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Debattierclubs als Gegenmodell zur digitalen Polarisierung

Streitkultur statt Shitstorm. Ende vergangenen Jahres gründeten einige Studierende der Universität Salzburg den Debattierclub „Wortgewandt“. In Zeiten digitaler Filterblasen und einseitiger Online-Kommunikation setzen sie damit ein bewusstes Zeichen für direkten Austausch, argumentative Tiefe und gegenseitigen Respekt. Was macht eine Debatte aus und wie gelingt es, im Gespräch echte Vielfalt zuzulassen?
Nina Schilcher  •  15. April 2025 Volontärin    Sterne  46
Argumentieren für die Meinung der Gegenseite: Debattierclubs als Schule für Toleranz. (Foto: Shutterstock)
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Es ist Freitagnachmittag. Im Seminarraum des Debattierclubs „Wortgewandt“ wird energisch argumentiert. Es geht um die Frage, ob Österreich eine Vier-Tage-Woche einführen sollte. Lili, eine der Teilnehmenden, ist dafür.

Die Teilnehmenden lassen einander ausreden, verzichten auf persönliche Angriffe und bringen ihre Positionen pointiert auf den Punkt. Statt in digitalen Kommentarspalten aneinander vorbeizureden, treffen sie sich von Angesicht zu Angesicht. So setzen sie ein Zeichen gegen die oft einseitigen Online-Diskussionen und schaffen Raum für echten Austausch.

„Jeder, der Begeisterung fürs Thema mitbringt, kann bei uns mitmachen“, sagt Lili. „Ich habe durch den Club einen viel besseren Zugang zum Debattieren gefunden. Wir betrachten uns nicht als Gegner und verstehen uns auch nach der Diskussion noch gut.“

Das kultivierte Streitgespräch

Im antiken Griechenland legten Redner und Philosophen mit ihren Ideen die Grundlagen der heutigen Debatte als eines der zentralen Merkmale demokratischer Kultur. „Eine Debatte ist vor allem eine bestimmte Art der kommunikativen Auseinandersetzung“, erklärt Bernd Rex, Rhetorik-Trainer und Gründungsmitglied des ältesten Debattierclubs Deutschlands „Streitkultur“.

Das Wechselspiel aus Rede und Gegenrede bildet das Herzstück jeder Debatte. Pro- und Kontraseite bereiten ihre Argumente vor und versuchen, das Publikum von ihrer Position zu überzeugen. Die Moderation legt für alle Teilnehmenden eine bestimmte Redezeit fest, in der sie ihre Sichtweise darlegen können. Die Gegenseite greift die Argumente der Vorredner auf. „Die Zuhörenden haben am Ende einer guten Debatte einen Überblick über das Thema, mit allen Vor- und Nachteilen“, ergänzt Rex.

Spaß und Debatte, lässt sich das kombinieren?

Debattierclubs organisieren die sportliche Debatte in einem klar strukturierten Rahmen. Im Gegensatz zur parlamentarischen Debatte stehen hier keine abschließenden Entscheidungen im Fokus. „Es ist nicht wichtig, ein Experte im Reden halten zu sein. Wer Freude an der Sache mitbringt, erfüllt alle Voraussetzungen“, kommentiert Lili.

Die Debattierenden trainieren, sich in andere Sichtweisen hineinzuversetzen. Sie übernehmen bewusst Positionen, die ihrer eigenen Meinung widersprechen. „Grundsätzlich ist das Ziel, ein besserer Redner zu werden. Die Organisatoren der Debatte losen den Teilnehmenden eine Seite zu. Sie müssen also oft gegen ihre eigene Meinung argumentieren. Zu erkennen, wie die ‚andere Seite‘ denkt, ist eine eindrucksvolle Erfahrung. Sie ist wahrscheinlich die wichtigste Voraussetzung für Toleranz und ein gutes Miteinander“, erklärt Rex.

Kampf der Argumente

Die Debattierkultur an der Paris Lodron Universität Salzburg blickt auf eine lange Tradition zurück. Die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) gründete 2002 „Redesalz“, den ersten offiziellen Debattierclub Österreichs. Die Mitglieder trafen sich einmal pro Woche und trainierten die strukturierte Rede und Gegenrede. „Die Teilnahme war für mich eine Kompetenzerweiterung, die mein Leben stark beeinflusst hat. Die erlernten Argumentationsfähigkeiten helfen mir sowohl im Privatleben als auch im Arbeitsalltag“, sagt Johanna, ehemaliges Mitglied bei „Redesalz“.

Michael Pfeifer, einer der Organisatoren von „Redesalz“, schildert die derzeitige Situation. „Aktuell existiert unser Debattierclub nur formal. Wir wissen noch nicht, ob oder wann wir uns wieder treffen werden.“

Wortgewandt ans Ziel

Im Verlauf des vergangenen Wintersemesters gründeten einige Studierende an der Universität Salzburg den Debattierclub „Wortgewandt“. Die Teilnehmenden treffen sich zweimal pro Semester. „Der Club bietet einen geschützten Raum, in dem die Mitglieder alles ausprobieren können. Interesse an Rhetorik ist jedoch essenziell“, kommentiert Tiffany Sima, Gründungsmitglied des Clubs.

Die Gründungsmitglieder hatten mehr Schwierigkeiten bei der Clubgründung als ursprünglich gedacht. „Es ist schwierig, Termine zu finden, an denen alle Zeit haben. Wenn einige kurzfristig absagen, kann die Veranstaltung ins Wasser fallen. Mittlerweile haben wir aber genug Teilnehmende, die aktiv und engagiert mitmachen“, sagt Tiffany. 

Mögliche Gegenkultur zu Filterblasen

Debattierclubs positionieren sich bewusst als Alternative zu den Filterblasen, die den offenen Diskurs einschränken. „Der Algorithmus auf den gängigen Plattformen zeigt den Nutzern vorwiegend gleichgesinnte Meinungen. Um konträre Argumente zu hören, ist es notwendig, sich aktiv auf die Suche zu begeben“, erklärt Professorin Christine Lohmeier, Leitung der Abteilung Mediennutzung & digitale Kulturen an der Universität Salzburg.

Immer mehr Diskussionsthemen laden sich emotional auf, was zu Problemen im Diskurs führt. Wer hauptsächlich Meinungen statt Fakten konsumiert, zeigt eine höhere Intoleranz gegenüber anderen Ansichten und führt Diskussionen eher emotional als sachlich. „Manche User verstecken sich hinter der Anonymität. Offline mag es zwar auch mal emotionaler hergehen, die Art miteinander zu reden, ist aber anders und im besten Fall von Respekt und Interesse an anderen Sichtweisen gekennzeichnet“, ergänzt Lohmeier.

Die Frage lautet, ob solche Initiativen den verbreiteten Umgang mit kontroversen Themen ändern können. „Meiner Meinung nach können Debattierclubs eine sinnvolle Ergänzung sein zu digitalen Diskursräumen“, sagt die Social-Media-Managerin Susanne Kroiß. „In Debattierclubs treten Menschen direkt und ungefiltert in den Meinungsaustausch. Der Austausch in einem Debattierclub kann außerdem, online sowie offline, eine konstruktivere Streitkultur fördern. Ob Debattierclubs tatsächlich ein Gegengewicht zu digitalen Diskursräumen bilden, hängt stark vom jeweiligen Thema ab. Pauschale Aussagen sind deshalb schwierig.“

Lohmeier sieht hier eine Chance „Debattierclubs bieten eine hervorragende Möglichkeit, viel über sich selbst zu lernen und gleichzeitig die rhetorischen Fähigkeiten zu schulen. Zudem erkennen die Teilnehmenden schnell, wie sie für jede Sichtweise sowohl Pro- als auch Kontraargumente formulieren.“

Trotz unterschiedlicher Meinungen ein geselliger Abend

Es ist kurz vor sechs Uhr. Die Teilnehmenden von „Wortgewandt“ haben gerade ihre Feedbackrunde abgeschlossen. Eine weitere Regel bei „Wortgewandt“ lautet, ‚wir treten nicht als Gegner auf. Niemand gewinnt oder verliert. Es zählt nur, wer das Publikum stärker überzeugt.‘ Die Teilnehmenden bemühen sich also, sachliche Argumente von persönlichen Emotionen zu trennen. Auch wenn das nicht immer gelingt, reichen sich die Vertreter der Pro- und Kontraseite am Ende der Debatte die Hand und freuen sich bereits auf das nächste Treffen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes „Die Paris-Lodron-Universität Salzburg macht Journalismus“.
Es ist ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch dm drogerie markt und Salzburg AG.

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