Im Gartenbaukino im ersten Wiener Bezirk ist der große Saal am 28. Jänner voll. Mehr als 700 Menschen haben Tickets gekauft, um die Premiere des Oscar-nominierten Films The Brutalist zu sehen. Unter ihnen ist Alexandra. Um sie herum sieht sie Freundesgruppen und Pärchen, sie jedoch ist allein gekommen. Mit dieser Entscheidung ist sie zufrieden. Genau wie jedes Mal, wenn sie allein ins Kino geht.
Alexandra ist kein Einzelfall. Seit einigen Jahren machen es viele wie sie, nicht notgedrungen, sondern weil es ihnen lieber ist als in Begleitung.
Die Kinobetreiber beobachten das. Die wenigsten von ihnen erheben Daten zu den verkauften Einzelkarten pro Vorstellung, doch Mitarbeiter bemerken eine deutliche Zunahme an Singles im Saal. „Besonders Besucher, die sich spontan fürs Kino entschieden haben, kommen allein”, sagt ein Sprecher des Wiener Burg Kinos.
Auch in anderen Wiener Kinos ist der Trend spürbar. „Inzwischen kommen bei jeder Vorstellung drei bis acht Besucher alleine“, heißt es auf campus a-Anfrage im Admiral Kino.
Alleine einen Abend zu genießen, gilt längst nicht mehr als peinlich. Das wissen auch die Restaurants, die sich zunehmend auf allein speisende Gäste einstellen und Single-Tische bereitstellen. In Japan, das bei derartigen Entwicklungen oft voraus ist, boomen spezialisierte Single-Restaurants bereits. Häufigere Solo-Trips ins Kino sind da nur folgerichtig. Doch die Branche sieht noch einen anderen Grund für die Entwicklung.
Das Kinoabo nonstop, mit dem Filmfreunde gegen einen monatlichen Fixbetrag so viele Filme, wie sie wollen sehen können, fördert die spontane Entscheidung. Kino ohne viel Drumherum, einfach so im Vorbeigehen und ohne eine Begleitung zu vereinbaren, was oft eine Herausforderung sein kann. Insbesondere dann, wenn sich mehrere Freunde auf einen Film, ein Kino und eine Uhrzeit einigen müssen.
So hat sich eine neue Form des Kinoerlebnisses entwickelt, von der die ohnedies gebeutelte Branche in Zukunft noch stärker profitieren könnte. „Viele nützen das Abo, um mit ihren Freunden ins Kino zu gehen. Es gibt aber auch einige, die wirklich gerne alleine gehen“, sagt Martin Kitzberger von nonstop. „Das Ganze ist nicht unbedingt etwas, womit wir bei der Entwicklung des Abos gerechnet hatten.“
Zunächst war es demnach als soziale Initiative gedacht, um mehr Menschen gemeinsam ins Kino zu bringen und sie dort Zeit zusammen verbringen zu lassen. Doch Kitzberger gesteht zu: „Ich habe das Abo selbst vor einigen Jahren in Holland genutzt, und ich fand es ebenfalls extrem angenehm, alleine ins Kino zu gehen und in der Welt des Films zu versinken.“
Paul Schneider, Mitglied der campus a-Redaktion, geht ebenfalls gerne allein ins Kino. „Anfangs fehlte es mir, meine Emotionen nach einem starken Film mit jemandem teilen zu können”, bekennt er. Inzwischen teilt er sie online. Denn so wie sich Millionen junge Menschen unter Hashtags wie #Booktok oder #Bookstagram über das Lesen und Schreiben unterhalten, tauschen sich in einer wachsenden Zahl von Gruppen Cineasten über Filme aus. So auch auf der immer populärer werdenden Plattform Letterboxd. Dort bewerten Filmbegeisterte auf ihren Profilen die Filme, die sie gerade gesehen haben, ähnlich wie es Leser auf der Buchbewertungsplattform Goodreads tun.
„Ich entscheide ganz für mich selbst, was ich mir ansehe, wo und wann ich hingehe, was ich anziehe und was ich esse”, sagt Alexandra. “Es gibt einfach spontane Momente, in denen ich nicht vom Zeitplan anderer abhängig sein will.“
Für die 22 Jahre alte Studentin bedeuten Kinobesuche nicht, mit Freunden zu tratschen oder sich während der Vorstellung zu unterhalten. „Ich sehe den Kinobesuch eher als eine meditative Aktivität. Es ist eine Gelegenheit, die mir hilft, mit mir selbst in Kontakt zu treten, und eine Zeit, die ich mir selbst widme.“ Nachsatz: „Auf gewisse Weise will ich mir manchmal selbst bestätigen, dass meine eigene Gesellschaft ausreicht, und dass es angenehm ist, einfach mit mir selbst zu sein, wenn das Licht im Saal ausgeht.“
Solo-Kinobesuche scheinen jedenfalls im Trend zu liegen. Auch wenn der soziale Aspekt fehlt, bedeutet das für viele längst nicht, dass der Abend ohne Unterhaltung bleibt. Alexandra meint sogar, das Alleinsein könnte eine willkommene Herausforderung sein. „The Brutalist hatte eine 15-minütige Pause. Vielleicht wäre es schön gewesen, jemanden dabei zu haben, um über die erste Hälfte zu sprechen. Aber es war genauso angenehm, alleine zu sein und das, was ich gesehen habe, zu verarbeiten und zu spüren, wie es mich beeinflusst hat.“ Viel mehr Menschen sollten diese Art des Solo-Abends ausprobieren, findet sie. „Ich empfehle von ganzem Herzen, ab und zu alleine ins Kino zu gehen.“
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