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Justin Bieber und das Tief nach der Show

In seinem neuen Album SWAG II öffnet Justin Bieber das Fenster zu seinen inneren Konflikten und zeigt, wie eng Triumph und Einsamkeit im Showbusiness beieinanderliegen. Psychologin Sabine Schneider erklärt im Gespräch mit campus a, warum diese Post-Performance-Depression nicht nur Künstler, sondern auch Fans treffen kann und welche Strategien helfen, den Absturz abzuschwächen.
Lara Asmus  •  21. Oktober 2025 Volontärin    Sterne  66
Bieber packt aus, wie er mit mentalen Herausforderungen umgeht und gleichzeitig versucht, den Moment zu genießen. (Foto: Shutterstock)
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Ein Meer aus Lichtern, jubelnde Gesichter, ohrenbetäubender Applaus, ein einziger Rausch. Adrenalin durchströmt jede Faser des Körpers, für einen Augenblick scheint alles Sinn zu ergeben. Dann erlischt das Licht. Der Schweiß auf der Stirn kühlt, beim Gang zur Garderobe herrscht Tiefenstille. Die Stimmen der Fans sind weit weg, nur das eigene Herz hämmert nach. Im Spiegelblick kein Star, kein Idol, nur ein Mensch mit müden Augen. Dieses Gefühl der inneren Leere begleitet viele Superstars wie etwa Justin Bieber, Lady Gaga oder Billie Eilish.

Emotionale Abstürze

Justin Biebers kürzlich veröffentlichtes Album SWAG II wirkt optimistischer, heller und weicher als sein unmittelbarer Vorgänger. Bieber sang darüber, wie er mit mentalen Herausforderungen umgeht und gleichzeitig versucht, den Moment zu genießen. Der kanadische Pop- und R&B-Sänger sprach mehrfach über emotionale Abstürze nach Tourneen. Nach seiner Purpose World Tour 2017 sagte er, er müsse aufhören, um seine „geistige Gesundheit zu schützen“. 2023 verkaufte er die Rechte an seiner Musik und zog sich zunächst aus dem Showbusiness zurück. Er beschrieb, nach Shows, wenn der Applaus weg ist, „verloren“ zu sein.

Das Gefühl, das er beschreibt, nennt sich Post-Performance-Depression und bezeichnet ein emotionales Tief nach einem intensiven Ereignis und den plötzlichen Abfall von Adrenalin und Endorphinen, den nicht nur Popstars gut kennen. Laut der Studie Psychologie für künstlerische und Performance-Exzellenz sorgt ein starker Ausstoß von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin für Hochgefühle. Während der Körper diese Überschwemmung wieder ausgleicht, fällt die Stimmung spürbar ab, was das depressive Nachgefühl erklärt. Die Salzburger Psychologin Sabine Schneider beschreibt den Moment auf der Bühne als „Berufung, den absoluten Triumph für den Sänger, das Adrenalin lässt ihn sich völlig aufgeputscht fühlen“. Nach monatelanger Vorbereitung ist der große Moment da, und danach kommt der „kalte Entzug“.

Nicht nur Stars betroffen

Dasselbe Gefühl kennen viele aus eigenem Erleben: Die Weihnachtsfeiertage sind vorbei, und der graue Alltag wartet. Die Verwandten sind abgereist, das Geschirr stapelt sich, leere Geschenkverpackungen liegen auf dem Boden. Die schnellen Schritte der Enkelkinder auf den Stufen sind verstummt, statt nach Weihnachtsgebäck riecht die Luft abgestanden.

Die Gäste sind gegangen, die Party vorbei. Der Boden ist klebrig, halbleere Flaschen und Pappbecher liegen überall. Das Fenster steht halb offen, der Vorhang weht in das verlassene Zimmer. Die Mundwinkel ziehen sich nach unten, und der Kopf hämmert vom Restalkohol.

Die Musik ist laut, der Bass vibriert, viele Stimmen schreien sich die Seele aus dem Leib, Besucher kosten den Moment vollständig aus. Das Charisma der Person auf der Bühne fesselt, alles andere verliert an Bedeutung. Doch was geschieht nach dem großen Ereignis, auf das monatelang hingefiebert wurde? Was bleibt nach der Erfüllung und dem absoluten Hoch?

Ähnlich wie Künstler leiden auch die Zuschauer unter der Post-Konzert-Depression, dem Tief nach dem Ereignis. „Fans sind nach der ausgelassenen, befreienden Stimmung in der geschützten Konzertblase und dem starken Endorphin-Kick oft mit dem Alltag überfordert“, sagt Psychologin Sabine Schneider.

Nach der Bühne habe ich nichts mehr

Die Pokerface-Sängerin und langjährige Pop-Ikone Lady Gaga sprach 2017 davon, nach dem öffentlichen Auftritt jede Nacht allein zu sein. Nach Stunden, in denen sie „viele Menschen anfassen und auf sie einreden“, kommt plötzlich der völlige Kontrast dazu: Einsamkeit.

Auch die mit emotionsgeladenen Balladen wie Someone Like You (2011) bekannt gewordene Adele sagt, es sei einsam, vor so vielen Leuten zu performen und danach plötzlich allein zu sein. Sie findet die erlebte Einsamkeit „ziemlich albern“, auch wenn sie sie oft erlebt.

Künstler und Athleten

Die neunfache Grammy-Gewinnerin Billie Eilish sagte in einem Interview: „Oh, hier sitze ich allein in einem Zimmer und genieße das Gefühl, dass alle mich wirklich cool finden, aber eigentlich habe ich davon nichts.“ Sie könne ihren Erfolg aufgrund der inneren Leere nicht genießen.

Auch andere Berufsgruppen sind betroffen von der Depression nach dem Auftritt, vor allem Tänzer, darstellende Künstler und Athleten, die physische Hochleistungen erbringen. Laut der schwedischen Studie Reaktionen nach dem Rennen: Das emotionale Paradoxon von Höchstleistung und Angst kann das Gefühl der Leere nach dem Erfolg verstärkt zu Angstzuständen, Depressionen, Burnout und Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Alltag führen.

Das Gegenmittel zum Endorphin-Entzug

Billie Eilish hat ihre Lösung gefunden: Sie lädt ihre Freunde als Vorgruppe ein und nimmt ihren besten Freund mit auf Tour. Während Billie Eilish ihre engsten Freunde in der Umkleidekabine willkommen heißt, hat die durch Messy (2024) bekannt gewordene Londonerin Lola Young eine Suchtberaterin, die in der Garderobe auf sie wartet. Die Suchtberaterin ist da, weil besonders die Zeit nach dem großen Rausch anfällig macht.

Sabine Schneider rät betroffenen Künstlern und Privatpersonen: „Um den Abfall von null auf hundert abzumildern sollten sie gewisse Rituale einplanen, um schnellstmöglich wieder einen strukturierten Alltag zu haben, und Treffen mit Freunden im Vorfeld zu organisieren.“ Der Kreativprozess ist oft einsam, deshalb ist es besonders wichtig, bewusst Freunde und Familie um Unterstützung zu bitten.

Beim gemeinsamen Erleben eines Konzerts entsteht sowohl für die Sängerin oder den Sänger als auch für die Fans ein starkes Gefühl von Zusammengehörigkeit. Schneider betont, die Wichtigkeit von Selbstreflexion beim Erleben der inneren Leere: „Welches Bedürfnis wurde bei mir durch dieses Ereignis gestillt?“ Justin Bieber beantwortet diese Frage für sich selbst in SWAG II, indem er nach innen schaut.


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