
Anna ist allein in ihrer Wohnung. Der Kaffee vor ihr ist längst kalt, doch das Gespräch läuft ganz vertraut, fast wie früher. Aus dem Lautsprecher ihres Computers dringt die warme, lebendige Stimme von Luis: ,,Schatz, vermisst du mich?‘‘
Luis war Annas Ehemann. Er starb vor einem Jahr, und doch spricht er mit ihr, nicht als Mensch, sondern als sein eigenes digitales Abbild. Im Cyberspace lebt er weiter. Immer erreichbar, immer präsent.
Die Situation erinnert an Szenen aus dem Film Transcendence mit Johnny Depp, in dem ein Wissenschaftler ein digitales Leben nach dem Tod führt. Doch was damals noch Zukunftsvision war, wird allmählich real. Weltweit entwickeln Anbieter Technologien, um Menschen als Chatbots, KI-Stimmen oder 3D-Avatare unsterblich zu machen.
So etwa entwickelte das amerikanische Unternehmen You, Only Virtual (YOV) digitale Avatare, sogenannte ,,Versonas‘‘ für die Kommunikation mit Verstorbenen. Die Datenbasis dabei bilden unter anderem Text- und Sprachnachrichten.
Doch helfen solche Technologien wirklich beim Trauern, oder verzögern sie nur den Abschied? Eva Katherina Masel, Leiterin der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin am Allgemeinen Krankenhaus Wien, spricht im Interview mit campus a-Redakteurin Madeleine Gruber über das digitale Leben nach dem Tod und technische Hilfsmittel für die letzte Lebensphase.
Eva Katherina Masel: „Persönliche Gespräche sind unperfekt. Gerade das macht sie so wertvoll.“ (Foto: Lukas Beck)
campus a. Welche Rolle könnten KI-gestützte Chatbots oder digitale Avatare im Kontext von Trauer und Abschied künftig spielen?
Eva Katherina Masel. Ich habe kürzlich eine Dokumentation gesehen, in der eine Frau mit einem Avatar ihres verstorbenen Mannes sprach, es war fast wie ein echtes Gespräch. Das war berührend und zugleich befremdlich. Trotzdem konnte ich es nachvollziehen. Wir sind es inzwischen gewohnt, mit ChatGPT über persönliche Dinge zu sprechen. Gerade in der Medizin wird sich da viel entwickeln. Wir brauchen Offenheit, auch wenn wir uns heute noch nicht vorstellen können, welche Rolle diese Technologien einmal spielen werden.
campus a. Wie bewerten Sie die bereits entstehenden KI-Angebote für den Umgang mit dem Tod?
Eva Katherina Masel. Der Tod wird wohl immer schmerzhaft bleiben, das kann auch KI nicht ändern. Aber digitale Spuren von Menschen wie Sprachnachrichten oder Videos sind heute alltäglich geworden. Sie verändern, wie wir uns erinnern. Früher hatten wir Briefe oder Fotos, heute ist vieles digital verfügbar. Das kann tröstlich sein, ersetzt aber keinen Menschen aus Fleisch und Blut.
campus a. Können digitale Avatare therapeutisch hilfreich sein?
Eva Katherina Masel. Das kommt stark auf die jeweilige Person und ihre Beziehung zum Verstorbenen an. Für manche kann ein digitaler Avatar eine Brücke sein, die hilft, den Verlust zu begreifen und in kleinen Schritten loszulassen. Für andere kann er das Gegenteil bewirken, sie verlieren sich in einer Illusion und verzögern den Abschied. Es braucht hier einen sensiblen, individuellen Umgang.
campus a. Führt der Wunsch nach digitaler Unsterblichkeit womöglich dazu, dass wir das Hier und Jetzt vernachlässigen?
Eva Katherina Masel. Dieses Risiko besteht. Wenn wir nur noch darauf achten, wie uns unsere Nachwelt wahrnimmt, verlieren wir die Gegenwart aus dem Blick. Bereits Filter und digitale Selbstinszenierung zeigen, wie sehr wir uns vom Echten entfernen, das wäre ein weiterer Schritt in diese Richtung. Wenn wir ständig an unseren Avatar denken, der uns einmal überleben soll, übersehen wir, was wirklich zählt: das gegenwärtige Leben.
campus a. Hatten Sie bereits berufliche Berührungspunkte mit solchen Technologien?
Eva Katherina Masel. Bisher hatte ich vor allem mit Pflegerobotern zu tun. Auf einem Kongress habe ich einen gesehen, der sogar fragte: Wie geht’s Ihnen? Wir konnten dann auf einer Smiley-Skala unsere Stimmung angeben.
campus a. Auf Ihrer Palliativstation benutzen Sie Virtual-Reality-Brillen. Wozu eigentlich?
Eva Katherina Masel. Viele unserer Patienten können das Krankenhaus nicht mehr verlassen. Für sie ist es eine VR-Brille eine Möglichkeit, noch einmal zu tauchen, die ägyptischen Pyramiden zu besichtigen oder eine Safari zu machen. Anfangs war ich eher skeptisch. Nett, aber nicht mit echten Erlebnissen vergleichbar, dachte ich. Doch es ist immerhin besser als gar nichts. Viele nehmen das Angebot gut an, andere sind eher überfordert. Ich denke, das ist stark generationsabhängig.
campus a. Wo sehen Sie persönliche, fachliche und ethische Grenzen beim Einsatz von Technologie in der Sterbebegleitung?
Eva Katherina Masel. Virtuelle Abbilder zeigen selten das Unperfekte, das uns menschlich macht. Ein echtes Gespräch gibt keine perfekten Antworten und genau das macht es so wertvoll. Menschlichkeit, Nähe, echtes Nachfragen und Sensibilität lassen sich durch nichts ersetzen. Ich halte menschliche Begegnung deshalb für unverzichtbar. Die Grenze verläuft dort, wo Technologie sie ernsthaft zu ersetzen versucht. Es braucht klare ethische Leitlinien im Umgang mit solchen Technologien. Der Umgang mit digitalen Spuren Verstorbener erfordert viel Sensibilität und wirkt wie gesagt bei jedem Menschen anders.
campus a. Werden solche Technologien in Zukunft ein zentraler Teil des Trauerprozesses sein?
Eva Katherina Masel. Das ist schwer vorherzusagen. Wenn es um das Lebensende geht, braucht es jedenfalls Menschen. Ich glaube nicht, dass wir in einem sensiblen Bereich wie der Hospiz- und Palliativversorgung je sagen können: Hier ist ein auf Trauer trainierter Roboter, gehen Sie eine Stunde mit ihm spazieren, und wenn noch etwas ist, kommen Sie zu uns. Gleichzeitig bin ich offen für sinnvolle digitale Hilfsmittel, vielleicht in Bereichen, die wir heute noch gar nicht kennen.
Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.