Wien | Gesundheit | Meinung | Chronik | Kultur | Umwelt | Wirtschaft | Politik | Panorama
InternationalFakten

Christfluencer: Zwischen Jesus Glow und harter Kritik

„Warum dich Sex vor der Ehe zerstört.“ „Weltweit landen 56 Millionen Babys in Mülleimern.“ Mit Sätzen wie diesen, gesprochen im Kontext religiöser Dogmen, erreicht die Influencerin Jasmin Neubauer auf Instagram Tausende Menschen. Immer mehr Online-Persönlichkeiten inszenieren, wie sie, ihren Glauben auf Social Media.
Sophie-Leonie Foidl-Widhalm  •  25. September 2025 Volontärin    Sterne  146
Amerikanische Christfluencer in Aktion: Manche freuen sich über die digitale Verbreitung christlicher Ideen, andere befürchten Radikalisierung. (Foto: Shutterstock)
X / Twitter Facebook WhatsApp LinkedIn Kopieren

Eine neue Gruppe von Influencern erobert die sozialen Medien, sogenannte „Christfluencer“, die ihre Moralvorstellungen mit ihrem Publikum teilen. Unter Hashtags wie #JesusGlow zeigen sie auf TikTok ihre Bekehrungsgeschichten. Manche feiern die wachsende Sichtbarkeit dieser Szene, andere hingegen warnen vor einer möglichen Radikalisierung.

Strahlen durch den Glauben

„So kannst du dein christliches Glow up bekommen.“ Mit diesen Worten leitet eine TikTokerin ihr Video ein. Sie zeigt ein altes Foto von sich auf dem sie blass und unsicher wirkt. Daneben ein Bild von ihr jetzt, sie strahlt. Diese Verwandlung gelang, so stellt sie es dar, durch ihren Glauben. Unter dem Hashtag #Jesusglow kursieren mehr als 24.000 solche Videos. Die Nachricht dahinter ist eindeutig. Wer sich zu Gott bekennt, strahlt nach außen.

„Narrative der Selbstoptimierung sind in sozialen Medien weit verbreitet, längst nicht nur unter christlichen Influencern. Solche Bilder können Druck erzeugen, gerade, wenn sie stark bearbeitet sind und unrealistische Schönheitsideale transportieren. Damit wird Religiosität auf äußere Erscheinung reduziert und wie eine messbare Leistung dargestellt. Das entspricht aber weder der Glaubensrealität vieler Menschen noch dem eigentlichen Potential von Religion“, ordnet Religionswissenschaftlerin Anna Neumaier den Trend ein.

Christfluencer zwischen Predigt und Politik

Doch manche Christfluencer belassen es nicht beim Strahlen. Sie predigen Moralvorstellungen und stehen damit oft in der Kontroverse.

„Eine der sieben Todsünden ist Pride.“ Unter dem Namen @liebezurbibel postet Jasmin Neubauer ihre Werte und steht mit solchen Aussagen regelmäßig in der Kritik. In anderen Posts spricht sie sich gegen Abtreibung aus oder warnt: „Warum Sex vor der Ehe dich zerstört.“

 Kritik bekommt Neubauer auch für ihre politische Nähe. In Posts listet sie Punkte auf, die „bibeltreue Christen“ bei Wahlen beachten sollten, mit Fokus auf Abtreibung und einem klassischen Familienbild. Offiziell äußert sie sich nicht zu ihrer politischen Einstellung. Doch ihr Netzwerk verweist auf Kontakte zu rechten Akteuren wie Leonard Jäger, in den sozialen Medien ist er bekannt unter dem Namen „Ketzer der Neuzeit“. Auf Instagram folgen ihm über 300.000 Menschen, auf YouTube fast 600.000. „Ich bin Leo, ich bin Christ und ich mach mein Ding“, schreibt er in seiner Kanalbeschreibung. In einem YouTube-Video ist zu sehen, wie er Donald Trump die Hand schüttelt. 

Auf einem Parteitag interviewte er Alice Weidel. Jäger versicherte ihr die Unterstützung zahlreicher Christen und lud sie zu einem Gespräch mit Neubauer ein. Weidel stimmte zu. Jäger beendete das Gespräch mit den Worten: „Gottes Segen, und ich drück die Daumen, dass das was wird mit der Wahl, das muss was werden.“ 

Jäger posiert regelmäßig in seinem eigenen Merch mit dem Slogan „God created them male and female“, den er für 85 Euro verkauft. Auch Neubauer betreibt einen Online-Shop, in dem unter anderem die „LIEBEZURBIBEL Schreibrandbibel“ für rund 90 Euro angeboten wird.

Freikirchen und ihre Bühne

Viele Christfluencer sind Teil einer Freikirche. Neubauer rät: „Google Freikirchen in deiner Nähe und besuche jeden Sonntag eine andere Gemeinde.“ Freikirchen unterscheiden sich von den Landeskirchen. Sie finanzieren sich durch Spenden statt Kirchensteuer und setzen auf moderne Gottesdienste mit Bands und Lichtshows. Durch ihre Präsenz in den sozialen Medien ziehen sie auch ein junges Publikum in den sozialen Medien an.

Ein bekanntes Beispiel für eine moderne Freikirche ist das International Christian Fellowship (ICF). Beim ICF in Deutschland treten Influencer wie Lisa Mantler oder Millane Friesen mit 1,5 Millionen Followern auf.

Freikirchen werden immer wieder als streng beschrieben, mit klaren Regeln und teils kontrollierenden Strukturen. Die 30-jährige Instagram-Userin Daniela-Marlin Jakobi erzählt von ihrem Ausstieg nach elf Jahren in einer solchen Gemeinde. Sie berichtet, wie sie zunehmend radikalisiert wurde, sich gegen Homosexualität und Abtreibung positionierte. Als sie begann, öffentlich zu zweifeln, zensierte die Gemeinde ihre Beiträge und stellte sie vor die Wahl, entweder an weiteren Gesprächen teilzunehmen oder die Gemeinde zu verlassen. 2022 entschied sie sich für den Ausstieg. Heute bezeichnet sich Jakobi als Feministin, leistet Aufklärungsarbeit und bietet Beratung gegen Radikalisierung an. 

Andere Stimmen im Netz

 Nicht alle Christfluencer predigen konservative Werte. Pfarrer Tim Lahr aus Köln gründet dort eine queere evangelische Kirche und erreicht mit @amen_aber_sexy rund 60.000 Follower. „Mein Glaube trägt mich, weil er mir zeigt: Gott ist Liebe. Und Liebe bedeutet, den Nächsten nicht kleinzumachen, sondern groß werden zu lassen“, schreibt Lahr unter einen Instagram-Post.

Auch internationale Accounts wie @father_david_michael zeigen eine fröhlichere Seite. Der texanische Priester teilt humorvolle Reels mit 1,2 Millionen Followern.

„Grundsätzlich ist es gut, wenn Christinnen und Christen auch im Netz authentisch ihren Glauben leben und ihre Meinung zu ethischen Themen äußern. Schwierig wird es jedoch, wenn jemand mit Angst arbeitet, anderen vorschreibt, wie sie zu leben haben, oder Abhängigkeiten schafft, etwa durch Geld. Das ist abzulehnen, nicht nur in der Religion, sondern bei jeder Form von Extremismus. Wenn rechtsextreme Positionen vertreten werden, erstatten wir Anzeige. Auch eine Instrumentalisierung von Religion für politische oder nationalistische Zwecke ist problematisch“, betont Gabriele Eder-Cakl, Direktorin des Österreichischen Pastoralinstituts.


campus a-Preis für Nachwuchsjournalismus

Werde Teil der campus a-Redaktion!

Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.

Empfehlungen für dich

Kommentar
0/1000 Zeichen
Advertisement