Wien | Gesundheit | Meinung | Chronik | Kultur | Umwelt | Wirtschaft | Politik | Panorama
InternationalFakten

Kulturkampf vor dem Spiegel: Schönheitsideal bald chinesisch?

Dominante Kulturen haben immer auch die internationalen Schönheitsideale geprägt. Sollten wir alle bald große Augen, runde Gesichter und schmale Lippen haben?
Paul Schneider  •  18. April 2025 Volontär    Sterne  102
Chinesische Schönheit: Noch dominiert im Reich der Mitte das europäische Ideal. Wie lange noch? (Foto: Shutterstock)
X / Twitter Facebook WhatsApp LinkedIn Kopieren

Chinesische Influencer erscheinen in europäischen Feeds, asiatische Hautpflegeprodukte stehen in österreichischen oder deutschen Drogerien neben bekannten Marken, und TikTok bevorzugt Gesichter mit blasser Haut, schmalem Kinn und großen Augen. Während der Hype um K-Beauty anhält, rückt auch das Schönheitsideal aus China näher an den westlichen Mainstream. Entsteht hier ein neuer globaler Standard?

Neue ästhetische Normen

In China galten lange Natürlichkeit, Zurückhaltung und Eleganz als Inbegriff von Schönheit. Schmale Lippen, große Augen und runde Gesichter bestimmten das Ideal. Mit der Globalisierung verschoben sich diese Maßstäbe. Europäische Werbegesichter, Modemagazine und Filme brachten neue ästhetische Normen nach Ostasien. In Schaufenstern von Peking bis Shanghai tragen Puppen deshalb europäische Gesichtszüge mit schmalen Nasen, Doppellidfalte, langen Gliedmaßen und V-förmigem Kinn. Anna Bergmann, Kulturhistorikerin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, erklärt: „Das liefert unterschwellig die Botschaft, europäisch sei schöner, moderner und im Leben erfolgreicher.“

Aber bleibt das auch so? Schließlich wächst das kulturelle Selbstbewusstsein im Reich der Mitte. Immer mehr Chinesinnen und Chinesen entscheiden sich beim Autokauf nicht mehr für VW, Audi oder BMW, sondern für BYD, Geely oder Changan. Das könnte sich auch auf die Wahrnehmung des eigenen Aussehens auswirken.

Europa ist noch das Maß der Dinge

Eine Nachfrage bei Wiener Schönheitschirurgen ergibt allerdings: In Sachen Aussehen scheint Europa nach wie vor die dominante Weltmacht zu sein. Sie gewinnt demnach sogar eher an Bedeutung, als sie zu verlieren.

Denn das Interesse chinesischer Kundschaft an Eingriffen, die das Gesicht europäischer wirken lassen, steigt. Besonders gefragt ist die doppelte Lidfalte. Eltern schenken ihren Kindern entsprechende Operationen oft zum 18. Geburtstag. Wer keinen chirurgischen Eingriff möchte, erzeugt das Doppellid mit Tape oder Kleber. Auch Nasenkorrekturen für eine schmalere Nase und Kieferoperationen zur Formung eines ovaleren Gesichts gehören zum Schönheitsalltag in China.

Der Wunsch, europäisch zu wirken, beschränkt sich dabei nicht nur auf das Gesicht. In China lassen sich Viele die Beine verlängern, um der europäischen Durchschnittsgröße näherzukommen. Solche Eingriffe sind teuer und die Heilung ist langwierig und mit gesundheitlichen Risiken verbunden. Doch die Hoffnung auf Vorteile durch die schweren Operationen überwiegt. In China verbinden Viele ein europäisiertes Aussehen mit besseren Jobchancen und mehr Erfolg auf dem Heiratsmarkt.

Kosmetikindustrie auf Wachstumskurs

Auch ohne Operation investieren Chinesinnen viel Geld in ihr europäisches Äußeres. Aufhellende Cremes verkaufen sich besonders gut. In China steht helle Haut traditionell für sozialen Status und Eleganz. Europäische Werbegesichter verstärken auch diese Vorstellung. Je intensiver der Aufhellungseffekt eines Produkts, desto beliebter ist es.

Selbst das klassische chinesische Ideal schmaler Lippen hat an Bedeutung verloren. Viele Chinesinnen verwenden Lipfiller, Lippenstiften oder Liner, um ihren Lippen mehr Volumen zu verleihen. Mit Highlighting- und Contouring-Techniken formen sie ihre runden Gesichter ovaler. Sie wählen dabei bevorzugt Produkte europäischer Marken, weil sie sich davon eine stärkere Annäherung an das gewünschte Erscheinungsbild erhoffen.

Schönheit wird zur Ware

Die Kulturhistorikerin Bergmann ordnet diese Entwicklung in einen größeren kulturgeschichtlichen Kontext ein. Die sogenannte konsumistische Revolution hat traditionelle Schönheitsideale grundlegend verändert. Seither entsteht nicht nur eine Vielzahl neuer Ideale, etwa das Bodybuilding für Frauen, sondern der gesamte Körper wandelt sich zum vermarktbaren Objekt. Das „Ich“ wird zur Ware. Sonnenbrillen, Taschen oder Schuhe tragen Designerlabels, ebenso wie Lippen, Haut, Brüste oder Vaginas. Nase, Mund, Gesicht, Bauch, Beine, Haut und Genitalien gelten als formbar, veränderbar und verkäuflich.

Auch die Modeindustrie profitiert von dieser Entwicklung. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sie sich verdreifacht. Sogenannte Fast Fashion bringt gigantische Gewinne. Die entstehen oft durch schlecht bezahlte Frauenarbeit. Bereits in Europa erhielten Frauen in der Textilindustrie nur die Hälfte des Männerlohns. Das asiatische Wirtschaftssystem übernahm diese Struktur nahtlos. In China scheint diese gesamte Maschinerie Menschen nach wie vor nach europäischen Schönheitsidealen zu formen.

Widerstand im Netz

Dagegen formiert sich auch Widerstand. Auf chinesischen Plattformen wie Douyin und Weibo wehren sich Aktivistinnen gegen die europäisch geprägten Ideale. Die prominente Feministin Xiao Meili verzichtet bewusst auf Gesichtsfilter, Aufhellungscremes und digitale Retusche. Sie zeigt sich mit dunkler Haut, rundem Gesicht und nur einer Lidfalte.

Auch die Influencerinnen Shiyin und Zhang Xiyue stellen traditionelle Frisuren und Kleidung in den Vordergrund. Sie nutzen ihre Reichweite, um asiatische Gesichtszüge als schön und besonders zu präsentieren. Ihre Botschaft lautet: Schönheit existiert nicht nur im Westen.

Doch ihre Stimmen bleiben bisher leise. Die Nachfrage nach westlicher Ästhetik bleibt hoch. Die Hoffnung auf beruflichen und sozialen Aufstieg durch ein angepasstes Aussehen übertönt vielerorts die kulturelle Rückbesinnung.

Eine Frage der Märkte

Bergmann widerspricht allerdings der These, das europäische Ideal dominiere global. Sie hält diese Sichtweise für verkürzt. Afrikanische und asiatische Models prägen längst auch westliche Laufstege und Modemagazine. In Asien gilt helle Haut als schön, in Europa erzeugen Solarien und Bräunungsprodukte das Gegenteil. Schönheit orientiert sich nicht mehr an einer Kultur, sondern an Märkten.

Alles lässt sich heute kommerzialisieren. Die Schönheitsindustrie funktioniere nach dem Prinzip der ständigen Verfügbarkeit. Je wandelbarer der Körper, desto größer das Umsatzpotenzial. „Die Geldmaschine läuft“, sagt Bergmann. „Sie läuft besser, wenn möglichst viele Frauen europäische Gesichtszüge wollen und bereit sind, dafür in Kliniken zu gehen.“

Spiegel der Machtverhältnisse

Schönheitsideale spiegeln gesellschaftliche Strukturen, das steht fest. Sie entstehen nicht im luftleeren Raum. Noch bestimmt Europa zumindest mit, was als schön gilt. Doch diese Vormachtstellung könnte bröckeln. Ob in Zukunft ein chinesisches Ideal das europäische verdrängt, bleibt abzuwarten. Für die Industrie wäre es jedenfalls wieder ein gutes Geschäft.

Werde Teil der campus a-Redaktion!

Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.

Empfehlungen für dich

Kommentar
0/1000 Zeichen
Advertisement