„I’ve been California dreamin‘, plastic hearts are bleeding“ singt Miley Cyrus in ihrem Lied „Plastic Hearts“. Als Cyrus das Lied veröffentlicht, zeigt das Kalenderblatt das Jahr 2020. Es ist dasselbe Jahr, in dem Forscher von der Technischen Universität (TU) Graz ein Verfahren entwickeln, mit dem sie CO2 in Plastik umwandeln können. Sie erhalten dafür den Innovationspreis.
Es ist ein Bakterium, das mit dem besonderen Plastik in Verbindung steht. Bereits in den 60er Jahren erregt besagtes Bakterium öffentliches Interesse, 20 Jahre später steht es im Rampenlicht der National Aeronautics and Space Administration (NASA).
Sein Name ist Cupriavidus necator, wörtlich: der kupferliebende Töter. Im Gegensatz zu anderen überlebt dieses stäbchenförmige Bakterium besonders gut in kupferreicher Umgebung, den Beinamen „der Töter“ verdient es sich durch asoziales Verhalten. Denn für Cupriavidus necator steht das Ausschalten konkurrierender Genossen weit oben auf der Agenda. Der cupriavidischen „Tötungslust“ ausgeliefert sind Bakterien von fremden Stämmen gleichermaßen wie Pilzkulturen.
Doch, dass zum Beispiel die NASA das berüchtigte Bakterium als attraktiven Kandidat für Langzeitreisen durchs Weltall sieht, hat weniger mit dem Verhalten der Bakterien nach außen zu tun als mit dem, was währenddessen in ihm vorgeht.
Während der Mensch Kohlenhydrate zur Energiegewinnung nutzt, zieht Cupriavidus necator das Treibhausgas Kohlendioxid als Nahrungsquelle heran und wandelt es unter Zunahme von Wasserstoff um. Binnen kurzer Zeit lagern die Bakterien somit 80 bis 90 Prozent der Gasmischung als Bioplastik ab. „Beim Menschen wäre das Stoffwechselprodukt übrigens Fett“, ergänzt Regina Kratzer, Mitbegründerin des Bioplastik-Projekts an der TU Graz.
Zwei Cupriavidus necator-Bakterien (sichtbar als graue Stäbchen) am Werk. Hier lagern sie gerade PHA-Bioplastik (weiße Stellen) ab, das Forscher dann entnehmen können. Die gezeigten Bakterien verwenden zwar Laktose als Ausgangsstoff, das Prinzip bleibt jedoch auch für die CO2-Umwandlung gleich. (Foto: Researchgate. Fachpublikation „Whey Lactose as a Raw Material for Microbial Production of Biodegradable Polyesters“ von Martin Koller aus dem Jahr 2012.)
Statt aus CO2 gewinnen Industrien Bioplastik aus der Gruppe der sogenannten PHAs (Polyhydroxyalkanoate), vor allem in Form des Stoffs Polyhydroxybutyrat (PHB), derzeit aus Zucker oder Pflanzenöl. Noch ist die Herstellung aufwendig, was sich am Preis bemerkbar macht: Auf Amazon kostet ein Kilogramm „Zuckerplastik“ rund 30 Euro, herkömmliches Plastik nur fünf.
Was das Bioplastik aus CO2 dennoch stark macht: Die verwendeten Bakterien vermehren sich unter geeigneten Bedingungen rasch, China ermöglicht das beispielsweise durch große Tanks. Im Vergleich zur Herstellung auf Zuckerbasis verspricht Cupriavidus necator damit mehr Menge in weniger Zeit. Für die Industrie bedeutet das potenziell geringere Kosten, was CO2-basierte Biokunststoffe laut Kratzer für den Markt attraktiv machen könnte.
Eine vielversprechende Anwendung vom bakteriell hergestellten Bioplastik sieht Kratzer in der Medizin, konkret bei Nahtmaterial oder Implantaten. Der Vorteil gegenüber herkömmlichen Plastik-Implantaten: Das Bio-Mikroplastik baue sich schneller ab. Und die Stoffe, die dabei entstehen, seien Hydroxyfettsäuren. Biologische Produkte, wie es sie bereits im Körper gibt, also.
Menschen mit Bioplastik-Implantaten gibt es bereits, die verwendeten PHAs gelten als unbedenklich. Wie sich das CO2-Mikroplastik genau auf den menschlichen Körper auswirke, sei jedoch noch unklar. Für Langzeitstudien sei das Forschungsgebiet laut Kratzer noch zu jung.
Das Bioplastik, das die Bakterien von Kratzer und ihrem Team herstellen, ähnelt mit seinen kautschukartigen Eigenschaften am ehesten dem Kunststoff Polypropylen. Abhängig von seiner Dicke und den Umweltbedingungen hat das Bioplastik eine Haltbarkeit von einigen Wochen bis Monaten. Manchmal brauche es aber auch etwas länger als ein Jahr, um vollständig zersetzt zu sein.
„Es gibt andere Forschungseinrichtungen, die den Bakterienstamm genommen und modifiziert haben“, sagt Kratzer, „Damit können sie die Eigenschaften vom Plastik verändern. Es zum Beispiel elastischer machen.“ Die Änderung im Erbgut der Bakterien ermöglicht es zudem, ganz andere Stoffe herzustellen.
Doch Technik hin oder her: Bis das erste Herz aus bakteriellem Bioplastik einsatzbereit ist, arbeiten die Wissenschaftler wohl weniger unter Cyrus‘ Motto „California dreamin‘“ als zur folgenden Liedzeile aus dem Film La Boum: „Dreams are my reality.“
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