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Too trash to handle? Reality TV in der Existenzkrise

Reality TV steckt in der Krise. Wo einst unterhaltsame Formate mit Cringe-Faktor liefen, sieht das Publikum heute einen Sprint Richtung moralisches Versagen. Das Genre hat die Abzweigung zum Upgrade verpasst und schlittert stattdessen geradeaus in Richtung Downgrade. Wie konnte es so weit kommen?
Jana Eglseer  •  21. Mai 2025 Volontärin    Sterne  24
Tempation Island: (Foto: ©Netflix / Everett Collection)
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Zu Beginn hatte jedes Format den Reiz des Unbekannten. So war jede neue Staffel der Auftakt von etwas Neuem. Kein Druck, Quoten zu erfüllen, keine Erwartungen des Publikums. Klar war nur, wo Menschen auf engem Raum zusammenkommen und dabei gefilmt werden, sind Streitereien und eine Portion Cringe-Faktor nicht weit. Schnell kristallisierten sich Formate heraus, die Kultstatus erreichten. Shows wie Temptation Island oder Das Sommerhaus der Stars testeten nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch die Belastbarkeit des Publikums. Dabei spielten sie mit der Grenze des Erträglichen. In den Anfangszeiten des Reality TV reichten ein Fremdflirt oder ein Streit, um für Schnappatmung auf der Couch und eine Schlagzeile in den Klatschblättern zu sorgen. Doch unabhängig vom Format und dessen Inhalt standen Unterhaltung und Authentizität stets im Mittelpunkt. 

Die falsche Abzweigung

Das ist heute anders. Das Motto lautet „Mehr ist Mehr“. Also mehr Fremdgehen, mehr Gewalt, mehr Streitereien, mehr Eskalation. Alles ist lauter und grenzüberschreitender geworden. Einzelne Kandidatinnen und Kandidaten werden aus Sendungen geworfen, wenn sie sich falsch verhalten, nur um in der nächsten Show wieder vor der Kamera zu stehen. Das lässt vermuten, dass den Verantwortlichen längst nur noch Einschaltquoten und das eigene Image wichtig sind. Werte spielen da keine Rolle mehr. Das beliebte Format Das Sommerhaus der Stars ist eine einzige Schreitirade geworden, in der Gewaltandrohungen, übelste Beleidigungen und grenzüberschreitendes Verhalten auf der Tagesordnung stehen. Auch Temptation Island  schockt kaum noch.

Eine Staffel wird als langweilig empfunden, wenn alle Paare nach der Show zusammenbleiben und niemand Grenzen überschritten hat. Problematisch ist vor allem, wenn dem Publikum suggeriert wird, das alles sei völlig normal. Das führt dazu, dass dieses abgehärtet und kaum noch zu schocken ist. Dies wiederum veranlasst Reality TV dazu, noch mehr Grenzen zu überschreiten, um überhaupt noch Reaktionen zu provozieren. Ein Teufelskreis. Authentizität und Respekt finden darin kaum noch Platz und auch die Unterhaltung ist auf der Strecke geblieben. Und die Kandidaten und Kandidatinnen selbst? Sie gehen in Formate, um gezielt Reichweite abzustauben. Da werden gut und gerne Absprachen getätigt und künstliches Drama erzeugt. Denn das fast schon verbotene Wort „Sendezeit“ ist der Antrieb der meisten Reality-Sternchen. Dabei wird oft ein Shitstorm in Kauf genommen. 

Die Mitschuld des Publikums

An der Krise des Reality TV ist auch das Publikum beteiligt. Denn die Zuschauer und Zuschauerinnen sind es, die die Formate und Shows konsumieren und der Produktion somit das Signal geben, so weitermachen zu können. In einer zunehmend schnelllebigen Welt sehnen sich vermehrt Menschen nach Formaten, bei denen sie einfach den Kopf ausschalten können. Trotz Unzufriedenheit über die Entwicklung der Shows, schalten viele nicht ab. Aus Gewohnheit, aus Faulheit oder weil diese Formate den Alltag ausblenden und gleichzeitig das Gefühl vermitteln, selbst reflektierter und „normaler“ zu sein. Was sagt das über die Gesellschaft aus?

Der Ausweg

Die Situation, in der sich Reality TV befindet, ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Dem Format stehen drei Möglichkeiten offen, um sich aus der Krise zu befreien. Die erste, zugleich moralische Option: Gewalt, Beleidigungen, Grenzüberschreitungen und Absprachen konsequent aus den Formaten streichen und stattdessen authentische Unterhaltung in den Mittelpunkt rücken. Die zweite, radikale Option würde vorsehen, Reality TV komplett abzusetzen. Die dritte kompromisshafte Variante würde bedeuten, neue Formate zu entwickeln, mit dem Risiko, nach einigen Staffeln wieder in das gleiche Muster zu verfallen. Setzt Reality TV auf die naive Option, alles beim Alten zu belassen, schaufelt sich das Genre ein immer tieferes Loch und versinkt früher oder später in der Bedeutungslosigkeit. Dann wird die Bezeichnung Trash TV immer mehr zur Realität. 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes „Die Paris-Lodron-Universität Salzburg macht Journalismus“.
Es ist ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch dm drogerie markt und Salzburg AG.

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