
Eine ältere Dame sitzt am Küchentisch und schlägt eine Zeitschrift auf. Genauso macht sie das seit vielen Jahrzehnten. Vertieft in den Text liest sie den ersten Artikel. Als sie fertiggelesen hat, stellt die Dame die Zeitung ins Regal zu den vielen Ausgaben aus vergangenen Monaten und Jahren. Sie ist Abonnentin der Fachzeitschrift Unsere Kinder, die vergangenes Jahr ihren hundertsten Geburtstag feierte. Wenn von Medien die Rede ist, denken viele Menschen an Fernsehen, das Internet, Radio oder klassische Zeitungen. Welche weiteren Formen von Medien existieren, ist vielen nicht bewusst. Fachzeitschriften sind ein Beispiel dafür. Spielen sie noch eine Rolle in der Medienlandschaft?
Unsere Kinder ist eine Fachzeitschrift für Elementarpädagogik. Die einzige in dieser Form in Österreich. Sie erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verlag verkauft pro Ausgabe 5.000 Exemplare mit je 32 Seiten. 5.000 gedruckte Exemplare und 15.000 Leserinnen und Leser nennt die Chefredaktion als Reichweite. Diese Anzahl entspricht mehr als einem Drittel der Elementarpädagogik-Szene in Österreich. Herausgeber ist die Caritas Oberösterreich. Das Redaktionsteam besteht aus Redaktionsleiter Martin Kranzl-Greinecker und einer Teilzeitredakteurin. Eine Fachredakteurin verdient ungeprüft 2.800 Euro netto als Einstiegsgehalt bei Vollzeit.
Martin Kranzl-Greinecker ist seit 23 Jahren Teil der Redaktion von Unsere Kinder. Begonnen hat sein Interesse für Zeitung und Nachrichten, als er ein Kind war. Er schrieb seine ersten Artikel in der Schülerzeitung und machte Praktika bei Lokalzeitungen. Nachdem er sein Studium der Theologie und Journalistik in Deutschland abgeschlossen hatte, arbeitete er zwölf Jahre lang als Redakteur der Kirchenzeitung der Diözese Linz. Danach folgten eineinhalb Jahre der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit bei der MIVA. Die MIVA Austria ist eine katholische Hilfsorganisation in Stadl-Paura, die Fahrzeuge für Missionen und Entwicklungsprojekte weltweit finanziert. Seit 2002 arbeitet Kranzl-Greinecker bei der Fachzeitschrift Unsere Kinder. Bis heute ist er der einzige Mann in einem reinen Frauen-Team.
Der treffende Werbespruch „Unsere Kinder brauchen engagierte Pädagoginnen – Engagierte Pädagoginnen brauchen Unsere Kinder“ zeigt, wie wichtig die Leserschaft für diese Fachzeitschrift ist. Engagiertes Personal in der Elementarpädagogik würde diese Fachzeitschrift lesen und durch die Artikel direkt vor einem Publikum sprechen. Zwischen 70-90 Prozent der Artikel stammen von externen Fachleuten. Redaktionsleiter Martin Kranzl-Greinecker sieht seine Aufgabe nicht einzig darin Artikel zu verfassen. Er will die pädagogischen Erfahrungen von Menschen teilen und ihnen den Platz dazu bereitstellen. Außerdem dient die Fachzeitschrift zur Vernetzung und Verknüpfung von Fachleuten untereinander. Die Redaktion wählt die Themen einmal im Jahr in einem Redaktionsplenum aus. Dieses Plenum ist öffentlich und Leserinnen und Leser, Personal aus der Elementarpädagogik und Fachleute können teilnehmen. Meist sind es zwanzig Pädagogik-Insider, die miteinander über die nächsten Themen diskutieren. Am Ende einigen sie sich auf sechs Hauptthemen, die die Fachzeitschrift im kommenden Jahr aufgreifen wird. In diesem Zusammenhang gibt die Redaktion von Unsere Kinder Artikel in Auftrag. Die Zielgruppe kann sich also sowohl bei der Themenauswahl als auch beim Verfassen der Artikel aktiv beteiligen.
Der Markt hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Auflage von Unsere Kinder hat sich in dieser Zeit halbiert und sank von knapp 10 000 auf 5000 Exemplare. Viele Fachzeitschriften sind verschwunden oder sind auf Internet-Versionen umgestiegen. Bei Unsere Kinder sei dies etwas anders, erklärt Martin Kranzl-Greinecker. Es gebe einzig Print-Abonnements zu kaufen. Durch den Kauf der Print Version erhalten die Lesenden Zugang zu einer Online-Version. Laut dem Redaktionsleiter wird es ein reines E-Paper in der näheren Zukunft nicht geben, da ansonsten die Auflagen weiter zurückgehen würden. Kranzl-Greinecker nennt hier das Beispiel einer Schulklasse, die in weiterer Folge ein Exemplar für die ganze Schule kaufen würde, da die Lehrpersonen eine Online PDF-Datei ohne große Schwierigkeit weitergeben könnten. Außerdem stellt das Redaktionsteam in regelmäßigen Leserschaftsbefragungen fest, viele Menschen wollen die Zeitschrift haptisch in der Hand halten können. Aus diesen Befragungen geht hervor, dass die Leserinnen und Leser die Zeitungen behalten und aufbewahren würde, bis das Thema darin wieder aktuell ist. Die Fachzeitschrift Unsere Kinder ist ein Langzeitprojekt.
Nicht nur der Markt von Fachzeitschriften hat sich stark verändert, sondern auch das Leseverhalten ist anders geworden. Laut Kranzl-Greinecker würden sich sowohl die Ansprüche als auch die Auftritte verändern. Die Nachfrage nach Print-Medien sinkt. Die Artikellänge müsse online viel kürzer sein, da die Aufmerksamkeit der Lesenden hier kürzer sei. In Papierform hingegen seien die Menschen konzentrierter und würden sich die Inhalte besser merken. Die Sozialen Medien sind für den Redaktionsleiter ein wichtiges Instrument Interesse zu wecken und Aufmerksamkeit zu erregen. Werbung auf Instagram und anderen Plattformen ist seiner Ansicht nach wichtig, um selbst einen kleinen Nischen-Bereich der Öffentlichkeit zu zeigen. Inhaltsbezogenes auf Sozialen Medien zu veröffentlichen hat seiner Meinung nach nicht viel Sinn.
Die Fachzeitschrift Unsere Kinder finanziert sich vollständig selbst. Sie lebt durch den Verkauf von Abonnements, Werbeeinnahmen und einer kleinen Presseförderung. Unsere Kinder ist ein reiner Wirtschaftsbetrieb und nicht durch Spendengelder finanziert. Für die Inserate gibt es typische Werbekunden. Die häufigsten Inserenten kommen aus den Bereichen Personalrecruiting und Fortbildungsinstitute wie Lehrgänge oder Tagungen. Neue Werbekunden zu finden ist schwierig. Die Fachzeitschrift hat eine freiwillige Selbstbeschränkung der Werbung von maximal drei Seiten pro Ausgabe. Ein ganzseitiges Inserat kostet rund 1.800 Euro.
Für Kranzl-Greinecker haben sich im Journalismus vor allem zwei Dinge verändert. Einerseits sei alles komplexer geworden. Die Welt sei durch die Globalisierung zusammengerückt. Alles ist verbunden und verwoben, was den Journalismus anfällig für Missbräuche wie Manipulation oder Verschwörungstheorien mache. Andererseits habe sich das Tempo verändert. Alles ist schneller. Nachrichten sind immer und überall sofort erhältlich. Schlechte Zeiten also für nicht tagesaktuelle Medien.
Für Kranzl-Greinecker ist Journalismus eine Dienstleistung. Jemand, der im Journalismus arbeitet unterstützt andere beim Auswählen von Themen und Sachverhalten, die medial und gesellschaftlich wichtig sind. Dafür müssen die Journalisten wach, offen, gebildet und interessiert sein. Laut dem Chefredakteur brauche man ein kritisches Bewusstsein und ständige Weiterbildung. Nur dann könne man den anderen beim Erfassen der Welt helfen. Journalisten sollten folglich neugierig und offen bleiben und immer wieder dazulernen, denn niemand wisse je alles.
Die Sonne verschwindet langsam hinter dem nahegelegenen Hochhaus in Linz. Der Redaktionsleiter tippt noch ein paar letzte Wort auf seinem Rechner. Langsam schließt er den PC. Die neue Ausgabe von Unsere Kinder ist soeben fertiggeworden und bereit für den Druck. Zufrieden geht der Redaktionsleiter zu seinem Auto und fährt nach Hause. Das Fachblatt Unsere Kinder wird auch diesmal wieder sein kleines aber engagiertes Publikum finden.
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