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„In Deutschland konnte ich nicht frei sein“

Von Dubai aus machen sich europäische Influencer über die westliche Demokratie lustig, die sie hervorgebracht hat. Der Fall Simon Desue könnte einigen von ihnen deren Vorteile in Erinnerung rufen.
Elena Kainberger  •  5. November 2025 Redakteurin    Sterne  62
Simon Desue mit Anwalt: Zu früh geschimpft über Deutschland? (Foto: Georg Wendt)
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Simon Desue, bürgerlich Joshua Weißleder, schrieb mit seinem YouTube-Kanal Geschichte: Er zählt zu den Urgesteinen der deutschen Influencer-Szene. Mit seinen Comedy-Videos erreichte er ein Millionenpublikum. Doch im Jahr 2020 erklärte der YouTube-Star auf seinem Kanal, er habe sich in Deutschland nicht „frei genug gefühlt“. Erfolgreichen Menschen werden in Deutschland, so Desue, „nur Steine in den Weg gelegt“. Er konnte dort nicht glücklich sein.

Sonne, Schein und Steuerfreiheit: Das Influencer-Paradies Dubai

Bereits 2019 zog Desue in die Vereinigten Arabischen Emirate. Glitzernde Wolkenkratzer, Sonne, Luxus und null Prozent Einkommenssteuer: Die Golfmetropole hat sich zu einem Magneten für Influencer entwickelt, die dort ein Leben zwischen Überfluss und Selbstdarstellung führen. Auch in der RTL-Realityshow „Dubai Diaries – Living the Dream“ wird dieses Bild gepflegt: Sie inszeniert den Alltag deutscher Auswanderer als glamourösen Traum. Viele Influencer preisen Dubai als Paradies unbegrenzter Möglichkeiten und blicken dabei kritisch auf Europa, insbesondere auf Deutschland, das sie als überreguliert und neidisch empfinden.

Influencer Staatsdienst: Wie Dubai sein Image kauft

Eine kritische Darstellung des Golfstaates hätte allerdings verheerende Folgen. Influencer müssen, wenn sie nach Dubai ziehen, eine sogenannte Influencer-Lizenz erwerben, mit der sie sich verpflichten, das Emirat auf ihren Social-Media-Kanälen positiv zu repräsentieren. Bei Verstößen drohen hohe Geld- oder sogar Haftstrafen. Für die Regierung der Emirate ist dieses Marketing ein willkommenes Instrument, das Tourismus und Image stärkt, während Menschenrechtsverletzungen und politische Einschränkungen in den Hintergrund treten.

Glamour, Drogen, Haft: Simon Desues Absturz in der Golfmetropole

Nun dürfte sich Desue nach einem liberalen Rechtsstaat und Demokratie sehnen. Denn der gebürtige Hamburger, der einst ein Millionenpublikum erreichte, befindet sich in seiner Wahlheimat Dubai wegen Drogenbesitzes in Untersuchungshaft. Insidern zufolge standen Desue und sein Umfeld bereits seit einiger Zeit unter Beobachtung der Behörden. Die Sicherstellung großer Mengen harter Drogen wie Liquid Excstasy bei einer Hausdurchsuchung während einer Party in seiner Villa sowie ein positiver Drogentest führten Mitte September zur Festnahme des gebürtigen Hamburgers und dem deutschen Model Juliana S., Desues Freundin. Derzeit kümmern sich Freunde um Desues finanzielle Angelegenheiten und um seine Hunde. Es handelt sich nicht um seinen ersten Konflikt mit dem Gesetz: Bereits 2020 musste sich der YouTuber vor dem Amtsgericht St. Georg in Hamburg verantworten. Anlass waren zwei Videos, in denen er mit Falschgeld hantierte und behauptete, es im Darknet gekauft zu haben. Der Vorwurf lautete Vortäuschen einer Straftat, das Gericht sprach Desue jedoch frei.

Dubais Null-Toleranz-Drogenpolitik: Von lebenslanger haft bis zur Todesstrafe

Ein einfacher Freispruch dürfte ihn in Dubai nicht erwarten: Die Vereinigten Arabischen Emirate gelten als eines der Länder mit der weltweit strengsten Drogenpolitik. Bereits beim Besitz geringer Mengen sieht lange Haftstrafen vor, während größere Mengen, die auf Handel hindeuten, sogar mit der Todesstrafe geahndet werden können. Laut Amnesty International wurden in den vergangenen zehn Jahren fast 600 Menschen wegen drogenbezogener Delikte hingerichtet. Dennoch werden regelmäßig Todesurteile in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. So auch im jüngsten Fall eines Mannes, der wegen des Drogenschmuggels ursprünglich dreimal zum Tode verurteilt worden war. Der Oberste Gerichtshof der Emirate wandelte das Urteil im Sommer 2025 in lebenslange Haft um, nachdem gravierende Verfahrensfehler festgestellt worden waren. In Dubai bedeutet eine lebenslange Haftstrafe für Ausländer 25 Jahre Gefängnis.

Ein Gericht in Dubai verurteilte die israelische Staatsbürgerin Fidaa Kiwan im Jahr 2022 wegen Drogenbesitzes zum Tode. Nach intensiven diplomatischen Bemühungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde ihre Strafe zunächst in lebenslange Haft umgewandelt und schließlich im März 2023 vollständig erlassen. Die Begnadigung galt als Geste der Freundschaft zwischen beiden Staaten, die erst 2020 im Rahmen der Abraham-Abkommen diplomatische Beziehungen aufgenommen hatten.

Der Fall Kiwan gilt als Beispiel für die Wirksamkeit diplomatischer Interventionen in einem strengen Rechtssystem. Zudem stehen die Chancen auf Begnadigungen während des Fastenmonats Ramadan traditionell besser, da dieser in der islamischen Kultur als Zeit des Mitgefühls, der Vergebung und Barmherzigkeit gilt.

HIV-Drohungen, Gewalt und Willkür: Gefängnis-Albtraum in Dubai

Der britische Tourist Karl W. reiste 2012 nach Dubai, um Urlaub zu machen, doch nach einer willkürlichen Polizeikontrolle wurde er gemeinsam mit zwei Freunden festgenommen, misshandelt und wegen des Besitzes des synthetischen Cannabinoids Spice zu vier Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis erlebte Williams Zustände, die er später als „höllisch“ bezeichnete: Überfüllung, Gewalt, Folter und systematische Verabreichung von Medikamenten bestimmten den Alltag. Im Gefängnis Port Rashid drängten sich rund 300 Häftlinge auf Platz für 100, und selbst im „besseren“ Dubai Central Prison herrschten Korruption und Willkür. Er berichtete von Vergewaltigungen, Drohungen mit HIV-Infektionen und psychischer Zermürbung durch Drogen und Medikamente. Besonders ausländische Häftlinge seien von Diskriminierung betroffen. Nach einem Jahr kam Williams dank einer Begnadigung frei.

Welche Über die genauen Mengen der sichergestellten Drogen bei Simon Desue gibt es derzeit keine verlässlichen Quellen. Welche Strafe droht, hängt von den Umständen des Falls ab. Wenn lediglich Spuren einer Droge im Körper nachgewiesen werden und keine Hinweise auf Handel vorliegen, drohen vier bis zehn Jahre Haft, eine Geldstrafe von mindestens 20.000 Dirham, rund 5.000 Euro, sowie die Abschiebung nach Verbüßung der Strafe. Sollten jedoch Verpackungsmaterialien, Waagen oder verdächtige Kommunikation nachgewiesen werden, kann dies auf Drogenhandel hinweisen. In diesem Fall drohen zehn bis 25 Jahre Freiheitsstrafe, hohe Geldstrafen, Abschiebung und ein lebenslanges Einreiseverbot. Ein weiteres, wenn auch weniger wahrscheinliches Szenario ist der schwere Schmuggel, also der Nachweis internationaler Verbindungen oder großer Drogenmengen. Hier sieht das Gesetz lebenslange Haft oder im Extremfall sogar die Todesstrafe vor.

Das Auswärtige Amt in Deutschland ist über den Fall informiert, gibt derzeit jedoch keine weiteren Informationen bekannt. In der Vergangenheit hat die Bundesregierung bei Todesurteilen oder Fehlverurteilungen bereits intensive diplomatische Interventionen eingeleitet. Ob dies im Fall von Simon Desue zutreffen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch: Dass die Influencer geläutert aus Dubai in ihre alte Heimat zurückkehren, ist kaum zu erwarten. Sicher dürfte dagegen sein, dass sie Kiffen und Koksen künftig meiden.


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