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Wahl in Rumänien: „Die Diaspora ist am Überkochen“

Bei der wegen TikTok-Manipulation annulierten rumänischen Präsidentschaftswahl bekam der rechtsextreme Kandidat Călin Georgescu fast die Hälfte seiner Stimmen von Rumänen, die in Ländern wie Österreich oder Deutschland leben. Wie ist das möglich?
Sophia Tiganas  •  9. April 2025 Redakteurin    Sterne  404
Călin Georgescu holte bei der rumänischen Präsidentschaftswahl 2024 43% der Auslandsstimmen mit Rechtsextremismus und EU-Hass. Ein Blick in die brodelnde Facebook-Gruppe „Rumänen in Wien“, wo Wut und Heimweh die Wahl entschieden. (Foto: picturedesk)
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Ende November 2024 brodelt es in der Facebook-Gruppe „Rumänen in Wien“. Jeder zweite Post schwärmt von Călin Georgescu, dem rechtsextremen Kandidaten bei der rumänischen Präsidentschaftswahl. Seine Interviews, Zitate und Reden machen die Runde. Andere Mitglieder der Gruppe sind wütend. Ihre kritischen Beiträge über Georgescu würden systematisch blockiert, behaupten sie.

Trotz seiner polarisierender Agenda holte der unabhängige Georgescu bei der Wahl überraschende 23 Prozent. 43 Prozent dieser Stimmen stammten aus dem Ausland. Dabei beruht seine Politik, mit der er so viele Auslands-Rumänen abholte, auf Souveränismus und Holocaust-Leugnung.

Wie er damit so viele Rumänen abholen konnte, die in wohlhabenden Ländern von den Vorteilen der Demokratie profitieren, bleibt für viele ein Paradox. Wie entschied sich ein so großer Teil der Diaspora einen Kandidaten zu wählen, der für einen EU-Austritt Rumäniens plädiert und den Isolationismus predigt?

Rumäniens politisches Drama

Weder der amtierende rumänische Ministerpräsident noch der Spitzenkandidat der rechtsextremen AUR-Partei, mit dessen Erfolg viele gerechnet hatten, schafften es in die Stichwahl. Statt ihnen gelang das dem bis dahin kaum bekannten Georgescu und Elena Lasconi, der Parteivorsitzenden der rechtsliberalen USR.

Georgescus Triumph währte allerdings nur kurz. Noch vor der Stichwahl annullierte der rumänische Verfassungsgerichtshof die Wahl. Grund waren Enthüllungen über russische Cyberangriffe, die Georgescus Kampagne begünstigt hatten. Die Wahl soll nun im Mai 2025 stattfinden, diesmal allerdings ohne Georgescu, dem der Verfassungsgerichtshof die Kandidatur untersagte. Die Frage bleibt: Was dachten sich die Auslandsrumänen bei seiner Wahl, und wen wählen sie nun? 

EU-Bürger gegen die EU?

Was auf den ersten Blick paradox wirkt, überrascht Sebastian Schäffer, Experte für Europäische Nachbarschaftspolitik und Integration, kaum. „Der Umgang anderer EU-Länder mit Rumänien spielt hier eine Rolle“, sagt er. „Sie geben den Rumänen in ihrer Mitte das Gefühl, EU-Bürger zweiter Klasse zu sein.“ Als Beispiel dafür nennt er Österreichs Veto gegen die Aufnahme Rumäniens in die Schengen-Zone.

Noch ein weiteres, bei Auslandsrumänen verbreitetes Gefühl, bediente Georgescu geschickt: Das Heimweh. Nationalstaat, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, das sind Werte, die bei Migranten auf fruchtbaren Boden fallen. Schließlich neigen sie dazu, ihre Heimat zu idealisieren. 

„Wir können das auch gut in anderen Diasporen nachvollziehen“, sagt Schäffer. „So etwa lässt sich auch in der serbischen oder türkischen Community in Österreich eine Tendenz zu rechtskonservativen und rechtsextremen Parteien im eigenen Land erkennen.“

Logischen Sinn ergebe das gerade im Fall von Rumänien keinen, meint er. “Ein kleines Land im Herzen Europas könnte niemals außerhalb des Binnenmarktes überleben. Trotzdem lassen sich Viele von solchen Vorstellungen überzeugen, weil sie nach einfachen Lösungen suchen und etablierte System ablehnen. Bei Rumänien ist das besonders ausgeprägt.“ 

Unterwegs im Hotspot der Georgescu-Unterstützer

Viele Wähler Georgescus halten sich in Facebook-Gruppen wie „Rumänen in Wien“ auf. Kritische Fragen zum ehemaligen Kandidaten Georgescu verärgern dort nach wie vor. Ein Nutzer schreibt: „Wen sollen wir sonst wählen? Diejenigen, die Rumänien seit über 35 Jahren zerstört haben 😂😂😂😂 abgesehen von George Simion (ein anderer rechtspopulistischer rumänischer Politiker, Anmerkung) ist der Rest das Fußvolk des Systems!!!“

Bei anderen Mitgliedern der Gruppe stößt er damit auf Zustimmung. Folgender Kommentar ist besonders beliebt: „Habt nur Geduld, die Diaspora ist schon am Überkochen. Ihr werdet bekommen, was ihr verdient habt. (…) Rache wird stattfinden, niemand kann sie stoppen, die Rumänen sind aufgewacht“. Mehr als dreißig Nutzer reagieren mit Daumen Hoch oder glücklichen Smileys auf den Beitrag.

Showdown im Mai

Die Wiederholung der Wahl im Mai wird weniger über Programme entscheiden als über die Grundfrage: Gibt es überhaupt noch eine politische Kraft, die dieses zutiefst verunsicherten und von der politischen Klasse entfremdeten Wählergruppen erreicht?


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