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Schutzfolien abziehen: Warum es so glücklich macht

Das Abziehen der Schutzfolie von einem neuen Smartphone hat online eine unerwartete Fangemeinde begeistert. Was steckt hinter der intensiven Zufriedenheit, die dieses einfache Ritual bei vielen auslöst?
Emma Sehic  •  13. August 2025 Volontärin    Sterne  122
Archaische Instinkte? Forscher können über die Faszination von Schutzfolien bisher nur Vermutungen anstellen. (Foto: Shutterstock)
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Die Youtuberin hinter der Kamera zoomt heran. Langsam löst sie die hauchdünne Plastikschicht vom Display eines neuen Handys, das Mikrofon fängt die entstehenden feinen Geräusche ein. Millionen Klicks, zehntausende Kommentare bekommt das Video. “So befriedigend!“, da sind sich alle einig. 

Eine Hype aus dem Alltag 

User auf TikTokYouTube und in Reddit-Foren teilen diesen Moment immer wieder: Das Abziehen der Schutzfolie von einem neuen elektronischen Gerät. Ein Reddit-Nutzer schreibt dazu: „Ich lasse die Folie manchmal absichtlich länger drauf, nicht zum Schutz, sondern weil ich mich auf den Moment freue, sie irgendwann abzuziehen.“ Selbst Unternehmen haben den Reiz des Vorganges erkannt und inszenieren das Abziehen in Werbespots für neue Displays und Technikprodukten als Mini-Moment des Glücks.

Das Phänomen ASMR

Das Abziehen einer Schutzfolie erfüllt viele typische Merkmale von ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response). Der in den Sozialen Medien allgegenwärtige Begriff bezeichnet ein angenehm kribbelndes, meist entspannendes Gefühl, das bei manchen Menschen durch sanfte akustische oder visuelle Reize entsteht. Reize, die Millionen User suchen, um zu entspannen oder einzuschlafen. 

Das beim Abziehen von Folien entstehende Geräusch kann ähnlich beruhigend wirken wie das in der ASMR-Welt ebenfalls beliebte Flüstern oder leise Tippen. Dazu kommt der visuelle Reiz, wenn sich eine matte Oberfläche in ein glänzendes Display verwandelt. 

Die Begeisterung so vieler Menschen dafür scheint naheliegende Gründe zu haben. Das Abziehen der Folie  befriedigt das Bedürfnis nach Vollendung und Ordnung, weil dabei eine sichtbare Verwandlung von „neu, aber verhüllt“ zu „perfekt und frei“ stattfindet. Gleichzeitig löst der klare, glatte Endzustand ein Gefühl von Kontrolle und Sauberkeit aus. Das stimuliert das Belohnungssystem im Gehirn. Dazu kommen sanfte, beruhigende Geräusche.

Mit Studien belegt ist das noch nicht, weshalb ASMR-Experte Albert Stickler vor einfachen Erklärungen warnt. Ausschließen kann der Wissenschaftler nur eine einheitliche Wirkung von ASMR-Phänomenen auf alle Menschen. „Es kommt auf den Auslöser an“, sagt er. „Je nachdem reagieren manche Menschen stark und andere gar nicht. Manche fühlen sich bei bestimmten Auslösern sogar unwohl.“ 

Selbst darüber, ob der Vorgang überhaupt der ASMR-Welt zuordenbar ist, bestehen Zweifel. Schließlich geht es nicht um Entspannen und Einschlafen, sondern eher um einen Kick der Freude und des Glücks, der Energie eher gibt als beruhigt.

Zwischen Forschung und Alltagsglück

Gut möglich, dass bei der Begeisterung für das Abziehen von Schutzfolien auch basale menschliche Instinkte wirken, meint die Salzburger Psychologin Sabine Schneider. „Wir enthüllen damit etwas als Erste, niemand nach uns kann das bei dem gleichen Gerät noch einmal tun. Das hat etwas Archaisches, das mit `In Besitz nehmen` zu tun hat. Wenn das Ganze dann auch noch optisch und akustische angenehme Begleiterscheinungen hat, kann das sehr wohl eine unerklärliche Befriedigung auslösen.“ 

Auch Schneider betont allerdings, dass es sich nur um Vermutungen handelt. „Als ich entdeckte, dass mein neuer Wecker eine Schutzfolie am Display hatte, hat das jedenfalls auch mich gefreut“, lächelt sie.


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