
Stephan und Thorsten Auer-Stüger sind seit 13 Jahren verheiratet und leben in einer Eigentumswohnung nahe der Alten Donau im 21. Wiener Gemeindebezirk. Stephan ist 46 Jahre alt und arbeitet im öffentlichen Dienst bei der Stadt Wien. Seit Kurzem ist er auch Mitglied des Bundesrats. Sein Ehemann Thorsten ist bei einem Reiseveranstalter tätig. Seit 2011 leben sie als Familie mit zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen, für die sie als Pflegeeltern verantwortlich sind. Die beiden Kinder sind heute im Teenageralter und brauchen weiterhin viel Zuwendung und Unterstützung. „Wir haben ein sehr intensives Familienleben“, erzählt Stephan. „Wir verbringen auch viel schöne Zeit miteinander, machen Ausflüge, reden viel.“ Alltag also, nur in einer Konstellation, die für viele noch erklärungsbedürftig scheint, für die Familie Auer-Stüger jedoch selbstverständlich ist.
Pflegeeltern wurden die beiden nicht aus einem spontanen Impuls heraus. Sie haben sich bewusst dazu entschieden, Kinder aufzunehmen, die nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können. Dies geschah im Auftrag des Kinder- und Jugendhilfsdienstes der Stadt Wien. Anders als bei einer Adoption verbleiben bestimmte Rechte weiterhin beim Jugendamt und den leiblichen Eltern. Die überwiegenden Entscheidungen jedoch liegen bei den Pflegeeltern.
„Natürlich spielen weibliche Bezugspersonen eine Rolle“, sagt Stephan. Auch wenn in ihrer Familie zwei Männer die Eltern sind, sind Frauen im Leben ihrer Kinder selbstverständlich präsent und wichtig. Die Großmutter und Tante sind feste Konstanten, ebenso Freundinnen der Familie mit Kindern, zu denen ein enger, liebevoller Kontakt besteht. Auch zur leiblichen Mutter gibt es weiterhin Kontakt. Er ist nicht immer einfach, aber von beiden Seiten gewollt und für die Kinder von Bedeutung.
Besonders die Tochter hat früh begonnen, Fragen zu stellen. Bereits mit fünf Jahren wollte sie mehr über die Rolle ihres leiblichen Vaters wissen. „Die Therapeutin hat uns damals empfohlen, unsere Tochter altersgerecht aufzuklären und ihr die Rolle des Vaters bei ihrer Zeugung verständlich zu machen.“ Das haben Stephan und Thorsten auch getan,mithilfe eines Bilderbuchs, das offen über Herkunft, Familienformen und Zeugung spricht. Danach war das Thema vorerst abgeschlossen. Inzwischen ist es leichter geworden, mit den heranwachsenden Kindern über diese Themen zu sprechen. Gespräche über Familie, Herkunft, Körper und Identität gehören zum Alltag. Beide Kinder werden altersgerecht über die Veränderungen des Körpers und über Verhütung informiert. Mit der Tochter sprechen sie zusätzlich über Themen wie die Periode oder den ersten Besuch bei der Frauenärztin. „Manchmal wird es zu viel für sie oder ihr ist es unangenehm“, erzählt Stephan. „Dann machen wir eine Pause und lassen es sacken.“ Ziel sei es, Selbstsicherheit zu vermitteln, ein gutes Gefühl für den eigenen Körper zu fördern, das Recht „Nein“ zu sagen zu betonen und die Offenheit, alles fragen zu dürfen. Die beiden empfehlen allen altersgerecht, aber trotzdem aktiv und ohne falsche Hemmungen darüber zu sprechen.
„Wir sind eine ganz normale Familie, ohne Glamour und Besonderheiten.“ Trotzdem gibt es besondere Herausforderungen. Nicht, weil sie sich anders verhalten würden, sondern weil die Gesellschaft sie häufig als „anders“ wahrnimmt. Ein Vorfall in der Volksschule hat das besonders deutlich gemacht. Die Tochter, damals noch klein, wurde über mehrere Wochen hinweg immer stiller und verschlossener. Stephan und Thorsten merkten, dass sie etwas beschäftigte, doch sie sprach lange nicht darüber. Erst nach einiger Zeit vertraute sie sich ihnen an: Sie hatte es satt, ständig gefragt zu werden, warum sie keine Mutter habe und bei zwei Männern lebe. Die beiden wandten sich an die Klassenlehrerin. Kurz darauf hielt diese in der Klasse einen Mini-Workshop ab, bei dem alle Kinder eingeladen wurden, ihre Familiensituation zu Hause zu schildern. Dabei zeigte sich: Es gibt viele verschiedene Familienformen wie Patchwork-Familien, Alleinerziehende Eltern, Großelternfamilien, Geschwisterkonstellationen aller Art. Für ihre Tochter war das ein Wendepunkt. Die Unsicherheit verschwand. Solche Momente helfen, ein Bewusstsein für Vielfalt zu schaffen und Kindern das Gefühl zu geben, dazuzugehören.
Nicht alles dreht sich nur um Erziehung und Alltag. Queer zu leben und Kinder großzuziehen ist für viele auch ein politisches Statement, spätestens dann, wenn die eigene Familie zum Gegenstand öffentlicher Debatten wird. „Wir versuchen, ruhig zu bleiben, aber wir halten inhaltlich dagegen. Wir fühlen uns dann auch persönlich angegriffen.“ Die Auer-Stügers sehen sich als ganz normale Familie und lassen sich das nicht absprechen. Gesellschaftliche Entwicklungen wie der Rechtsruck, der queere Lebensformen offen ablehnt, machen ihnen Sorgen. Auch wenn sie in ihrem direkten Umfeld kaum Diskriminierung erleben, sind sie wachsam. Sie sprechen offen mit ihren Kindern über solche Entwicklungen. Das nicht, um Angst zu machen, sondern um ihnen Sicherheit zu geben. „Damit sie wissen, dass sie sich auf uns verlassen können.“
Familie Auer-Stüger lebt kein Modell, sondern Realität. Für Stephan und Thorsten bedeutet Elternschaft vor allem eines: Verantwortung übernehmen. Tag für Tag, mit Geduld, Offenheit und der Bereitschaft, auch unbequeme Gespräche zu führen. Sie wissen, dass ihre Familienform politisch gemacht wird. Sie wissen auch, dass ihre Kinder damit konfrontiert werden können. Doch statt sich zu verstecken, setzen sie auf Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit.
Nicht um zu provozieren, sondern um ihren Kindern zu zeigen, dass sie in ihrer Familie genau richtig sind. Dass Liebe, Fürsorge und Vertrauen keine Frage der Konstellation sind. Sondern des Zusammenhalts.
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