Bereits im Jahr 2024 schrieb Faustino Oro Schachgeschichte. Der Sieg beim Turnier der Legenden und Talente in Madrid brachte dem damals 11-Jährigen eine erste GM-Norm ein, eine der erforderlichen Bestleistungen auf dem Weg zum Großmeister-Titel. Mit diesem Erfolg durchbrach er zudem als jüngster Spieler aller Zeiten die magische Elo-2500-Marke, die als die Schwelle zur absoluten Weltspitze im Schach gilt. Diese frühen Triumphe lassen nun die Frage aufkommen, ob der junge Argentinier schon bald als jüngster Großmeister aller Zeiten in die Schachgeschichte eingehen könnte.
Sein Weg begann in der Isolation der Pandemie. 2020 suchten Alejandro Oro und Romina Simondi dringend eine Beschäftigung für ihren sechsjährigen Sohn, um ihn vom Ballspielen in den eigenen vier Wänden abzuhalten. Die Lösung fand sein Vater auf der Online-Schachplattform Chess.com. Was als simpler Zeitvertreib begann, wurde zur Lebensaufgabe. Schon nach einem Jahr wies ihm die FIDE, der Weltschachverband, der die Spielstärke mit einer Wertungszahl misst, eine erste Ratingzahl von 2000 zu. Ein Niveau, das ihn sofort unter den starken Vereinsspielern positionierte. Mit sieben analysierte er komplexe Endspiele, mit acht spielte er Simultanschach gegen Erwachsene, mit neun besiegte er erfahrene Turnierprofis. In seiner Heimat Argentinien vergleichen ihn die Medien inzwischen mit Superstar Lionel Messi, was ihm den Spitznamen „Messi des Schachs“ eingebracht hat.
Bereits im März 2024 erlangte er weltweite Aufmerksamkeit, als er Magnus Carlsen in einer spektakulären Bullet-Partie besiegte, der schnellsten Schachdisziplin, in der jeder Spieler oft nur eine Minute Bedenkzeit für die gesamte Partie hat. Seither mischt der Junge aus Argentinien die Weltspitze im Blitz- und Bulletschach regelmäßig auf und fordert etablierte Größen wie den amerikanischen Schachgroßmeister Hikaru Nakamura heraus. Diese jüngsten Erfolge gegen die Weltelite sind kein Zufall, sondern das Ergebnis eiserner Disziplin. Faustino Oro trainiert täglich mehrere Stunden, arbeitet mit einem Team von fünf Trainern und analysiert regelmäßig seine Partien im Livestream.
Sein Vater, Alejandro Oro, erinnert sich gut an seine eigene Zeit am Schachbrett. Auch er war früher Online-Spieler. Seine eigene Schachgeschichte begann auf der Plattform Internet Chess Club (ICC), lange bevor es Chess.com gab. „Vielleicht liegt so etwas in den Genen“, zitiert die offizielle Website des Internet Chess Club (ICC) Alejandro Oro. „Wenn ich damals eine Partie gewann, rief ich ‚Solid!‘, das war mein Schlachtruf. Heute ruft Fausti ‚ratatata‘.“ Doch die Dimensionen sind unvergleichbar: „Ich kämpfte darum, auf ICC die Marke von 1.600 Punkten zu erreichen. Wer hätte gedacht, dass viele Jahre später mein Sohn auftauchen würde und mit zehn Jahren schon die Nummer eins auf einer neuen Plattform ist.“
Um diesen einzigartigen Weg zu unterstützen, zog die Familie 2024 nach Badalona in Spanien. Ein Sponsorenpool und der argentinische Schachverband finanzieren seither das intensive Training mit fünf Coaches.
Faustino Oros Vater betont jedoch stets, dass er und seine Frau ihrem Sohn keinen Druck machen. „Rekorde sind nicht wichtig. Es zählt nur, dass Fausti richtig stark wird, ohne den Spaß am Schach zu verlieren“, sagte er im Januar 2024 der FAZ.
Faustino Oro ist Teil einer Generation, die das Schachspiel neu definiert. Die Wurzeln dieses Booms liegen in der Pandemie: Plattformen wie Chess.com und Lichess machten das Spiel demokratischer, intensiver und schneller. Sie verwandelten Schach von einem Klubhobby in ein globales digitales Klassenzimmer, in dem Talente wie Faustino von Analyse-Engines, Datenbanken und Livestreams profitieren.
Derzeit hält Abhimanyu Mishra den Titel des jüngsten Großmeisters aller Zeiten, den er im Alter von 12 Jahren, 4 Monaten und 25 Tagen errang. Ihm folgt der jüngste aktuelle Titelträger, Andy Woodward, der im Januar 2024 im Alter von 13 Jahren seine letzte GM-Norm erfüllte. Faustino Oro könnte Mishras Rekord brechen, sobald er seine verbleibenden Normen erreicht. Seine bisherige Karriere legt nahe, dass dieses Ziel in Reichweite ist.
Doch Faustino ist nicht allein. Die digitale Ära bringt weltweit ähnliche Phänomene hervor. Da ist Gukesh Dommaraju, der mit 17 Jahren das Kandidatenturnier der FIDE gewann, das prestigeträchtigste Qualifikationsturnier, dessen Sieger das Recht hat, den amtierenden Schachweltmeister herauszufordern. Oder Ashwath Kaushik, der bereits mit acht Jahren als jüngster Spieler einen Großmeister besiegte. Und die neunjährige Bodhana Sivanandan, die nach Angaben des Guardian wohl die jüngste Person sein wird, die jemals England international vertreten hat.
Das Zentrum des Schachs hat sich verlagert. Von rauchigen Klubräumen in die digitale Sphäre. Faustino Oro und seine Generation sind die ersten, für die diese vernetzte Welt der absolute Normalfall ist.
Was Faustino Oro und andere junge Talente heute so früh so stark macht, ist eine neue Art des Lernens. Experten führen ihre Leistungen auf eine Kombination aus früh trainierter Mustererkennung gepaart mit einer außergewöhnlichen Konzentrationsfähigkeit zurück.
Doch Faustinos Weg ist unkonventionell. Während klassische Schachausbildung auf das Studium alter Meisterpartien setzt, basiert sein Training auf einer modernen Mischung. Stundenlange YouTube-Videos bilden neben professionellen Trainerstunden und hunderten von Praxispartien die Basis seiner Spielstärke. Bereits mit sechs Jahren erhielt er seine erste Lektion bei Internationalem Meister Jorge Rosito. Heute, mit elf Jahren, trainiert er etwa zwölf Stunden pro Woche mit verschiedenen Trainern, darunter mittlerweile auch Großmeister, und spielt bis zu 200 Partien wöchentlich.
Sein Trainer Ricardo Rosito bringt es auf den Punkt: „Ich muss Fausti nie zweimal etwas sagen. Er versteht in Sekunden, was andere tagelang üben.“ Diese schnelle Auffassungsgabe trifft auf ein bewusst geschütztes Umfeld. Seine Eltern achten konsequent darauf, keine Druckkulisse aufzubauen. “Er spielt immer noch Fußball, geht mit Freunden raus, schaut Fernsehen oder hört Musik im Radio”, betont Mutter Romina. Es gibt keine Turnierpflicht, nur reine Leidenschaft. Vielleicht ist das das eigentliche Geheimnis: Er spielt, weil er will, nicht weil er muss.
Bis zum 10. März 2026 hat Oro noch Zeit, um jüngster Großmeister der Geschichte zu werden. Aber selbst, wenn es nicht klappt, schlimm wäre das nicht. „Rekorde sind schön, aber sie vergehen“, sagt sein Vater. „Der Spaß bleibt.“
Am Ende zählt für Faustino Oro ohnehin nur eines: die Freude am Spiel.
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