„Welchen würden Sie nehmen?“, fragt der Arzt und dreht den Monitor. Zwölf Embryonen erscheinen auf dem Bildschirm, sortiert nach Wahrscheinlichkeiten. Intelligenz, Größe, Gesundheitsrisiko, alles als Score. So oder ähnlich könnte eine Eltern-Beratung in den USA künftig aussehen. Und Europa?
Kinderwunschkliniken boomen überall auf der Welt. Bei einer künstlichen Befruchtung entwickeln sich mehrere Embryonen zunächst im Labor und wachsen dort einige Tage heran. Ärzte setzen später nicht alle Embryonen in die Gebärmutter ein. In dieser kurzen Phase entnehmen Fachleute Zellen aus den Embryonen und untersuchen sie genetisch.
Da kommt Nucleus Genomics ins Spiel. Das Unternehmen analysiert die verschiedenen Embryonen mithilfe genetischer Tests und KI-berechneter Polygen-Scores, also statistischer Werte, die Hinweise auf Erbkrankheiten, aber auch auf Eigenschaften wie Augenfarbe, Körpergröße oder Intelligenz liefern. Dabei geht es nicht darum, die Gene eines Embryos zu manipulieren, sondern den „passendsten“ unter ihnen auszuwählen.
Das Verfahren liefert eine Einschätzung, wie wahrscheinlich bestimmte Eigenschaften später auftreten. Dass es sich nicht um eine Veränderung des Erbguts handelt, betont das Unternehmen auf seiner Website immer wieder ausdrücklich.
Die Ergebnisse sollen Paaren helfen zu entscheiden, welche Embryonen sie einsetzen wollen. Der genetische Steckbrief listet auf, wie hoch bestimmte Risiken oder Merkmale sind. Von der Wahrscheinlichkeit einer Erbkrankheit bis hin zu äußeren Eigenschaften wie blonden Haaren. Manche verstehen das als Chance, ihrem Kind einen möglichst guten Start zu geben, zumindest aus statistischer Sicht.
Hinter Nucleus Genomics steht Gründer Kian Sadeghi. Den Impuls zur Gründung liefert nach eigenen Angaben der Tod einer Cousine im Jugendalter, bei dem Fachleute eine genetische Ursache vermuteten. Aus frühen Genomtests zur reinen Gesundheitsvorsorge entwickelte Nucleus später ein Embryo-Screening, das weltweit Debatten auslöst. Laut eigenen Angaben hat das Unternehmen bisher 32 Millionen US-Dollar an Investitionen erhalten.
Kritik kommt insbesondere aus christlich-konservativen Kreisen. Die Influencerin Isabel Brown formulierte in einem YouTube-Video, Embryonen würden „auf Diagramme und Datenpunkte reduziert“ und die Auswahl wirke „wie im American-Girl-Doll-Laden“. In christlichen Gruppen gilt künstliche Befruchtung generell als problematisch, weil sie aus ihrer Sicht den natürlichen Beginn des Lebens berührt.
Auch in Österreich ist die Debatte um die genetische Untersuchung von Embryonen nicht neu. Bis 2015 verbot Österreich jede Form der Präimplantationsdiagnostik (PGT). Selbst Paare mit hohem genetischem Risiko durften ihre Embryonen nicht untersuchen.
International stand Österreich mit seinem Verbot allein da, denn in vielen Ländern war PGT längst erlaubt. Familien mit genetischen Risiken und Paare mit häufigen Fehlgeburten drängten daher auf Änderungen. Auch die Ärzteschaft warnte vor Reproduktionstourismus. Die Reform machte PGT ab 2016 möglich.
Besonders stark war die Kritik aus dem katholischen Umfeld. Die Bischofskonferenz warnte vor „Eugenik im modernen Gewand“, und kirchliche Gruppen befürchteten eine Entwicklung hin zu Designerbabys.
Dass Nucleus Genomics tatsächlich damit den Markt revolutioniert, hält Andreas Obruca, ärztlicher Leiter des Kinderwunschzentrums Wien, für äußerst unwahrscheinlich. „Ich bin da sehr skeptisch“, sagt er.
Auch die Versprechen des Start-ups sieht er kritisch. „Natürlich klingt es für manche Eltern verlockend, sich ein besonders intelligentes oder besonders gesundes Kind auszusuchen. Dieses Marketingversprechen hat aber wenig mit dem zu tun, was genetische Tests derzeit tatsächlich leisten können.“ Die Analyse beruhe auf Wahrscheinlichkeiten, betont Obruca, und diese seien breit gefasst und ohne Garantie.
Zudem gestaltet das Unternehmen sein Marketing bewusst provokant. Nucleus Genometics spielt immer wieder mit Anspielungen auf bekannte Skandale.
Die American-Eagle-Kampagne, auf die Nucleus Genomics anspielt, war eine Werbeaktion des Modeunternehmens, mit dem Slogan „I have great jeans“, ein Wortspiel mit „genes“. Nutzer warfen American Eagle vor, auf Eugenetik anzuspielen.
Niemand erwartet einen Durchbruch von Nucleus Genomics am österreichischen Markt. „So eine Anwendung wäre nach dem aktuellen Fortpflanzungsmedizingesetz völlig illegal“, sagt Obruca. Erlaubt ist seit 2016 lediglich das Testen auf schwere Erbkrankheiten, nicht aber das Sortieren nach Merkmalen. Österreich wird in naher Zukunft keine „Wunschbabys“ zulassen.
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