
Das Kollektiv Signa präsentiert im Rahmen der Wiener Festwochen 2025 ihre neue Simulation „Das letzte Jahr“. Die Simulation findet im Wiener Funkhaus statt, ein verschachteltes Gebäude, in dem duzende Zimmer detailgetreu, wie jene eines Altersheims eingerichtet sind. Bis hin zum muffigen Geruch spult Signa zum eigenen Lebensende vor.
Sechs Stunden verbringe ich nun in einem Zustand der Gebrechlichkeit. Um dorthin zu gelangen, hypnotisieren mich Videos und Zusprüche wie: „Du wirst jetzt ganz schwer. Deine Knochen tun weh. Du bist in deinem letzten Jahr“. Es funktioniert: Auch junge Zuschauer, vom Team eingekleidet, humpeln fortan durch die Gegend, und scheinen tatsächlich Hilfe beim Hinsetzen und Aufstehen zu benötigen.
Die sechs Stunden fühlen sich an wie mehrere Wochen. Die Teilnehmer sprechen über verstorbene Angehörige, Tränen fließen, ich singe im Chor. Ich spiele Flöte, um die Zeit zu vertreiben, reinige Gebisse und von uns Patienten genutzte Gläser. Manchmal sitze ich nur in unangenehmer Stille, versuche vergebens mich mit meinen lethargischen Kollegen zu unterhalten. Aber mir fällt kein Gesprächsstoff ein. Reden ist sowieso zu anstrengend. Die Gruppe macht langsame Gelenkübungen, eine Patientin singt leise vor sich hin.
Mein erwachsener „Sohn“ kommt mich nach einigen Stunden besuchen. Da ich laut Krankenakte dement bin, ergibt es Sinn, dass ich mich nicht an ihn erinnere. Er wirkt wie aus einer anderen Welt. Meine Welt scheint sich auf diese Räume zu beschränken. Was draußen passiert, geht mich nichts mehr an. Überwältigt von der langanhaltenden Situation gebe ich mich ganz meiner Lethargie hin. Ich kann nicht raus, kann mich nicht frei bewegen, habe keinerlei Handlungsmacht mehr. Wir dürfen nur machen, was uns unsere Pfleger sagen.
Durch die Lethargie, die sich in mir breit macht, verliere ich jedes Bedürfnis mich zu bewegen, das Gebäude zu verlassen, oder mich zu unterhalten. Ich freue mich, wenn ich sitzen kann. Ich freue mich über jede eintönige Aktivität, die ich gemeinsam mit den anderen Patienten erleben darf. Manchmal kriege ich ein Kräuterbonbon. Ich muss nichts tun, habe keine Verantwortung mehr, kann einfach nur existieren, in Gesellschaft der anderen. Nach sechs Stunden sind wir so erschöpft, dass uns nichts mehr wirklich berührt. Die Simulation endet mit dem Tod aller Teilnehmer, den ich erleichtert begrüße.
Es ist erschreckend einfach, sich in mein pflegebedürftiges Ich hineinzuversetzen. Und es ist erschreckend schwer, nach sechs Stunden ins echte Leben zurückzukehren. Ich sehe junge Erwachsene, die gebückt das Funkhaus verlassen. Ihre körperlichen Beschwerden halten anscheinend an. Auch ich gehe wie in Trance nach Hause, schlafe erschöpft in der Küche ein. Fühlt sich so alt sein an? Tage geprägt von Lethargie und Lustlosigkeit?
Am nächsten Tag ist die Sonne ungewöhnlich hell. Ich bin überrascht, in meinem Bett aufzuwachen, und nicht im Altersheim. Ich bin wieder jung, Mitte zwanzig, ich habe mein ganzes Leben noch vor mir. Es ist ein seltsames Gefühl. Als wäre ich in die Zukunft gereist, und hätte nun noch einmal eine zweite Chance bekommen.
Schwungvoll stehe ich auf. Die körperliche Schwäche von gestern Abend ist vergessen. Stattdessen breitet sich ein Tag voller Freiheiten vor mir aus: Ich kann das Zimmer verlassen, die Sonne genießen, ich besuche ein Uni-Seminar und treffe mich abends mit Freunden. Wie schön es doch ist, jung zu sein. Wie frei ich mich doch fühle, wie unendlich.
Dennoch: Ein Teil von mir ist noch in diesem Altersheim. Ich vermisse meine neugewonnenen Freunde. Denn das Schönste des Stücks war der Zusammenhalt, die Gemeinschaft. Ja, wir haben geweint und getrauert. Aber immer gemeinsam. Wir haben uns gegenseitig gestützt, geholfen und getröstet. Der Körper war schwer, aber das war er bei allen. Als ich in der Simulation sterbe, hält eine Teilnehmerin meine Hand. Und ich merke: Solange ich nicht allein bin, ist auch das letzte Lebensjahr nicht so schlimm.
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