Seit 2013 findet im kleinen dänischen Küstenort Mommark ein Wettbewerb statt, der skurriler kaum sein könnte. Vier Menschen, in diesem Jahr vier Männer aus Dänemark, sitzen jeweils auf einem schmalen Holzpfahl im Hafenbecken. Jedes Jahr zum Hafenfest des kleinen dänischen Dörfchens Mommark findet der Wettbewerb statt, bei dem die Teilnehmer 72 Stunden lang den hölzernen Sitzplatz nicht verlassen dürfen. Wer durchhält, gewinnt. Campus a war vor Ort, um das außergewöhnliche Event und ihre Teilnehmer kennenzulernen.
Geduldig wartend auf das Ende der 72 Stunden starren sie von ihren Pfählen aus in Richtung Hafen. Die Zuschauer starren zurück. Wer ins Wasser fällt, scheidet aus. Wer bleibt, hat eine Chance auf das Preisgeld: 20.000 dänische Kronen, umgerechnet etwa 3.000 Euro.
Dank einer kurzen Bootstour kommen wir hautnah an die diesjährigen Teilnehmer heran und erfahren aus erster Quelle, welche Gedanken, Erkenntnisse und Leiden auf dem hölzernen Sitz aufkommen.
Die Regeln sind simpel und gnadenlos. Die Teilnehmer verbringen ganze drei Tage und Nächte auf ihrem Pfahl. Sie schlafen dort, essen dort, harren aus. Den einzigen Schutz vor Regen dient ein kleiner Schirm. Die Verpflegung liefern Boote vom nahegelegenen Hafenrestaurant. Jeder darf sich Essen und Getränke bestellen, wann immer er will.
Zweimal täglich dürfen die Männer für jeweils 15 Minuten an Land, zum Toilettengang. Ein Sanitäter-Team ist rund um die Uhr im Einsatz, um im Notfall sofort eingreifen zu können. Krämpfe, Unterkühlung oder ein Sturz ins Wasser können gefährlich werden. Festbinden an dem Pfahl dürfen sie sich nicht.
Die Sanitäter stehen rund um die Uhr für die Teilnehmer bereit (Foto: Patricia Schock)
Hafenmeister Carsten Kock organisiert sowohl das Hafenfest als auch den Wettbewerb. Er bringt die Teilnehmer mit einem Boot zu ihren Pfählen, bringt ihnen Verpflegung und holt sie nach Ablauf der 72 Stunden wieder ab, sofern sie durchhalten. Die Idee bekam Kock von einem bereits im dänischen Juelsminde ausgetragenen Event. Erste Wettbewerbe gab es bereits 1997 im norddeutschen Heidepark Soltau, wo sie bis 2003 stattfanden.
Kock ist für die Logistik verantwortlich sowie für die Sicherheit der Teilnehmer. „In den vergangenen Jahren saßen Männer und Frauen aller Berufe auf den Pfählen. 2024 war ein Smoking-Verkäufer dabei, der sich aus Marketing-Zwecken in einem schicken schwarzen Anzug auf den Pfahl gesetzt hat.“
Jeder Teilnehmer darf eine Tasche mit auf den Pfahl nehmen, mit allem, was sie für die drei Tage braucht: warme Kleidung, Hygieneartikel, Schlafsäcke. Ein Buch, Sodoku und Kreuzworträtsel helfen gegen die Langeweile. Auch Handys sind erlaubt. Streaming, Musik, Social Media, gegen Entertainment gibt es keine Einwände. Nur zwei Dinge sind tabu: das Wasser unter ihnen. Wer fällt, hat verloren.
Hilfe von außen ist ebenfalls untersagt. Der 32-jährige Teilnehmer Kevin Esbjerg aus Sønderborg beispielsweise klagt über kalte Hände. Er hat seine Handschuhe vergessen, doch seine Familie und Freunde dürfen ihm, außer Unterhaltung, keine Hilfsmittel bieten. „Am schlimmsten sind die Schmerzen im Po“ klagt der Ingenieur nach 26 Stunden auf dem Pfahl. „Die Nacht war anstrengend, ich habe zehn Minuten geschlafen. Aber es ist ein gemeinsames Leid, da keiner schlafen kann. Und der Sternenhimmel war unglaublich!“
Obwohl nur vier Plätze verfügbar sind, bewerben sich jedes Jahr rund 500 Menschen. Das Auswahlverfahren ist streng. Die Veranstalter wollen keine Verzweifelten, die nur auf das Preisgeld schielen. Sie suchen Persönlichkeiten mit Ausdauer, Humor und einem gewissen Maß an Abenteuerlust.
Die Bewohner des Dorfes kennen und leben das jährliche Event, kommen nur dafür nach Mommark. Sie genießen die Musik, tanzen dazu und probieren den frisch gefangenen Fisch, den der Hafenmeister Carsten nebenher grillt und bereitstellt. Die Blicke gehen immer wieder zu den stillsitzenden Jungs, die Stimmung unter ihnen wirkt harmonisch und ausgelassen. Das Publikum philosophiert untereinander, woran sie scheitern würden. Kälte, Regen, Schlafmangel?
Hafenmeister Carsten ist erstaunt über die hohe Besucherzahl in jedem Jahr. „Die Teilnehmer machen ja nichts. Sie tanzen nicht, sie singen nicht. Keine Art von Entertainment. Trotzdem fühlt sich das Publikum unterhalten.“
Der jüngste Mitbewerber unter ihnen ist Sander Lemming. Der 23-Jährige ist nach der zweiten Nacht besser gelaunt als nach der ersten. Er habe besser geschlafen, hat eine Sitzposition gefunden, in der zumindest drei Stunden Schlaf möglich waren. „Ich habe mir vorgestellt, ich sei eine Kartoffel. Damit habe ich eine passende Position zum Schlafen gefunden. Schlafen ist wichtig, es lässt dich gewinnen oder scheitern.“
Nach mehr als 48 Stunden wissen sie, worauf sie sich eingelassen haben. Kälte, Nässe, taube Beine, Rückenschmerzen, wenig Schlaf und vor allem: Zeit, die nicht vorüber gehen möchte. „Am wichtigsten sind Familie, Freunde und Menschen, die sich vom Ufer aus mit ihren „Athleten“ unterhalten. „Dann geht die Zeit schneller vorbei.“ Sagt Sander. Seine Mutter und Freunde kommen im ein bis zwei-Stunden Takt vorbei, um nach ihm zu schauen. Um ihn zu unterstützen.
Den größten Respekt haben die Männer vor der dritten und letzten Nacht, berichtet Sander. Aus den Erzählungen der vergangenen Jahre hätten sie erfahren, Halluzinationen können nach drei fast schlaflosen Nächten aufkommen. Darüber hinaus habe er auch meditative Gedanken wahrgenommen. „Hier auf dem Pfahl habe ich keine Aufgabe. Nur dasitzen und warten. Ich beobachte die Wellen, die Menschen. Ich denke nach. Das hat etwas sehr Beruhigendes.“
Trotz der skurrilen und von außen betrachtet humorvollen Erfahrung ist für die diesjährigen Teilnehmer sicher: Das Event bleibt einmalig. „Meine Freunde haben mich hier angemeldet, als Challenge. Aber noch einmal würde ich das definitiv nicht machen“, sagt Kevin abschließend.
Hafenmeister Carsten Kock ist sehr zufrieden mit dem Hafenfest in diesem Jahr. Mit einer hohen Besucherzahl, warmen Wetter und guter Stimmung bei Live-Musik haben alle vier Teilnehmer die 72 Stunden überstanden. Somit teilen sich die vier Gewinner das Preisgeld on 20.000 dänischen Kronen, das regionale Unternehmen sponsern, untereinander auf. Auch das freiwillige Trinkgeld der Zuschauer verteilt sich gerecht auf die vier Männer. Die Bewerbungen für das Jahr 2026 sind bereits offen.
Nach den überstandenen 72 Stunden sprangen alle vier Männer von ihren Pfählen ins Wasser. Unter Applaus der Zuschauer freuten sie sich über ihr wohlverdientes Preisgeld, sowie über eine Portion Schlaf und eventuell einen Besuch beim Physiotherapeuten.
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