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Wie ein schmucker kleiner Bürstenladen allen Krisen trotz

Ringsum versinkt die Mariahilfer Straße in Chaos und das nicht zum ersten Mal. Seit den 1920er Jahren floriert dort ein stets herausgeputztes kleines Geschäft mit einem unmöglichen Sortiment.
Lara Asmus  •  25. November 2025 Volontärin    Sterne  66
Passanten betrachten das Walter Weiss Geschäft (Foto: Amin Zaazou)
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Wer die Mariahilfer Straße entlanggeht, bemerkt das kleine Geschäft oft erst auf den zweiten Blick. Eingerahmt von den großformatigen Schaufenstern von Zara, H&M und Mango wirkt es wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Hinter der gläsernen Tür duftet es nach Holz, Leder und Rasierseife. In glänzenden Vitrinen liegen sorgfältig arrangierte Bürsten, daneben Nagelscheren, Seifenstücke, Ledergurte und Rasierpinsel. Der Laden ist eine Art Insel inmitten der ruhelosen Einkaufsstraße.

Die Mariahilfer Straße steckt fest. Zwischen U-Bahnbau und der endlosen Lamarr Baustelle verschwinden alte Geschäfte, neue kommen gar nicht erst. Obdachlose suchen Schutz in Hauseingängen, während Radfahrer und Fußgänger täglich um denselben Meter Asphalt ringen. Eine Einkaufsstraße, die nicht mehr weiß, ob sie Flaniermeile, Transitroute oder Eventzone sein will und dabei langsam an Bedeutung verliert.

Mitten darin steht der kleine Bürsten- und Scherenladen, als hätte jemand ihn aus der Zeit herausgerissen. Jeden Morgen steht er frisch poliert da, unbeeindruckt vom Chaos rundherum. „Die Mariahilfer Straße hat schon viele Krisen erlebt“, sagt Eigentümer Daniel Weiss. „Als meine Eltern das Geschäft führten, stand zur Debatte, ob wir überhaupt weitermachen. Einen Nachfolger sah damals niemand.“

Im Inneren des Geschäfts Walter Weiss (Foto: Amin Zaazou)

Tradition, die bis heute trägt

Das Familienunternehmen Walter Weiss blickt tatsächlich auf eine fast hundertjährige Geschichte zurück. In den 1920er Jahren von Leopold Weiss als Drogerie-Großhandel gegründet, übersiedelte das Geschäft nach dem Zweiten Weltkrieg an die Mariahilfer Straße, wo die Familie die Wiener Bevölkerung mit dringend benötigten Alltagswaren versorgte. In den 1950er Jahren entwickelte sich daraus eine Parfümerie als Schauplatz für Marken wie Dior oder Chanel.

Heute führt Daniel Weiss das Unternehmen in dritter Generation mit einem Sortiment, das von Rasur und Bartpflege bis hin zu Maniküre, Haushalt und kleinen Alltagsluxusartikeln reicht. Mehr als 6.500 sorgfältig ausgewählte Produkte machen das Geschäft zu einem Nahversorger, der Qualität und Tradition verbindet.

Kämme bei Walter Weiss (Foto: Amin Zaazou)

Die Mariahilfer Straße im Wandel

„Es ist schön, da mein Alltag jetzt immer noch im gleichen Bezirk wie meine Kindheit stattfindet“, sagt Eigentümer Daniel Weiss im Gespräch mit campus a. Die Zukunft des Geschäfts an der Mariahilfer Straße war während des U-Bahn-Baues in seiner Kindheit 1993 ungewiss. Passanten mussten damals über schmale Holzstege an Baugruben vorbei balancieren, viele Geschäfte verloren Kundschaft, schlossen und wurden von Euro-Shops und Asialäden ersetzt. Die Straße wirkte wie ein einziger provisorischer Baustellenkorridor.

„Die Mariahilfer Straße ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, hier begegnen sich alle sozialen Schichten. Dass sie sich nicht wie das Goldene Quartier zu einer reinen Luxusmeile entwickelt hat, ist ein gutes Zeichen für Wien“, sagt Weiss.

Er erinnert sich an die Zeit vor der Fußgängerzone: Direkt vor dem Geschäft stand ein Taxistand, die Fahrer kamen regelmäßig vorbei und kauften Schwämme für die Autopflege. Und zwischendurch rollte ein Rolls-Royce heran die Besitzer stöberten gerne nach den teureren Spiegeln im Sortiment.

Zwischen Romanen und Realität

Manchmal kommen Kunden ins Geschäft und erkundigen sich nach der kaiserlichen und königlichen Geschichte des Rasierwassers. Ob hier etwa schon Franz Joseph eingekauft hat? Das Walter Weiss Bürstengeschäft ist eine Projektionsfläche für alle möglichen Ideen. Dabei empfindet Weiss sein Geschäft als gar nicht so alt oder so besonders.

Für Weiss ist sein Laden wie ein Haus, in dem schon seine Eltern lebten, und in das er nach Renovationsarbeiten mit seiner eigenen Familie einzog.

Auch literarische Spuren hat der Laden schon hinterlassen: Sein Vater Walter Weiss, im Roman Walter Witte, spielt in Robert Menasses Die Hauptstadt eine Rolle als Figur des alten Wiens. Vor kurzem ist auch wieder eine Stammkundin vorbeigekommen und erzählte von einer weiteren literarischen Erwähnung. In Die Kinder des Hofjuweliers widmete der schwedische Journalist Gunnar Bolin dem Geschäft 2022 ein paar Zeilen und das gleich im Epilog. Offenbar hat das Traditionsgeschäft auch ihn beeindruckt.

Ein Sortiment wie kein anderes

Von Bürsten über Scheren bis zur Achselcreme: Manche Produkte sind konstant gefragt, andere tauchen plötzlich als Trend auf und verschwinden genauso schnell wieder. Vieles entsteht inzwischen über soziale Medien, wo kurze Hypes ganze Produktzyklen beschleunigten und Erwartungen verschieben könnten. So zum Beispiel der Hype um Bambuszahnbürsten oder natürliche Zahncreme.

Weiss hat bis zu 45 Lieferanten aus Österreich, Deutschland und Frankreich. Dabei setzt er vor allem auf kleine Manufakturen. Manchmal reicht ein gut gemachtes Produkt, das lange hält und sich gut anfühlt. Mit seinen Geschäftspartnern arbeitet Weiss auf Vertrauensbasis, sie dürfen die Produkte daher nicht günstiger online verkaufen, ansonsten kann er nicht mit ihnen arbeiten. Es geht um kaufmännisches Arbeiten, Wohlfahrtsgedanken spielen dabei keine Rolle.

„Die großen nehmen mir nichts weg.“

Weiss sieht Billigketten wie Müller oder große Drogeriemärkte nicht als Bedrohung. Dort bekomme der Kunde zwar vieles, aber eben oft eine Schere, die nicht schneidet. Die Qualität sei nicht vergleichbar. Viele Kundinnen und Kunden kämen erst nach einer Enttäuschung durch Billigware zu ihm.

Bei ihm kann man einzelne Teile für Maniküre- oder Pflegewerkzeuge nachkaufen, statt alles wegwerfen zu müssen. Das ist ein Gegenmodell zur Wegwerfgesellschaft und genau das schätzen seine Stammkunden. Walter Weiss ist einzigartig innerhalb Wiens wie auch die stolzen Mitarbeiterinnen vor Ort mit campus a betonen.

Mitarbeiterinnen von Daniel Weiss (Foto: Amin Zaazou)

Steigende Kosten

Für die rund 65 Quadratmeter große Verkaufsfläche fallen Mietkosten an, die sich wie in dieser Lage üblich im oberen vier- bis unteren fünfstelligen Bereich bewegen. Eine Belastung, die kleinen, unabhängigen Geschäften wie Walter Weiss kaum Spielraum lässt.

Gleichzeitig sagt Weiss: „Wenn das Geschäft nicht rentabel wäre, würde ich es natürlich nicht weiterführen.“

Eigentümer können die „irren Mietpreise“ nicht einfach innerhalb eines Großkonzerns weiterschieben. In den vergangenen Jahren stiegen die Betriebs- und Mietkosten um rund 25 Prozent an. Weiss hat beim Erhalt des Geschäfts nicht einfach Glück mit einem günstigen Zins, sondern erwirtschaftet sich seinen Erfolg.

„Altmodisch betreiben“ heißt für Weiss: ehrlich arbeiten, Geld im Betrieb lassen, keine heiße Luft.

„Gute Ware, nette Mitarbeiter. Das ist das beste Marketing.“

Stammkunden haben das Walter Weiss Geschäft schon einige Male vor dem Untergang gerettet. Viele Kundinnen und Kunden blieben über Jahre hinweg treu. Manche bestellen sogar nach einem Umzug ins Ausland eine bestimmte Haarbürste nach, weil sie die Weiss Qualität gewohnt sind. Was Alter und Geschlecht betrifft, ist alles dabei: Jüngere Menschen, die für ihre Großeltern einkaufen, genauso wie langjährige Stammkundschaft, die schon seit Jahrzehnten kommt. Oft kommen auch Besucher wie zum Beispiel aus Schweden oder Hamburg bei jedem ihrer Wien Besuche erneut zu Walter Weiss.

Immer wieder hört Weiss Geschichten von jemanden der als Kind mit der Großmutter hier war und eine Babyhaarbürste bekommen hat und heute dieselbe Bürste für das eigene Kind kauft.

Weiss arbeitet mit einer kleinen Agentur zusammen, die sein Geschäft auf Social Media vertritt. Für großflächiges Marketing hat Weiss kein Budget, Wertschätzung, Vertrauen, Weiterempfehlung sind die echte „Werbung“.

Igelbürsten mit Weiss Logo und Sonnencreme (Foto: Amin Zaazou)

Blick in die Zukunft

Die Nachfolge ist noch offen. Wie schon bei ihm selbst hofft Daniel Weiss, seine Töchter zeigen auch in Zukunft Interesse am Geschäft. Manchmal kommen sie nach Hause und erzählen stolz, sie haben ein Weiss-Produkt im Badezimmer einer Freundin entdeckt. Weiss muss zudem darüber lachen, weil die Mariahilfer Straße, die Mahü, für junge Menschen wie seine Töchter vor allem ein Ort zum Abhängen mit Freunden ist.

„Spannend wird, wie sich das ehemalige Benko-Projekt Lamarr unter Stumpf weiterentwickelt und wann der bislang vernachlässigte Abschnitt in Richtung Museumsquartier neuen Schwung bekommt“, sagt Weiss, überzeugt von der positiven Entwicklung der Mariahilfer Straße in den kommenden Jahren.

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