Schon im August, während halb Mitteleuropa noch am Strandsitzen, füllen sich die Supermarktregale mit Weihnachtsbäckerei. Laut einer Umfrage des internationales Marktforschungs- und Datenanalyseunternehmen YouGov lehnen 65 Prozent der Befragten in Deutschland einen Verkaufsstart im August ab. Doch während viele den frühen Weihnachtsbeginn im Handel kritisieren, läuft die Weihnachtszeit im Netz bereits auf Hochtouren.
Auf Instagram und TikTok herrscht längst Weihnachtsstimmung. Zwischen Kürbisrezepten und Halloweenlooks erscheinen Lichterketten, Christbaumkugeln und Wunschlisten. „Ich habe mich daran erinnert, dass ich einen freien Willen habe, also steht unser Weihnachtsbaum jetzt im Oktober“, schreibt eine Influencerin auf TikTok. Die Tage bis Weihnachten zählen viele Influencer in Countdowns herunter.
Immer mehr Social-Media-Stars präsentieren ihre geschmückten Wohnzimmer, teilen Deko-Ideen oder posten Wunschlisten voller luxuriöser Geschenkideen, von Designer-Handtaschen über teures Make-up bis hin zu Parfüm. Wer noch keine Wünsche hat, bekommt sie hier geliefert.
Hinter dieser verfrühten Besinnlichkeit steckt vor allem eines, Profit. Zwischen dem frühen Verkauf von Lebkuchen und Social-Media-Weihnachtsposts besteht kaum ein Unterschied: Je früher die Inhalte erscheinen, desto länger fließt Geld.
Die Plattform LTK, eine Creator-Guided-Shopping-Plattform, die Marken mit Influlencern vernetzt, zeigt die Sinnhaftigkeit der verfrühten Online-Weihnachten mit ihrer „Holiday Shopper Study 2024“. Drei Viertel der Generation Z, zwei Drittel der Millennials und mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung kaufen demnach Produkte, die Social-Media-Persönlichkeiten empfehlen. Auch für die Influencer ist damit Weihnachten die Beste Zeit, um ihre Kanäle zu Geld zu machen.
Laut einer Meta-Analyse britischer Marketingforscher, veröffentlicht 2025 im Journal of the Academy of Marketing Science, hat Influencer-Marketing wenig überraschend einen nachweislich starken Einfluss auf das Konsumentenverhalten. Bei der Vermarktung von Produkten zählt vor allem der Eindruck von Vertrauen und Authentizität. Wirkt eine Influencerin oder ein Influencer glaubwürdig, entsteht Nähe. Selbst wenn Follower erkennen, es handelt sich um Werbung, bleibt der positive Effekt bestehen,vorausgesetzt, die Empfehlung klingt ehrlich. Je stärker sich Follower mit einer Person identifizieren, desto eher empfinden sie deren Botschaft als freundschaftlichen Rat, weniger als Werbung
Das ganze hat seine Schattenseiten für den Globus und dessen Klima. Mehr Werbung bedeutet mehr Konsum. Neue Weihnachtsdeko, Pyjamas mit Rentiermotiv, glänzendes Geschirr. Die sozialen Medien befeuern die Lust auf Neues. Viele kaufen Dinge, die sie gar nicht brauchen. Der Überkonsum wächst. Die Folgen sind gravierend. Natürliche Ressourcen werden ausgebeutet, Wälder gerodet, Ökosysteme zerstört, Müllberge wachsen und noch vieles mehr.
Das Phänomen, bei dem Händler und Marken weihnachtliche Produkte und Werbekampagnen bereits im Spätsommer starten, hat auch psychologisch unerfreuliche Seiten. Das Fachwort dafür lautet „Christmas Creeps“. Laut dem American Institute of Stress führt die verfrühte Feststimmung nicht nur zu Vorfreude, sondern auch zu Druck. Viele fühlen sich gezwungen, früh Geschenke zu kaufen und ihre Wohnung zu schmücken, obwohl Weihnachten noch Wochen entfernt liegt.
Nicht alle erleben die Weihnachtszeit als positiv. Einsamkeitund finanzielle Sorgen belasten die mentale Gesundheit.
Bereits seit Wochen Oktober präsentieren Influencer die Weihnachtslinie der Kosmetik-Kette Wrapped in Love vonThe Body Shop. In ihren Reels öffnen sie Adventskalender, zeigen Geschenksets mit Körperbutter und Duschgel und arrangieren die Produkte vor geschmückten Bäumen und warmem Lichterglanz. Die Videos wirken wie kleine Alltagsszenen, in denen Vorfreude und Nachhaltigkeit zusammenfinden. Was das für den Globus bedeutet und wer deshalb an Christmas Creeps zu leiden hat, dürfte allen Beteiligten ziemlich egal sein: kaufen muss ja niemand, scrollen auch nicht.
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