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Immer Hochsaison am Wiener Naschmarkt

Der Wiener Naschmarkt, seit dem 16. Jahrhundert ein zentraler Teil des Stadtlebens, erstreckt sich über 1,5 Kilometer zwischen Karlsplatz und Kettenbrückengasse. Mit rund 120 Ständen und Lokalen lockt er nicht nur mit frischen Lebensmitteln, sondern auch mit internationalen Spezialitäten . Mit den sommerlichen Touristenströmen wird das Gedränge in den Gängen wieder dichter. Was fasziniert die Reisenden so sehr an dem Wiener Phänomen?
Julia Roušal  •  8. Mai 2025 Volontärin    Sterne  176
Die Gassen- und Platznamen des Naschmartkes erinnern heute an dessen Geschichte. Auf ihnen ist der Name ehemaliger Verkäufer*innen verewigt. (Foto: anonym)
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Der Wiener Naschmarkt gehört zu den ältesten, noch bestehenden Märkten der Stadt. Vom frühen Morgen bis am Abend herrscht dort reges Treiben. Eine vielfältige Kundschaft kann hier Obst und Gemüse, Trockenware, Tees, sowie verschiedene Spezialitäten aus aller Welt erwerben. Neben den über 120 klassischen Verkaufsständen befinden sich am Naschmarkt vermehrt auch gastronomische Betriebe.

Ein Blick in die Geschichte

Bereits im 18. Jahrhundert entstand am Ufer der Wien ein Markt für Milchprodukte, der bis dahin auf der Freyung angesiedelt war. Anstelle des heutigen Naschmarkts befand sich damals ein Aschen- und Müllablageplatz der Stadt Wien. Mit der Zeit wuchs der Markt, 1793 kamen erste Obst- und Gemüsestände hinzu, meist in Familienbesitz. Um 1820 begann man den Markt inoffiziell „Naschmarkt“ zu nennen – nach den dort angebotenen Süßigkeiten. Nach der Regulierung des Wienflusses (1895–1901) erfolgte die Verlagerung an den heutigen Standort, 1905 erhielt der Markt seinen Namen offiziell. Im 20. Jahrhundert kam es zu mehreren Umbauten und Modernisierungen, darunter der Bau der drei Pavillonzeilen, der Naschmarktkapelle und des Marktamtsgebäudes. In den 1980er Jahren kam es schließlich zur Eröffnung von Geschäften, in denen nicht mehr nur Obst und Gemüse erworben werden konnte. Zwischen 2010 und 2015 wurde der Markt saniert, wobei sein historischer Charakter erhalten blieb.

Museum oder lieber Antiquitäten?

Am Samstag können Besuchere des Markts nicht nur Lebensmittel kaufen. Knapp nach der U4-Station Kettenbrückengasse befindet sich ein Flohmarkt. Mit ein wenig Geduld ist es möglich, dort immer wieder kleine Schätze zu entdecken. Alle erdenklichen Gegenstände sind dort Second-Hand erwerbbar. Neben Antiquitäten, gebrauchten Büchern, Kunstwerken und Schallplatten gibt es auch jede Menge Trödel, und sogar Vintage-Kleidung. Hier bieten nicht nur Privatpersonen von ihnen aussortierte Kleinigkeiten, vereinzelt sind auch professionelle Händler anzutreffen. Bei ihnen können Kunden beispielsweise hochwertige antike Möbelstücke oder Antiquitäten erwerben. Wer kein Interesse am Einkauf hat, aber dennoch gerne etwas Altes bestaunen möchte, der könnte auch im Naschmarktmuseum fündig werden. In diesem können Besucher samstags zwischen 12 und 14 Uhr bei freiem Eintritt den Naschmarkt, wie er im frühen 20. Jahrhundert war, bewundern. Auf nur 4 Quadratmetern sind historische Exponate und Modelle des Markts ausgestellt.

Kultur? Kulinarik?

In den Anfangsjahren war der Naschmarkt weit mehr als ein bloßer Verkaufsplatz für Waren. 1933 eröffnete hier die Kleinkunstbühne „Literatur am Naschmarkt“, auf der kabarettistische Stücke das Publikum begeisterten. 1961 folgte die Umbenennung der Bühne in „Ateliertheater am Naschmarkt“, das sich fortan avantgardistischen Inszenierungen widmete. Als ältestes Kleintheater Wiens prägt es über Jahrzehnte die Kulturszene der Stadt – mittlerweile ist es in die Burggasse übersiedelt. Dort lebt das Theater weiter und zeigt bis heute Werke großer Dramatiker wie Nestroy, Schnitzler oder Shakespeare in originalgetreuen Aufführungen. Das Theater am Naschmarkt ist einer anderen Form von Kultur gewichen: der Kulinarik. Wo früher das Wort dominierte, locken heute internationale Köstlichkeiten, exotische Gewürze und moderne Lokale ein urbanes Publikum an. Der Markt hat sich gewandelt – vom kulturellen Schauplatz zum Treffpunkt für Feinschmecker, Touristen und Trendbewusste. Dabei bleibt er ein Spiegel der Stadt: immer im Wandel, doch stets lebendig.

Ein Bazar mitten in Wien

Die kulturelle Vielfalt Wiens wird am Naschmarkt besonders sichtbar. Als multikultureller und multigenerationaler Treffpunkt fungiert er als zentraler sozialer Raum. Menschen unterschiedlichster Herkunft und sozialer Schichten kommen hier zusammen – sei es zum Einkaufen, Genießen oder einfach zum Verweilen. Senioren und junge Menschen decken sich hier mit frischen, oft regionalen Lebensmitteln ein, oder treffen sich in einem der zahlreichen Lokale zum Brunch. Familien schlendern entspannt durch die Marktstände, Berufstätige holen sich einen schnellen Mittagssnack, Touristen erkunden das vielfältige Angebot des Markts. Jeder nutzt den Ort auf eine eigene Weise – sei es als alltäglichen Versorgungsort, als sozialen Treffpunkt oder als Erlebnisraum. Der Naschmarkt ist mehr als nur ein Handelsplatz – er ist eine Bühne des urbanen Lebens und ein Spiegelbild der vielfältigen Stadtgesellschaft Wiens. Unterschiedliche Sprachen, Gerüche, Geräusche und Eindrücke verschmelzen hier zu einem vielstimmigen Miteinander.

Der Markt heute

Derzeit steht der Naschmarkt im Fokus städtebaulicher Entwicklungen. Im Oktober 2024 begannen die Bauarbeiten zur Umwandlung des bisherigen Parkplatzes in ein grünes Marktgebiet. Die Neugestaltung des Naschmarktparkplatzes zählt zu den „Raus aus dem Asphalt“-Projekten der Stadt Wien. Es soll eine konsumfreie Zone mit hoher Aufenthaltsqualität entstehen. Die Errichtung der neuen Markthalle trifft jedoch vielerorts auf Kritik, da Eingriffe in das historische Stadtbild befürchtet werden. Gerade dieses gestaltet der Markt stark mit. Derartige Initiativen zeigen deutlich, dass der Naschmarkt eine identitätsstiftende Wirkung für viele der Wiener hat. Dennoch vollzog sich in den letzten Jahren eine Wandlung des Marktcharakters hin zur Gastronomie. Diese wird auch von Touristen vermehrt genutzt, weshalb einige der Wiener vor allem in den Sommermonaten dazu tendieren, den Markt zu meiden. Derzeit nehmen Gastronomiebetriebe über dreißig Prozent der Marktfläche ein. In der neuen Markthalle wird auf diese Problematik eingegangen. Nur ein einziger Stand der Halle soll für Gastronomie genutzt werden.

Denkmal des Alltags

Die zahlreichen unter Denkmalschutz stehenden Marktstände und das im Jugendstil gestaltete Marktamtsgebäude zeugen von der kulturellen und architektonischen Bedeutung des Marktes. Ortsbezeichnungen wie die „Reserl-Gasse“ oder der „Gabriele-Kuczera-Platz“, wie sie auf dem Foto zu sehen sind, erinnern an ehemalige Verkäuferinnen. Durch die ausschließlich weibliche Benennung der Gassen wird nicht nur der Grundsatz, alle neuen Straßennamen nach Frauen zu benennen eingehalten. Es zeigt auch den historische Fakt, dass vor allem in den Anfangsjahren hauptsächlich Frauen auf dem Markt als Verkäuferinnen arbeiteten. Obendrein ist er ein Symbol für die lange Markttradition Wiens und eine urbane Esskultur. Der Naschmarkt bleibt somit ein lebendiges Zeugnis der Wiener Geschichte und Kultur, das auch in Zukunft eine bedeutende Rolle im urbanen Leben der Stadt spielen wird.


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