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Tattoos: Tiefe Bedeutung oder Trend-Statement?

Tattoos gelten als das moderne Tagebuch, das nicht mehr versteckt, sondern stolz auf dem Unterarm zur Schau gestellt wird. Viele behaupten, sie seien für sich selbst, doch der Schmerz, die Tinte und die monatelange Heilung lassen Zweifel aufkommen: Erwartet man nicht auch ein wenig Anerkennung von außen?
Patricia Schock  •  10. Juli 2025 Volontärin    Sterne  296
Tattoos vermitteln Grupenzugehörigkeit: Geht es um Ästhetik oder Bedeutung? (Foto: picturedesk)
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Tattoos sind das neue Tagebuch, sagen manche. Nur wird es nicht mehr unter dem Kopfkissen versteckt, sondern auf dem Unterarm jedem präsentiert. Angeblich für sich selbst. Aber wer ernsthaft glaubt, Menschen setzen sich freiwillig Schmerz, Tinte und monatelanger Heilung aus, ohne wenigstens einen flüchtigen Applaus von außen zu erwarten, glaubt vermutlich auch, Influencer würden sich rein zufällig beim Aufstehen perfekt ausleuchten.

Trend-Tattoos: Ein Widerspruch in sich

Tätowieren ist längst keine Rebellion mehr. Es ist ein Lifestyle, eine Industrie, ein Instagram-Accessoire. Früher war ein Tattoo ein Statement, heute ist es eine Story. Ein Trend-Tattoo ist der ultimative Widerspruch: eine temporäre Modeentscheidung mit permanentem Körpereintrag. Das ist, als würde man sich einen neuen Namen auf den Hals kleben und glauben, das sei Identität.

Was viele nicht zugeben wollen: Tattoos sind häufig keine Erinnerung, sondern Projektion. Ein Anker auf dem Fuß ist kein Beweis für Tiefgang. Ein Phönix auf dem Rücken macht dich nicht automatisch zur Comeback-Queen. Und drei kleine Sternchen hinterm Ohr haben noch niemanden wirklich besonders gemacht. Sie schreien eher: „Ich wollte wild sein, aber bitte trotzdem familienfreundlich.“

Tattoo-Clans

Doch es geht längst nicht nur ums Motiv, sondern um Zugehörigkeit. Tattoos schaffen ein Gruppen- und Zugehörigkeitsgefühl. Die Szene erkennt sich an der Nadel: Ob es der cleaner-than-clean tätowierte Barista mit minimalistischen Patches ist, die muskulöse Fitness-Influencerin mit Mandalas auf dem Oberschenkel oder der bärtige Mann mit Vintage-Bike und Totenkopf auf dem Unterarm. Jedes Tattoo sagt: „Ich bin einer von denen.“ Wer sich tätowiert, sucht nicht nur Ausdruck, sondern Anschluss. 

Erst das Tattoo, später die Bedeutung

Noch ein Phänomen: Erst ein Tattoo stechen lassen und hinterher eine tiefere Bedeutung zusammenbasteln. Das berühmte einlinige Wellen-Tattoo als Beispiel: Eine simple Linie, ein kleiner Hügel, ein bisschen Ozeanromantik in der Armbeuge, an der Ferse oder auf den Rippen. Plötzlich tragen es alle. Und jeder „Weltenbummler“ behauptet dann, es symbolisiere die Liebe zur Freiheit, zum Wasser, zur inneren Tiefe. Dabei symbolisiert es vor allem eines: das Googlen des „minimalist wave tattoos“ auf Pinterest. 

Aufgemalte Selbstinszenierung

Die Frage ist nicht: „Warum hast du dir das stechen lassen?“ Sondern: „Wem willst du etwas mitteilen und was?“. Tätowierungen sollen heute Individualität markieren. Doch was entsteht, wenn Millionen Menschen sich gleichzeitig durch Nadel und Tinte „besonders“ fühlen wollen? Eine Armee von Gleich-Unterschiedlichen, die sich im Spiegel ihrer Tattoos selbst performen.

Wer sich also „nur für sich“ tätowiert, sollte sich auch mal ehrlich fragen, warum der eigene Selbstwert ein Abziehbild braucht. Vielleicht ist es doch nicht nur Haut, sondern auch eine ziemlich dünne Schicht Identität.


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