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Sprachnachrichten als Gipfel der kommunikativen Verrohung

Es beginnt harmlos: "Hey, ich wollte dir nur kurz was sagen..." und endet sieben Minuten später mit einem akustischen Fiebertraum aus endlosen Erzählungen ohne roten Faden, Straßenlärm und einer erschütternden Detailtiefe über das zu Mittag gegessene Fleischkäsesemmerl. Willkommen bei der nervigsten Erfindung der Kommunikationsmittel.
Julia Ehrensberger  •  13. Mai 2025 Redakteurin    Sterne  158
Sieben Milliarden Sprachnachrichten werden pro Tag allein per Whatsapp verschickt (Foto: Pexels)
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Früher fragten Menschen noch höflich, ob Zeit für ein kurzes Telefonat ist. Heute sprechen sie einfach drauflos. Uhrzeit, Kontext oder Zustand des Empfängers spielen keine Rolle. Und weil es angeblich „schneller geht als tippen“, fühlt sich der Empfänger gezwungen, im Büro, Wartezimmer oder Bus Kopfhörer herauszusuchen oder sogar den Raum zu verlassen. Die Geräuschkulisse aus Straßenlärm, Busdurchsagen und Tütenrascheln gibt es gratis dazu.

Monolog ohne Timing

Der Informationsgehalt einer durchschnittlichen Sprachnachricht liegt meist irgendwo zwischen “irrelevant” und “was wolltest du mir eigentlich sagen?”. Nach einer Minute ist das eigentliche Thema durch, danach folgt Bonusmaterial. Eine Aufarbeitung des vergangen Arbeitstages, eine Schimpftirade über die Kassiererin beim Einkaufen und der Wetterbericht, der schon wieder falsch lag.

Doch wer hat untertags die Zeit, sich diese Podcasts freiwillig anzuhören? Zwischen Terminen, To-do-Listen und dem Versuch, wenigstens ein bisschen Restkraft am Nervenkostüm zu behalten, wirken achtminütige Sprachnachrichten wie ein akustischer Überfall. Und hilfreich sind sie selten. Denn bis der letzte Ton verklungen ist und man endlich wieder zur Spotify-Playlist zurückkehren darf, ist die Hälfte des Gesagten längst vergessen. Kein Wunder, denn das Gehirn ist auf Überleben programmiert, nicht auf die Archivierung von „Also ich weiß nicht, ob ich’s dir erzählt hab, aber…“.

Diese Form der Kommunikation ist ein One-Way-Ticket in Missverständnisse oder in den nächsten unnötigen Streit. Weil man eben nicht mehr weiß, was in Minute drei zwischen zwei Räusperern und dem dritten „Weißt du, was ich meine?“ eigentlich gesagt wurde. Im schlimmsten Fall folgt prompt eine zweite Sprachnachricht mit der Frage, warum ausgerechnet Punkt sieben von neun unbeantwortet bleibt. Kommunikation, aber bitte maximal unpraktisch.

Und man hört sie brav bis zum Schluss, nicht etwa aus Interesse, sondern aus Misstrauen. Denn wer weiß? Vielleicht verbirgt sich ganz am Ende, nach einer gefühlten Ewigkeit voller „Also irgendwie fühle ich mich heute so komisch…“, doch noch ein Satz mit Relevanz. Viele Menschen neigen schließlich dazu, um den heißen Brei herumzureden, bevor sie irgendwann zum eigentlichen Punkt kommen. Und wenn man vorher aussteigt, verpasst man womöglich das eine entscheidende Detail. Einige halten den Finger ohnehin nur ans Mikrofon, um die eigene Stimme zu hören und den seelischen Ballast irgendwo abzuladen.

Speedlistening als Selbstschutz

Eine gute Erfindung hat sich dann doch noch durchgesetzt. Die verstellbare Abspielgeschwindigkeit. Was früher neun Minuten bedeutete, lässt sich heute in dreifacher Geschwindigkeit auf eine handlichere Dosis zusammenstauchen, vorausgesetzt, man ist geübt im Verständnis eines atemlosen Micky-Maus-Tonfalls. Der Empfänger hört zwar noch immer zu, aber mit der subtilen Gegenwehr im Hinterkopf, wenigstens ein bisschen Kontrolle zurückzuerlangen. Sprachnachrichten bleiben zwar eine Zumutung, aber zum Glück nur mehr für ein Drittel der Zeit. Und das ist in Zeiten digitaler Dauerbelagerung schon fast als Fortschritt zu werten.

Man könnte meinen, wir hätten genug Tools, um uns klar und effizient mitzuteilen. An welchem neuen Punkt der gesellschaftlichen Verrohung sind wir angekommen, dass es zu viel Aufwand geworden ist, wichtige Informationen in eine kurze, klare Textnachricht zu schreiben? Wer erwartet, dass andere ihre Zeit opfern, nur damit das eigene Tippen entfällt, leidet schlichtweg an egoistischer Empathielosigkeit.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes „Die Paris-Lodron-Universität Salzburg macht Journalismus“.
Es ist ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch dm drogerie markt und Salzburg AG.

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