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Wenn gut gemeint nicht gut ankommt: Sitzplatzangebote in Öffis

In der U-Bahn fällt ihr Blick auf eine ältere Dame, eine schwangere Frau und einen erschöpften Mann im Anzug. Daraufhin steht sie auf und bietet ihren Sitzplatz an. Tut sie das aus Rücksichtnahme? Oder bringt sie die anderen Fahrgäste dadurch in eine unangenehme Situation? Gute Absichten werden nicht immer als solche erkannt. Manche lehnen ein solches Angebot genervt oder peinlich berührt ab. Doch wie viel Rücksicht ist angemessen und wann empfindet die Gesellschaft Höflichkeit als Bevormundung?
Kiki Camilla Manig  •  13. Mai 2025 Redakteurin    Sterne  82
Stehen am den Haltegriffen: Für viele die bessere Option als ein gut gemeintes Platzangebot. (Foto: Shutterstock)
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Am Montag morgen erlebte Luisa (17) folgende Situation: „Ich stand auf, bot einer älteren Dame meinen Platz an und bekam ein gemeines ,Ich bin doch nicht gebrechlich!‘ zurück.“

Ist alt sein altmodisch geworden?

Viele Senioren möchten nicht, dass andere sie auf eine vermeintliche Schwäche reduzieren, sondern wollen aktiv, selbstständig und jugendlich erscheinen. Immer häufiger gehen ältere Menschen joggen, spritzen Botox gegen die Falten, tragen bunte Turnschuhe und wehren sich dagegen in die „hilfsbedürftige“ Rolle zu schlüpfen. Doch was bedeutet das für alltägliche Gesten? 

So gelingt die Geste

Ob das Angebot gut ankommt, hängt oft vom richtigen Moment, der Art der Ansprache und dem eigenen Auftreten ab. Diese vier Aspekte helfen dabei, die Geste passend und respektvoll zu gestalten:

Die Situation einschätzen

Vorab sollte ein Blick die Situation in der U-Bahn erfassen, um zu erkennen, wie dringend dieser Fahrgast einen Sitzplatz benötigt. Anzeichen wie Erschöpfung, Verletzung, Schwangerschaft oder hohes Alter können Hinweise darauf geben. Ebenso wichtig ist es, zu prüfen, ob alle Plätze tatsächlich besetzt sind. Eine schwangere Frau, die in der Nähe eines freien Platzes steht, hat sich möglicherweise bewusst entschieden, zu stehen.

Freundlichkeit und Blickkontakt

Ein nettes Lächeln und Blickkontakt schaffen eine freundliche und respektvolle Atmosphäre und vermitteln, dass dieses Angebot wohlmeinend ist. Der Passagier fühlt sich nicht übergangen oder beurteilt und es entsteht eine Situation, in der er die Hilfe frei annehmen oder ablehnen kann.

Wortwahl

Lieber sollte ein Angebot statt einer Aufforderung formuliert werden. Angemessene Beispiele wären: „Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?“ oder „Möchten Sie sich gern setzen?“. Äußerungen wie „Setzen Sie sich doch“ oder „Wollen Sie sitzen?“ führen oft zu Missverständnissen und vermitteln leicht eine unabsichtliche Unterstellung, die typische Antworten wie „So alt bin ich noch nicht!“ oder „Sehe ich so gebrechlich aus?“ zur Folge haben, um zu beweisen, dass sie nicht sitzen müssen.

Die Reaktion respektieren

Lehnt der Passagier das Sitzangebot ab, sollte der anbietende Passagier nicht nachhaken und damit seinen guten Willen zeigen.

Anderen zu helfen stärkt das Selbstwertgefühl

Viele Menschen empfinden Glück und Stolz, wenn sie eine gute Tat vollbringen, ganz gleich, wie klein sie auch sein mag. Doch woran liegt das? Studien zeigen, dass Hilfeleisten ein neurochemisches Belohnungsgefühl auslöst, das den mentalen Zustand stärkt. Wer Gutes tut, setzt Glückshormone und Endorphine frei, die positive Emotionen hervorrufen. Indem Helfende ihren Fokus auf die Bedürfnisse anderer richten, vergessen sie oft ihre eigenen Sorgen.

Eine gute Tat braucht keine U-Bahn. Wer aufmerksam bleibt, findet auch in Bussen, Warteräumen oder auf öffentlichen Plätzen die Gelegenheit, einen Sitzplatz anzubieten. Wer um einen Sitzplatz bittet, kann jedoch auch enttäuscht werden, wenn der andere ihn aufgrund von Musik in den Kopfhörern oder durch das Smartphone nicht wahrnimmt. Die Gesellschaft neigt dazu hinter ihren Displays zu verschwinden und ihre Umgebung auszublenden. Dabei entstehen immer weniger echte Begegnungen im öffentlichen Raum. Doch gerade kleine Gesten wie ein Lächeln oder ein angebotenes Gespräch, schaffen Verbindung, die heutzutage immer seltener werden. 

Nicht jede Erschöpfung ist sichtbar

Eine junge Dame mit schwerer Handtasche und hohen Schuhen muss nicht sitzen, möchte das vielleicht dennoch gern, weil sie bei scharfen Bremsungen nicht umknicken möchte oder die Tasche schon den ganzen Tag schwer auf der Schulter liegt. Ein junger Mann wirkt dem Anschein nach fit, hat jedoch bereits den ganzen Tag auf Arbeit körperliche Anstrengungen ausgeübt und muss sich ausruhen. Genauso wenig wie von vermeintlich Bedürftigen erwartet werden sollte, dass sie sitzen müssen, sollte niemand von der jüngeren Generation erwarten, dass sie stehen muss. 

In den frühen 20er-Jahren sah das noch ganz anders aus. Damals war es üblich, dass ein gut situierter Mann, egal welchen Alters, einer Dame seinen Platz überließ, um ihr ein Kompliment zu machen. Aus heutiger Sicht, im Zeitalter des Feminismus, lassen Frauen ihre Männer auch manchmal sitzen, jedoch nicht in der U-Bahn. 


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