
Kavita, eine Dalit-Frau (aus der untersten Kaste Indiens), die selbst lange keinen Zugang zu Bildung hatte, gründet 2002 gemeinsam mit anderen Frauen aus marginalisierten Gemeinschaften die Zeitung Khabar Lahariya („Wellen der Nachrichten“). Heute ist daraus ein einzigartiges hyper-journalistisches Netzwerk geworden: feministischer, ländlicher, unabhängiger und mutiger als viele große Medienhäuser des Landes.
Khabar Lahariya ist kein klassisches Medienunternehmen. Es ist ein soziales Projekt, eine feministische Bewegung und ein Korrektiv zu einem oft urbanen, männlich dominierten Mediensystem. Ursprünglich handgeschrieben, wurde die Zeitung in regionalen Sprachen wie Bundeli und Awadhi veröffentlicht. Heute produziert das Team digitale Inhalte auf YouTube, Instagram und anderen Plattformen und erreicht damit zehn Millionen Menschen jeden Monat. Kavita Devi, die Co-CEO der Bewegung, beschreibt sie wie folgt: „Khabar Lahariya ist eine feministische Medienplattform, die den Menschen eine Stimme gibt, die am meisten Bedeutung haben.“
In den Berichten geht es um Themen, die viele nationale Redaktionen nicht mal anreißen: Gewalt gegen Frauen, illegale Landnahmen, Wassermangel, korrupte Polizisten, patriarchale Machtstrukturen. Ihre Reporterinnen dokumentieren nicht nur die Realität vor Ort, sondern sie verändern sie. Priya Thuvassery, ebenfalls Co-CEO, erklärt: „Unser Journalismus handelt davon, nahe am Boden zu bleiben. Wir hören zu, was die Menschen zu sagen haben.“
Kavita Devi, auch bekannt als Kavita Bundelkhandi, ist heute Co-CEO des Projekts. Sie ist die erste Dalit-Frau in der Geschichte Indiens, die Mitglied der renommierten Editors Guild wurde. Doch ihr Weg dahin war steinig: verheiratet mit 12, spät alphabetisiert, jahrelang belächelt und bedroht. Heute moderiert sie The Kavita Show, eine wöchentliche Nachrichtensendung, in der sie mit Witz, Klarheit und Wut über die Dinge spricht, die andere lieber ignorieren: „Wenn Dorffrauen sich dafür entscheiden, Reporterinnen zu werden, ist es wie eine Rebellion.“
Sie und ihr Team arbeiten in Regionen, in denen Journalistinnen beschimpft, bedrängt und teilweise sogar angegriffen werden. Trotzdem machen sie weiter. Weil sie wissen, dass ihre Arbeit zählt. Weil sie wissen, dass Sichtbarkeit Macht bedeutet.
Die Wirkung von Khabar Lahariya ist spürbar. In Dörfern, wo sie Missstände aufdecken, reagieren Behörden plötzlich. Wo sie über Gewalt berichten, bekommen Opfer Gehör. „Die Bauern, die einst hoffnungslos waren, haben jetzt ein Lächeln im Gesicht“, beschreibt Devi mit Stolz. Wo sie Interviews führen, entsteht das Gefühl: Auch wir haben etwas zu sagen.
Die Plattform hat Hunderten Frauen eine journalistische Ausbildung ermöglicht. Sie hat junge Dalit-Frauen zu Reporterinnen gemacht, die sich nicht mehr verstecken. Die ihre Smartphones wie Mikrofone in die Welt halten und Fragen stellen, die sonst niemand stellt. „Wir lehren nicht von Anfang an Journalismus“, erklärt Thuvassery. Zuerst werden Themen wie Gender, Klasse, Kaste und die sozialen Medien erklärt, damit die Perspektive jener ländlichen Frauen weiterhin Bestand behält. „Es ist eine schwierige Gratwanderung, aber wir bleiben authentisch gegenüber dem, was wir jeden Tag sehen.“
Was bedeutet dieses Projekt für ein Land wie Indien, das zwischen technologischer Supermacht und tiefer sozialer Ungleichheit schwingt? Vielleicht mehr als jede TikTok-Kampagne oder politische Debatte: Khabar Lahariya zeigt, dass Veränderung nicht von oben kommen muss. Dass Demokratie auch auf dem Lehmboden eines abgelegenen Dorfes wachsen kann. Dass Journalismus seine Seele zurückgewinnt, wenn er den Menschen wirklich dient. Wichtig für Thuvassery und das gesamte Team sei die Vorstellungskraft, was jene Orte sein könnten.
Khabar Lahariya ist kein abgeschlossenes Projekt. Es bleibt eine Bewegung. Das Fundament bildet die Erkenntnis, dass eine Kamera in der Hand einer jungen Frau in einem abgelegenen Dorf mehr Veränderung auslösen kann als so mancher Kommentar im Hauptstadtstudio. „Wir wollen es sein, die definieren, welche Geschichten es wert sind, erzählt zu werden“, so Thuvassery.
Und vielleicht ist es auch ein Spiegel für die westliche Medienlandschaft: Was bedeutet Pressefreiheit wirklich? Wie viele Stimmen hören wir nicht? Und wer darf eigentlich bestimmen, was als „Nachricht“ gilt?
Für Kavita Devi, Priya Thuvassery, ihr Team und die Millionen Zuseher steht fest: „Wir sind die Stimme des ländlichen Indiens geworden.“
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