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„China hat wenige, aber gravierende Bruchstellen“

China präsentiert sich nach außen als geschlossene, mächtige Einheit – wirtschaftlich erfolgreich, militärisch stark, politisch fest gefügt. Doch im Inneren bröckelt es. Regionale Ungleichgewichte, ethnische Spannungen und eine wachsende, kritische Bildungsschicht stellen das autoritäre System vor neue Herausforderungen.
Bernadette Krassay  •  6. Mai 2025 CvD    Sterne  484
Militärexperte Gerald Karner: Aus Angst vor innerer Spaltung zensuriert China sogar die Informationen, die Reiseführer chinesischen Reisegruppen geben dürfen. (Foto: Lukas Beck)
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China gilt als wirtschaftliche und geopolitische Macht, die unaufhaltsam an globalem Einfluss gewinnt. Doch hinter der Fassade verbergen sich strukturelle Probleme. Im Gespräch mit campus a analysiert der Militärexperte Gerald Karner die inneren Widersprüche des Landes, von massiven regionalen Ungleichheiten über ein mächtiges, aber unerfahrenes Militär bis hin zu einem autoritären System, das allmählich an seine ideologischen Grenzen stößt. Ein Blick hinter die Kulissen einer Supermacht. Wie stabil ist China wirklich?

campus a: China wirkt unangreifbar. Ist es das? Gibt es Bruchlinien?

Gerald Karner: Wenige, aber die sind gravierend. Die wichtigste ist die Ungleichheit zwischen den wohlhabenden Küstenregionen mit ihren Megastädten und Industriezonen, die nach westlichen Maßstäben durchaus wohlhabend sind, und dem rückständigen agrarisch geprägtem Binnenland. Dieser soziale und wirtschaftliche Gegensatz ist bis heute ungelöst. Hinzu kommen ethnische Spannungen etwa zwischen der Han-Mehrheit und den Uiguren, Tibetern und Mongolen, die das Land trotz jahrzehntelanger Bemühungen um Vereinheitlichung nicht in den Griff bekommt.  

Inwiefern ist das soziale Gefälle zwischen Stadt und Land ein Problem? Auch im Hinblick auf den Aufstieg zur führenden Weltmacht.

China hat gar nicht das Ziel die dominierende Weltmacht zu werden, zumindest derzeit nicht. Die chinesische Führung denkt in langen Zeiträumen. China soll aus ihrer Sicht zunächst die dominante Macht im westpazifischen Raum bleiben, militärisch und politisch unbehelligt von den USA. Der Kristallisationspunkt ist dabei Taiwan. Xi Jinping sieht den Inselstaat weiterhin als Teil Chinas. Bisher strebte China eine organische Wiedervereinigung an. Inzwischen stehen auch kriegerische Handlungen im Raum.

Womit sich China offen mit dem Westen anlegen würde.

Deshalb beobachtet China die Lage in der Ukraine mit großem Interesse. Inwieweit schwächt sich der Westen selbst? Wie verhält sich Europa? Wie verhalten sich die USA? Welcher Art ist die Kriegsführung? Welche Rolle spielen zum Beispiel Drohnen? Aus all dem lernt China für den Fall eines eigenen Angriffs auf Taiwan.

Gerald Karner im Gespräch mit campus a-Chefredakteurin Bernadette Krassay. (Foto: Lukas Beck)

Wie gut ist das chinesische Militär aufgestellt?

Teilweise ist es ein Staat im Staat. Das Militär in China betreibt zum Beispiel nach wie vor große Unternehmen selbst, um sich damit zu versorgen. Der Staat hat die Rüstungsindustrie in den vergangenen Jahrzehnten angekurbelt und insbesondere die See- und Luftstreitkräfte aufgestockt. Sie zählen zu den stärksten der Welt.

Die Amerikaner geben drei bis fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes für militärische Zwecke aus. Und China?

Das ist schwer in Zahlen auszudrücken, weil Vieles, das in Wirklichkeit den Streitkräften dient, in anderen Budgets verborgen ist. Unter dem Strich gibt China für Rüstung in etwa so viel aus wie die Amerikaner für ihre.

Dann sind beide Mächte militärisch etwa gleich stark?

Das chinesische Militär ist objektiv stark und modern. Doch derartig große Massenstreitkräfte haben immer auch Nachteile. In einer Auseinandersetzung mit professionellen Kampfeinheiten wie es die US-Navy oder die US-Airforce sind, hätte China schwer lösbare Probleme. 

Welche Probleme wären das?

Die Chinesen haben kaum Kampferfahrung. Das ist ein eindeutiger Schwachpunkt.

Wie sieht es mit der inneren politischen Stabilität aus?

Einheitlichkeit und Indoktrination sind tatsächlich große Schwächen Chinas. China weiß das ganz genau, was sich beispielhaft bei den chinesischen Reisegruppen in Europa zeigt. Als Einzelreisende dürfen nur Mitglieder der Funktionärsschicht nach Europa kommen. Allen anderen bleiben Reisegruppen, deren Führer eine gefilterte Wahrheit über Europa erzählen, um die Reisenden nicht auf falsche Ideen zu bringen. Sie hören vom schlechten Kapitalismus und erfahren, was in Europa alles nicht funktioniert und wie uneinig und zerstritten die Gesellschaft ist. 

Lässt sich diese Art der Manipulation dauerhaft durchhalten?

Das wird immer fraglicher. Denn in China machen inzwischen jedes Jahr rund zwei Millionen Studenten ihre Universitätsabschlüsse. Das sind mehr Einwohner als Wien hat und das birgt für das chinesische Regime eine enorme Gefahr. Mit steigendem Bildungsgrad lassen sich Menschen immer weniger mit falschen Erzählungen abspeisen. Langfristig hat das westliche System mit der liberalen Demokratie wahrscheinlich die besseren Chancen, Europa muss sie allerdings auch nützen.

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