äußeren Unsicherheit wächst die Sehnsucht vieler Menschen nach innerer Stabilität. Yoga bietet da einen Ausweg. Die jahrtausendalte Übung mit Kombinationen aus Bewegung, Meditation und Atemübungen helfen Stress abzubauen und die innere Balance wiederzufinden. Die Wurzeln von Yoga sind in Indien zu verorten.
Eine Studie in Deutschland ergab, dass im Jahr 2023 von 23.524 Befragten 4,7 Prozent regelmäßig Yoga praktizieren und 9,5 Prozent gelegentlich. Hochgerechnet auf den österreichischen Markt entspräche das etwa 5 Prozent der 9 Millionen Einwohner, also rund 450.000 Menschen, die mindestens einmal pro Woche Yoga ausüben.
Laut Kurier lag die Zahl der Yoga-Praktizierenden in Österreich im Jahr 2009 bei 300.000. Das entspricht einem Anstieg von 50 Prozent innerhalb von 14 Jahren, also einem jährlichen Wachstum von 3,5 Prozentpunkten.
Michelle Skopal vom Ayurveda Resort Mandira in der Steiermark beobachtet diese Entwicklung genau: „Es werden auf jeden Fall viel mehr Yoga-Einheiten gebucht. Die Menschen wollen innere Ruhe finden und im Hier und Jetzt leben. Auch Jahre nach der Pandemie fällt es vielen immer noch schwer, in die Realität und ins Leben zurückzufinden. Wir sehen zudem einen Zuwachs bei der Altersgruppe ab dreißig, die unser Angebot nutzt.“ Laut dem Branchenbericht der Buchungssoftware Eversports, die viele Yogastudios im deutschsprachigen Raum nutzen, gab es im Januar 2023 nach der Pandemie mehr Yoga-Buchungen als im Januar der Jahre zuvor.
Gleichzeitig schaffen Yoga-Retreats, die weltweit im Aufschwung sind, einen bewussten Abstand zur digitalen Dauerverfügbarkeit, die ein zusätzlicher Stressfaktor sein kann. Kein ständiges Summen von Benachrichtigungen, keine E-Mails, die Aufmerksamkeit fordern. Stattdessen Stille, Natur und der Klang des eigenen Atems.
Werner Biller vom Soami Resort in Kärnten bestätigt den Trend: „Die Menschen sind verunsichert von der Weltsituation und befinden sich in einer Art Warteposition. Besonders durch die Entwicklungen in der Ukraine und in Amerika sind viele ängstlich und suchen nach innerer Ruhe. Ich glaube aber, dass die Besucherzahlen ab nächstem Jahr noch weiter steigen werden, denn aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Lage überlegen sich die Menschen dieses Jahr noch gut, ob sie sich ein Retreat wirklich leisten können.“
Die Preise für Yoga-Retreats in Österreich variieren zwischen etwa 200 Euro für Wochenendtrips und bis zu 1.400 Euro für mehrtägige Aufenthalte. Eine der kostspieligeren Optionen ist das Pure Balance Yoga-Retreat im Salzburger Naturhotel Forsthofgut, das ab 1.710 Euro für eine Person und vier Nächte angeboten wird.
Im Vergleich dazu erscheinen diese Preise jedoch moderat, wenn man internationale Luxus-Retreats betrachtet. So verlangt das Eden Resort in Ubud, Bali, für ein sechstägiges personalisiertes Retreatprogramm mit Yoga, Eisbaden, Ayurveda-Heilung und balinesischen Massagen 4.774 Euro pro Person. Früher galten Yoga-Retreats als Angebot exotischer Reiseziele wie Bali, Thailand oder Indien. Heute haben sie die Salzburger Berge erobert. Sofie Drexler vom Yoga Frühling im Gasteinertal bestätigt: „Die Besucherzahlen steigen seit Jahren, und die Nachfrage ist hoch.“
Das Gasteinertal im Salzburger Land hat sich zu einem Hotspot für Yoga- und Wellness-Tourismus entwickelt. Jedes Jahr strömen Yogis und Erholungssuchende zum Yoga Frühling, um den Alltag hinter sich zu lassen. Auch im Herbst findet das Event statt. Die bieten „Yoga Jodelwalks“ oder „Aqua Yoga“ an. Dazu kommen Workshops, Meditationseinheiten und ein umfassendes Wellness-Angebot. Viele Teilnehmer kämpfen mit Überforderung, Angst oder dem Gefühl von Kontrollverlust. Retreats wollen dabei helfen, neue Perspektiven zu gewinnen, positiver zu denken und widerstandsfähiger zu werden.
Auch das Miteinander unter Gleichgesinnten spielt eine Rolle. Sofie Drexler betont: „Nach der Corona-Krise ist das Bedürfnis nach Gemeinschaft gestiegen.“
Die weltweite Yoga-Industrie wird auf über 338 Milliarden US-Dollar geschätzt (2023), mit einem jährlichen Wachstum von etwa 9,4 Prozent. Das umfasst aber nicht nur Studioumsätze, sondern auch Yoga-Urlaube, Matten, Kleidung und mehr.
Yoga ist eine Branche, die durch die Decke geht und auch der Retreat-Tourismus in Österreich wird voraussichtlich weiter wachsen. Besonders in Zeiten vielleicht noch bevorstehender Krisen.
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