Als der Niederösterreicher Markus Schweiger (Name von der Redaktion geändert) im Frühjahr 2020 einen Kredit aufnahm, hatte die erste Corona-Welle Österreich fest im Griff. Schweiger, selbstständiger Webentwickler, suchte gemeinsam mit seiner Frau nach einem Zuhause. „Wir haben in einer Wohnung gewohnt, es war laut und wir kamen nicht mehr zur Ruhe“, erzählt der 31-jährige. „Wir wollten ein Haus, etwas Eigenes.“
Über die Onlineplattform Willhaben fanden sie schließlich ein Einfamilienhaus aus dem Baujahr 1984, mit einem schönen Grundstück, preislich kaum über einem Reihenhaus zu aktuellen Immobilienpreisen. „Es hat uns sofort gefallen. Wir haben gesagt: Wir schlagen zu,“ sagt er. Die Finanzierung schien vorerst kein Problem, die Raiffeisenbank sagte einem Kredit innerhalb von 24 Stunden zu. Der Kaufpreis der Immobilie betrug 585.000 Euro. Einen Teil seiner Ersparnisse musste das Paar in die grundlegende Sanierung von Böden, Bädern und Elektrik stecken.
Die monatliche Kreditrate betrug damals rund 2.300 Euro, variabel verzinst. Im Gegensatz zu Fixzinsen bleiben variable Kreditzinsen nicht über eine bestimmte Laufzeit konstant, sondern unterliegen ständigen Schwankungen. Das kann in Zeiten wirtschaftlicher Krisen zu einem Risiko werden. „Ich hatte vorher immer Fixkredite“, sagt Schweiger. „Aber jeder hat gesagt: Die Zinsen bleiben niedrig, und wenn sie steigen, dann langsam.“ Ein Fixzins wäre ohnehin nur für zehn Jahre möglich gewesen. „Wir dachten, wenn’s langsam steigt, können wir ja noch reagieren.“ Damals war das Paar noch finanziell stabil.
Doch dann kamen weitere Corona-Wellen, die Teuerung, die Energie- und Lebensmittelpreise explodierten und die Zinsen gleich mit. „Am Anfang dachte ich, das geht schon, das ist nicht so viel“, erinnert sich Schweiger. „Aber innerhalb eines Quartals war die Rate um 200 Euro höher. Und innerhalb eines Jahres hat sie sich nahezu verdoppelt, plötzlich waren es mit einer Altfinanzierung rund 5.000 Euro im Monat.“
Mit Ersparnissen von rund 80.000 Euro aus 15 Jahren der Selbstständigkeit konnte sich das Paar eine Zeit lang über Wasser halten und den Kredit weiter abbezahlen. Doch von dem Geld ist jetzt nichts mehr übrig. Auch mit Unterstützung aus dem familiären Umfeld konnten sie sich nicht erholen. Als seine Frau dann schwanger wurde, war Schweiger zusätzlich Alleinverdiener.
Für eine Umfinanzierung war es zu spät. „Die Zinsen waren da schon überall hoch. Die Banken sagten nur: Da kann man jetzt nichts mehr machen.“
Die meisten Institute haben ihre Kunden damals gewarnt, sie sollten auf einen Fixzins umsteigen, denn eine Explosion der Zinsen stünde kurz bevor. Doch Schweiger erhielt keine Warnung seitens der Raffeisenbank. Zu Schweigers konkretem Vorfall wolle sich die Raffeisenbank laut einem Pressesprecher nicht äußern, doch grundsätzlich gelte: „Langfristige Zinsentwicklungen sind nicht eindeutig prognostizierbar, sodass zu keinem Zeitpunkt eindeutige Empfehlungen ausgesprochen werden können.“ Bei Vertragsabschluss würden Kunden ausführlich über die Risiken aufgeklärt werden.
Das Paar hatte also keine andere Möglichkeit, als die hohen Raten weiterzubezahlen. Als Selbstständiger hat Schweiger es im Umgang mit den Banken schwerer als Angestellte: „Da zählen nicht die letzten drei Lohnzettel als Nachweis, sondern mindestens drei Jahre rückwirkend. Und unsere Corona-Jahre waren natürlich schwach.“
Von den Banken fühlt sich die junge Familie im Stich gelassen. „Man unterstellt uns, selbst schuld zu sein. Wir hätten demnach wissen müssen, dass wir das nicht zahlen können. Aber woher soll ich das vor fünf Jahren gewusst haben?“
Mit Unterstützung eines Finanzierungsberaters fanden sie vor rund eineinhalb Jahren immerhin eine erste Teillösung. Eine Umschuldung bei der Volksbank. „Wir zahlen jetzt rund 3.900 Euro im Monat, also 1.200 Euro weniger als vorher“ sagt Schweiger. „Aber das ist immer noch extrem viel.“
Der Druck zehrt an allem, auch an der Beziehung. „Letztes Jahr waren wir kurz vor dem Aus“, sagt er. „Man schläft nicht mehr gut, wacht um vier Uhr früh auf und fragt sich: Wie geht’s weiter?“ Schweigers Frau arbeitet inzwischen wieder in Teilzeit, um die Familie finanziell zu unterstützen und trotzdem genug Zeit mit ihrem inzwischen vierjährigen Sohn verbringen zu können. „Man will ja da sein“, sagt Schweiger. „Er ist noch so klein und das geht alles so schnell vorbei und gleichzeitig kosten Betreuungseinrichtungen auch viel Geld. Es ist ein ständiger Spagat.“
Als letzten Ausweg will das Paar das Haus verkaufen, doch die Lage am Immobilienmarkt ist schlecht. „Wir könnten den offenen Kredit von 700.000 Euro nach Abzug aller Kosten vermutlich gerade so abdecken. Die beste Bewertung lag bei einer Million, aber das zahlt niemand momentan.“ Im besten Fall können sie geradeso den Kredit abdecken, übrig bleiben würde nichts. Das gesamte investierte Geld wäre weg.
Der Makler der Beiden rät nun, die Liegenschaft aufzuteilen und in zwei Tranchen zu verkaufen. Zunächst soll ein Teil des Grundstücks verkauft werden, um die Kreditrate zu reduzieren, auch wenn dabei rund dreißig Prozent Immobilienertragsteuer anfallen und den Gewinn entsprechend mindern würden. Infolgedessen läge das Haus dann preislich wieder im Bereich eines Reihenhauses und wäre für eine größere Zielgruppe interessant. Doch einstweilen lebt das Paar weiter in der Sorge, demnächst am Existenzminimum leben zu müssen.
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