Wie wird sich Österreichs Medienlandschaft mit einer blau-schwarzen Regierung verändern?
Kahlweit. Der Medienapparat der FPÖ trägt seit Jahren maßgeblich zu ihrem Erfolg bei. Die FPÖ kann etwas, was die anderen nicht können. Sie hat ein System von Medien aufgebaut, das ihr zuarbeitet. Diese Medien tragen die Positionen und Meinungen Kickls und seiner Leute ins Land hinaus. Die FPÖ-Politiker reden fast nur noch mit ihren eigenen Leuten und mit diesen Medien, sei das Info-DIREKT oder Auf1. Das machen sie geschickt.
Was bedeutet das für die Medienlandschaft Österreichs und ihre Unabhängigkeit?
Kahlweit. Das Problem ist, dass eine Normalisierung des Rechtsextremismus stattfindet, und zwar in allen Bereichen, in denen die FPÖ eine Rolle spielt. Vor einigen Jahren galt noch die ethische Regel, dass Journalisten und Politiker mit extremen Medien nicht zusammenarbeiten sollten, dass sie ihnen keine Bühne bieten und keine Interviews geben sollten. Doch inzwischen hat sich die Situation geändert. Politiker distanzieren sich nicht mehr so wie früher davon. Das zeigt, wie die Bedeutung der FPÖ gewachsen ist.
Wie würden die unabhängigen Medien mit einem Kanzler Kickl umgehen?
Kahlweit. FPÖ-Politiker haben schon bisher immer wieder Journalisten sogenannter Traditionsmedien ausgeschlossen, ihnen Interviews verweigert. Proteste gegen den Ausschluss mancher Medien wie den Ausschluss der gesamten Auslandspresse von der FPÖ-Feier am Wahlabend, Appelle an Medien-, Presse- und Meinungsfreiheit – das alles war umsonst. Das macht mich sehr besorgt. Ich habe das Gefühl, egal was wir tun, wir haben keine Druckmittel.
Sie haben in einem früheren Interview die Situation in Österreich mit Trumps Wahlsieg verglichen.
Kahlweit. Trump ist nochmal eine andere Liga. Der hat jetzt seinen eigenen Kanal und hat inzwischen Herrn Musk, Herrn Zuckerberg und andere, die sich ihm unterwerfen. Die globalisierte digitale Welt arbeitet Herrn Trump zu. Das ist extremst beängstigend. So weit sind wir hier noch nicht, aber auch Kickl hat ein Interesse daran, möglichst nur noch über seine eigenen Medien zu kommunizieren. Der Standard und der Falter gehören da eher nicht dazu.
Was wird aus der Medien- und Pressefreiheit?
Kahlweit. Das Verständnis der FPÖ von Medien- und Pressefreiheit unterscheidet sich nach meinem Verständnis von echter Medien- und Pressefreiheit. Die FPÖ glaubt offenbar, bestimmen zu können, was richtig und was falsch ist, was wahr und was unwahr ist. Wenn das eine Frage des Geschmackes der FPÖ wird, wie Kickl es sich anmaßt, dann ist es mit der Meinungsfreiheit nicht mehr weit her.
Wozu wird das wirtschaftlich führen?
Kahlweit. Medien, die sowieso schon konservativ sind oder der FPÖ nahe stehen, etwa einige Boulevard-Medien, sind schon jetzt besser finanziert als sogenannte linke Medien. Wenn die FPÖ jetzt an den Futtertrögen sitzt und das Geld zuteilen kann, werden die in den vergangenen Jahren besprochenen Reformen der Qualitätsförderung nie kommen. Medienförderung wird wohl noch viel stärker eine Frage von Wunsch und Wille sein.
Heißt das auch, die FPÖ-Medien gewinnen an Einfluss, während Qualitätsmedien, wie wir sie heute kennen, an Einfluss verlieren?
Kahlweit. Es kann jetzt spannend werden. Es ist vielleicht sogar eine Win-Win-Situation. Immer in Krisenzeiten haben auch linksliberale Medien und Kabarettisten Zulauf. Mehr ratlose Menschen, die es nicht so toll finden, dass die FPÖ die Kanzlerschaft übernimmt, werden sich FPÖ-kritischen Medien zuwenden. Gleichzeitig bestimmt die andere Seite die Regularien.
Wie sehen Sie die Situation des ORF?
Kahlweit. Der ORF steht jetzt massiv unter Druck, da werden sicher viele Leute Angst haben. Der politische Druck auf den ORF wird wachsen. Hier rächt sich, dass die letzten beiden Regierungen die Einflussmöglichkeiten der Politik nicht gemindert haben.
Was haben die Regierungen da verpasst?
Kahlweit. Sie hätten zum Beispiel den Einfluss der politischen Kräfte im Stiftungsrat mindern können, wie es etwa beim Fernsehrat des ZDF in Deutschland geschah.
Sie haben in einem früheren Interview das Phänomen der Nicht-Kommunikation der Politik in Österreich beschrieben. Was genau bedeutet das?
Kahlweit. Es gibt in Österreich Hintergrundgespräche, in denen nur ausgewählte Medien vorgelassen werden. Ansonsten gibt es Pressekonferenzen, da stellen Journalisten fünf Fragen und kriegen vorbereitete Antworten. Das ist alles im Sinne von Message Control extrem begrenzt und kontrolliert und nicht wirklich das, was ich mir unter Kommunikation vorstelle. In Deutschland haben Journalisten mit selbst organisierten Hintergrundkreisen und der Bundespresskonferenz mehr Möglichkeiten.
Ist das bei der FPÖ noch extremer?
Kahlweit. Das ist eine völlig andere Form der Nicht-Kommunikation. Sie ist hier wörtlich zu nehmen. Die reden eben nicht. Die einen wollen die Message kontrollieren – und die anderen sagen gar nichts. Kickl hat mir in zehn Jahren kein Interview gegeben und da bin ich nicht die Einzige. Hinterher hat er sich lustig gemacht, wenn irgendwelche Details in Artikeln oder Büchern über ihn falsch waren. Das Problem ist, dass die FPÖ offene Kommunikation nicht nötig hat.
Linke Medien werden oft für Meinungsjournalismus kritisiert. Ist diese Kritik von rechten Politikern als Begründung zu sehen, warum sie die eigenen Medien schaffen?
Kahlweit. Rechte Medien machen nach meiner Wahrnehmung mindestens so viel Meinungsjournalismus wie linke, im Zweifel sogar mehr. Die Meinungen dort können zudem oft nicht faktenbasiert begründet werden. Und außerdem finde ich Meinungsjournalismus im Prinzip nicht schlecht, solange Nachricht und Meinung getrennt sind. Sobald die Vermischung beginnt, ist es illegitim. Aber das gilt für rechte wie linke Medien.
Als Journalistin, die eine eher linke Haltung vertritt, wie wahren Sie selbst die Unabhängigkeit und Äquidistanz, die seriöse Medien brauchen?
Kahlweit. Ich versuche, Meinung und Nachricht deutlich zu trennen. In meinen Reportagen oder in meiner News Analysis versuche ich, viele Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Ich spreche mit allen, die mit mir sprechen wollen. Nun ist es leider so, dass die FPÖ nicht mit mir spricht, aber ich versuche es zumindest immer wieder.
Figuren wie Armin Wolf oder Florian Klenk positionieren sich auf sozialen Medien ganz klar mit politischen Botschaften links. Hat das einen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit der Medien, die sie vertreten?
Kahlweit. Die beiden sind in ihrem Auftreten auf Social Media unterschiedlich zu bewerten. Bei öffentlichen Äußerungen ist Zurückhaltung geboten. Und Selbstkritik ist immer nötig. Klar, die Linken machen auch nicht alles richtig, bewegen sich oft auch in ihrer Blase. Aber die Rechtsextremen, die Rechtsradikalen, die Rechtspopulisten sind es, die ein eigenes Medienimperium bespielen, indem sie nur in ihrer eigenen Blase kommunizieren. Wie soll man da hineindringen? Wie soll man diese Leute erreichen? Und wie eine Brücke herstellen zwischen diesen beiden Blasen?
Haben Sie jemals in Ihrer Arbeit oder in Ihrer Tätigkeit gedacht, dass Sie sich fast schon als Aktivistin positionieren?
Kahlweit. Nein. Habe ich nie. Ich bin in keiner Partei. Ich bin in keiner Bürgerinitiative. Ich betreibe keine politischen Aktivitäten. Ich habe meinen Job nach bestem Wissen und Gewissen so gut gemacht, wie ich es konnte. Ich habe immer versucht, ausgeglichen zu berichten. Dass jeder, auch Journalisten, immer eine ganz bestimmte Weltsicht mitbringt, das kann niemand für sich dementieren. Es wäre auch Hybris zu behaupten, man gehe nicht mit einem eigenen Blick auf die Welt in seinen Job.
Wie würden Sie sich selbst als Journalistin positionieren? Würden Sie jemals einem rechten Medium ein Interview geben?
Kahlweit. Das kommt drauf an, wie rechts es ist. Ich gehe nicht zu ServusTV wegen der verschwörungstheoretischen Ansichten von Programmchef Ferdinand Wegscheider, ich gehe nicht zu FPÖ-Medien.
Und wo ziehen Sie persönlich diese Grenze?
Kahlweit. Ich ziehe die Grenze da, wo es für mich antidemokratisch wird. Alle demokratischen Kräfte, die nicht verschwörungstheoretisch unterwegs sind oder die keine antidemokratischen Parolen verbreiten, gehören zum demokratischen Spektrum. Ich würde nie bei rechtsextremen Medien auftreten, auch nicht um der Meinungsfreiheit willen. Für mich gibt es da eine ethische Grenze, weniger eine politische.
Wie gehen Sie dann mit der Äquidistanz zu den Themen, zu denen Sie berichtet haben, um?
Kahlweit. Die Äquidistanz besteht ja daraus, wie Journalisten Informationen sammeln und wie sie Gesprächspartner suchen und wie sie das wiedergeben. Es geht darum, dass man diese Inhalte wahrheitsgemäß wiedergibt.
Und wie sind Sie während Ihrer Karriere mit den Vorwürfen, dass Sie Fake News verbreiten, umgegangen?
Kahlweit. In Ihrer Frage schwingt ein Vorwurf mit, der mir bisher nur von Verächtern der liberalen Demokratie entgegengebracht wurde. Ich bin zum einen privilegiert gewesen, weil die Süddeutsche Zeitung den Ruf hat, staatstragend und seriös zu sein. Insofern musste ich mich nicht viel verteidigen. Was mir aber im Zweifel immer geholfen hat, ist weitermachen. Weitermachen und darauf achten, sauber zu arbeiten. Ich weiß ja, wie ich recherchiere, dass ich mit meinen Quellen rede, dass ich nicht lüge, dass ich die Fakten checke. Jeder meiner Texte wurde zudem von der Redaktion redigiert und überprüft. Viel mehr kann man nicht machen.
Finden Sie, dass sich traditionelle Medien mit Ihrer Positionierung angreifbar gemacht haben und dass sie sich selbst ein Stück weit unglaubwürdiger gemacht haben? Und dass Kickls Kritik an den Medien deswegen einen wahren Kern haben könnte?
Kahlweit. Meine Antwort ist schlicht, nein.
Denken Sie nicht, es gab eine Ausgrenzung von rechten Politikern aus dem öffentlichen Diskurs?
Kahlweit. Der Versuch mitzusprechen ist das eine. Ob mit einem gesprochen wird, ist das andere. Dieser Ausgrenzungs-Topos ist aber ein Narrativ, das vor allem die Rechten sehr gerne pflegen. Im deutschen Fernsehen ist beispielsweise erkennbar, dass die AfD und das BSW, das Bündnis Sahra Wagenknecht, überall und permanent vorkommen. Die haben so wahnsinnig viel Präsenz, dass es inzwischen fast die gegenteilige Kritik gibt, nämlich dass ihnen zu viel Fläche geboten wird. Das kommt aus Angst vor dem Vorwurf der Öffentlich-Rechtlichen, sie würden ausgrenzen. Das gilt so in Teilen auch für Österreich. Die FPÖ beklagt sich gerne, dass sie nicht gehört wird, aber sie sitzt im ORF-Stiftungsrat, sie kommt in TV-Runden, in Diskussionsrunden vor – es sei denn, ihre eigenen Leute verweigern sich der Auseinandersetzung.
Sie hatten mit der sogenannten Zuckerlkoalition gerechnet. Wie haben Sie die Reaktionen in den Medien über die blau-schwarzen Regierungsverhandlungen wahrgenommen?
Kahlweit. Was mir fehlt in der Berichterstattung ist die Darstellung der Verschiebung des Diskurses vor allem in der ÖVP, der dazu geführt hat, dass ein Kompromiss nicht mehr möglich war. Die aktuelle Entwicklung ist der beste Hinweis auf diesen strukturellen, systemischen Rechtsruck, der sich jetzt in einer ganz neuen Bandbreite zeigt. Wenn es unmöglich ist, mit der SPÖ über eine Bankenabgabe, geschweige denn über Vermögensteuern und über Erbschaftsteuern zu reden, dann läuft etwas schief in diesem Land. In den meisten anderen europäischen Ländern gibt es diese Steuern. Das hat also nicht nur etwas mit Inkompetenz, falschen Verhandlungsmethoden oder mit zu vielen Verhandlern zu tun. Das hat was damit zu tun, dass der gesamte Diskurs so weit nach rechts gerückt ist, dass ein Kompromiss mit einer linken SPÖ nicht mehr vorstellbar ist.
Was könnten die Medien tun, um diesen Rechtsdruck im öffentlichen Diskurs sichtbar zu machen?
Kahlweit. Die Aufgabe der Medien ist jetzt schwer. Es ist offensichtlich, dass Kickl alle Möglichkeiten hat, weil ihm Teile der ÖVP in einer Mischung aus Inkompetenz, Mutwillen und reaktionärem Denken den roten Teppich ausgerollt haben. Die FPÖ behauptet zudem immer, sie vertrete den Wählerwillen. Das ist natürlich Quatsch. 28 Prozent sind nicht der Wählerwille. 72 Prozent wollten die FPÖ nicht. Es gibt im Grunde eine große Mehrheit gegen die FPÖ. Aber wo ist sie? Wo bleibt sie? Haben die sich alle schon ergeben?
Nehmen Sie so etwas wie eine Resignation dieser Mehrheit wahr?
Kahlweit. “Schauen wir mal”, sagen viele Leute in Umfragen. “Sollen sie mal zeigen, was sie können”. Da wird mir angst und bange. Ich fürchte mich davor, dass die zeigen, was sie können. Wenn die schaffen, was sie können, dann geht dieses Land unter. Aber das ist schwer vermittelbar. Das Problem ist, dass es nicht mehr um Weitsicht und Fakten- und Datenanalyse geht, sondern vornehmlich um Gefühle. Die können Medien den Leuten schwer ausreden. Ich bin total ratlos.
Sie haben Boulevardmedien oft kritisiert. Erkennen Sie eine stärkere Unterstützung der FPÖ in Boulevardmedien als in anderen?
Kahlweit. Ich sehe generell einen großen Support für rechte Politiker oder für rechte Influencer. Das würde ich gar nicht parteipolitisch festmachen. Dazu sind die Boulevardmedien, glaube ich, viel zu volatil und viel zu opportunistisch.
Viele österreichische Medien sind von zu einem hohen Anteil von politischen Inseraten abhängig, zu einem viel höheren, als zum Beispiel deutsche Medien.
Kahlweit. In der Inseraten-Affäre von Sebastian Kurz wird das erkennbar. Wenn Medien offen dafür zu sein scheinen, Inserate an den Staat zu verkaufen und dafür Meinungen zu manipulieren, wie es den Anschein hat, bedeutet das, dass Medien in diesem Land käuflich sind. So einfach ist es.
Österreich ist ein relativ kleines Land. Denken Sie, dass es aufgrund der damit einhergehenden engen Verflechtungen zwischen Medien, Politik und Wirtschaft überhaupt möglich ist, eine unabhängige und vielfältige Medienlandschaft zu schaffen?
Kahlweit. Wir sollen nicht so defätistisch sein. Es gibt ja gute Medien in diesem Land. Die große Mehrheit der Journalisten ist nicht käuflich. Ich habe ganz tolle Kollegen kennengelernt in den vergangenen zehn Jahren.
Wird Österreich in den kommenden eine gesunde Medienlandschaft entwickeln können?
Kahlweit. Die Frage ist heute schwer zu beantworten. Zurzeit eigentlich gar nicht. Wenn Kickl Bundeskanzler dieser Republik wird, sehe ich schwarz. Dann wird es einen Überlebenskampf geben, und es werden nicht alle überbleiben.
Dieser Überlebenskampf, wie wird er aussehen?
Kahlweit. Menschen werden den Falter und den Standard wahrscheinlich weiterhin lesen. Viele kleine Blätter, von Fleisch bis Substanz, die vielen Integrations- und Inklusionsblätter, die zurzeit alle noch Förderungen bekommen, für die sieht es schlecht aus. Viele, die Förderung brauchen und verdienen, werden sie nicht mehr bekommen, und die, die keine bräuchten, werden überleben.
Journalismus ist jedoch eine hartnäckige Disziplin. Bisher hat er immer überlebt. Was wird aus ihm?
Kahlweit. Wir werden mehr denn je investigativen Journalismus brauchen. Der war eine Weile in einer Sackgasse, finde ich. Und wir werden die großen Erzählungen, die großen Analysen brauchen. Wenn ich mir Amerika anschaue, wo das Zeitungssterben unaufhörlich weitergeht, dann sehe ich, wer überlebt: Alle, die große Erzählformate haben, Analyseformate, wo kluge Leute die Dinge erklären, mit einem distanzierteren Blick zurück oder nach vorne, das funktioniert.
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